Streik

Aus dem Lot geraten

Piloten der Lufthansa protestieren am 02.04.2014 vor dem Flughafen von Frankfurt am Main (Hessen). Sie halten Ballons und ein Plakat in Händen, das auf das Lufthansa-Sparprogramm Score anspielt.
Piloten der Lufthansa sind in einen dreitägigen Streik getreten. © picture alliance / dpa / Boris Roessler
Von Elisabeth Niejahr · 05.04.2014
Kleine Berufsgruppen wie Piloten und Lokführer können ihre Interessen nur durchsetzen, weil die Öffentlichkeit auf ihre Dienstleistungen in besonders hohem Maße angewiesen ist. Doch das kann nicht der Maßstab sein, meint Elisabeth Niejahr.
Darf eine kleine, privilegierte Gruppe wie die Piloten der Lufthansa hunderttausende von Reisende in Mitleidenschaft ziehen, nur um ihre Interessen durchzusetzen? Oder muss der Gesetzgeber die Spielregeln für Arbeitskämpfe ändern, damit Lokführer, Fluglotsen oder eben Piloten nicht ihr Erpressungspotenzial gegenüber ihren Arbeitgebern in dieser Weise ausreizen können?
Viele Reisende haben sich diese Fragen in der vergangenen Woche gestellt, aber noch tut sich die Regierung schwer, Antworten zu liefern – sie wollte eigentlich ein dazu Gesetz vorlegen, das sogenannte Tarifeinheits-Gesetz. Doch der Termin dafür wurde verschoben, wie schon bei der schwarz-gelben Koalition in den Jahren zuvor. Wie aber sollten faire Regeln aussehen, die den Beschäftigten, ihren Unternehmen und den betroffenen Bürgern gerecht werden können?
Drei Zahlen entscheiden
Drei Zahlen werden am Ende darüber entscheiden, welche Folgen der Piloten-Streik haben wird, für die Lufthansa und darüber hinaus. Die erste Zahl ist 5400 – so viele Piloten hatten ihre Arbeit niedergelegt, um ihre Interessen durchzusetzen. Die zweite Zahl ist 425.000 – so groß ist die Zahl der Reisenden, die von den Streiks betroffen war. Die dritte Zahl ist 255.000. So hoch ist das Jahresgehalt von Lufthansa-Piloten am Ende ihrer Karriere. Zulagen für besondere Strapazen sind dabei noch nicht mitgerechnet.
Alle drei Zahlen gemeinsam machen deutlich, dass bei den Arbeitskämpfen kleiner, mächtiger Berufsgruppen etwas aus dem Lot geraten ist. Die Lufthansa-Piloten kämpfen nicht für mehr Lohn, sondern für den Erhalt attraktiver Regeln für den Übergang in den Vorruhestand. Dafür zu streiten ist legitim, es auf diese Weise zu tun, ist ein Problem. Das gleiche gilt für Lokführer und andere Gruppen, die ihre Interessen nur deswegen gut durchsetzen können, weil die Öffentlichkeit auf ihre Dienstleistungen in besonders hohem Maße angewiesen ist.
Wenn das aber der Maßstab ist - wenn in Zukunft derjenige am intensivsten seinen Vorteil sucht, der das größte Erpressungspotenzial hat - wird Deutschland etwas verlieren, worauf viele lange zu Recht stolz gewesen sind. Mächtige, aber maßvoll agierende Gewerkschaften haben in der Geschichte der Bundesrepublik enorm dazu beigetragen, dass Ludwig Erhards Slogan vom Wohlstand für Alle mehr als eine Floskel war. Während der Finanzmarktkrise haben Gewerkschaften gemeinsam mit den Arbeitgebern durch ihre Vereinbarungen zur Kurzarbeit in den besonders gebeutelten Betrieben dazu beigetragen, Arbeitsplätze zu erhalten. Deshalb fehlt ein großes Lob der deutschen Tarifpartnerschaft mittlerweile in kaum einer politischen Sonntagsrede, ganz anders als noch vor zehn, fünfzehn Jahren, als ständig von der Krise des Standorts Deutschland die Rede war.
Dem Streik der kleinen Gewerkschaften ein Ende machen
Deshalb sollte die Regierung mit einem Gesetz zur Tarifeinheit den Streiks der kleinen Spartengewerkschaften ein Ende machen. Die deutsche Arbeitsministerin sollte sich darauf besinnen, was deutsche Gewerkschaften unterscheidet von denen in Frankreich, wo die Bürger viel mehr Streiks ertragen müssen. Große Gewerkschaften, die eine breite Mehrheit der Beschäftigten vertreten, sollten weiter das Recht haben, im Namen ihrer Branche aufzutreten, also für alle zu sprechen. Finden sie eine Vereinbarung mit den Arbeitgebern, muss die für alle gelten – und anschließend auch die sogenannte Friedenspflicht gelten, also das Streikverbot für Minderheiten.
Vielleicht wäre der Regierung dieser Schritt leichter gefallen, wenn die Empörung der Reisenden noch größer gewesen wäre – wer sich auf wütende Bürger berufen kann, verabschiedet schneller ein schwieriges Gesetz. Aber das ist eine ziemlich bequeme Sicht der Dinge. Dass die Deutschen bisher so gelassen auf den Arbeitskampf der Piloten reagierten, ist ein Segen. Im Recht sind die Streikenden deswegen noch lange nicht.
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