Tanz-Workshop "Habitat / @home"

"Nacktheit ist unser erstes Kostüm"

10:56 Minuten
Nackte Männer und Frauen, in transparente Folien gehüllt, bewegen sich nebeneinander auf einem schwarzen Bühnenboden.
Habitat pandemic, eine Performance von Doris Uhlich © Alexi Pelekanos
Doris Uhlich im Gespräch mit Janis El-Bira · 10.04.2021
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In der Pandemie ist ein Teil der vertrauten Körperlichkeit verloren gegangen. Die Tänzerin und Choreografin Doris Uhlich hofft, dass es bald wieder losgeht. In der Zwischenzeit lädt sie zum Projekt "Habitat / @home" ein.
Es wirkt wie eine Szene aus einer fernen Vergangenheit: Im Oktober 2019 tanzten 120 nackte Menschen schwitzend und keuchend im Wiener Tanzquartier und 600 Zuschauer bewegten sich frei inmitten dieser wogenden Körper.
"Habitat / Halle E" hieß der Abend der Tänzerin und Choreografin Doris Uhlich. Es war so etwas wie das letzte theatrale Großhappening vor der Pandemie. Aber: Das Projekt lebte weiter und kam im vergangenen Jahr als "pandemic version" zur Spielzeiteröffnung an die Münchner Kammerspiele und dort findet jetzt auch "Habitat / @home" statt, beziehungsweise eben nicht dort, sondern zu Hause bei den Tänzern und vor deren Webcams. Nackttanz natürlich eingeschlossen.

Blütenknospen der Hoffnung

Uhlich erklärt, warum sie ausgerechnet an diesem Projekt so gern festhalten will:
"Es ist tatsächlich die Sehnsucht und auch die Suche nach kollektiver Energie – trotz Pandemie und trotz Abstandhaltens und sich auch nicht live treffen zu können. ‚Habitat‘ war schon 2019 eine Utopie für mich und für viele – und jetzt durch die dystopischen Zeiten ist es noch mehr zu einer Utopie geworden. Ich suche in diesen ‚pandemic versions‘ und in ‚Habitat / @home‘ nach utopischen Blütenknospen in dieser Pandemie, die mir Hoffnung geben, dass es wieder losgeht."
Als Tänzerin und Choreografin, die sehr intensiv mit Körperlichkeit und Nähe arbeitet, habe sie vor allem den ersten Lockdown des Frühjahrs 2020 als bedrückend empfunden, sagt Uhlich:
"Das Allerschlimmste für mich war, dass ich mich fast amputiert fühlte und noch immer fühle. Dass es mir an einem Ausdrucksmittel fehlt, Empathie zu zeigen oder auch Zuneigung zu jemandem zu zeigen. Es ist tatsächlich so, dass dieses Abstandhalten und ein bestimmtes Dilemma, körperlos zu sein, dass sich das in unsere Körper einschreibt. Ich hoffe sehr stark, dass sich der Tanz als Medium dazu eignen wird, diese Einschreibungen umzuschreiben. Auch wieder diese Furcht loszuwerden, die jetzt gerade in uns allen schlummert, unseren eigenen und auch anderen Körpern gegenüber. So dass wir uns hoffentlich irgendwann nicht mehr vor unserem Rotz, Tröpfchen und Schweiß fürchten."
Porträt von Doris Uhlich, die über ihre Schulter blickt.
Österreichische Choreografin und Performance-Künstlerin Doris Uhlich© Katarina Šoškić
Furcht abzubauen gehört dabei seit jeher zum Kern von Doris Uhlichs künstlerischer, aber auch tanzpädagogischer Arbeit. Es geht darum, sich nicht für den eigenen Körper genieren zu müssen.

Den Körper aufrütteln

Deshalb zeigt Uhlich nicht nur ihre Tänzer, die häufig Laien mit unterschiedlichsten Körperformen sind, sondern auch sich selbst in ihren Arbeiten meistens nackt:
"Ich suche eine Nacktheit, die sich nicht aufbaut auf Erotisierungen oder auf Ideologien, die wir bereits kennen. Wir werden alle nackt geboren, Nacktheit ist unser erstes Kostüm. Dann beginnt man, ein Kostüm anzulegen, ein Gewand anzulegen, auch den Körper zu tätowieren, zu piercen, sich zu rasieren oder auch nicht. Letztendlich ist es so, dass der Körper für mich wie das Auto ist, das mein Leben fährt. Wenn ich nackt bin, komme ich diesem Auto näher und dem Motor näher. Ich kann meine Hand auf meine nackte Haut legen und den Körper beginnen aufzurütteln."
(jeb)

Doris Uhlichs Workshop "Habitat / @home" findet am Montag, 12. April, über die Webseite der Münchner Kammerspiele statt. Getanzt wird mit und ohne Kleidung, das jedoch ohne Kamera. Der Workshop ist offen für alle.

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