Treffpunkt Tankstelle

Der Nicht-Ort am Rande der Straße

05:27 Minuten
Eine Tankstelle in Bayern in der Abenddämmerung.
Die Tankstelle: Auf dem Land mit der beste Ort für eine Partynacht. Hier gibt es immer noch ein Bier, Wein und Sekt. © IMAGO/MiS
Von Matthias Finger · 14.05.2022
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Wenn nichts mehr da ist, oder alles schon geschlossen hat, ist wenigstens auf die Tankstelle Verlass. Dieser nach Benzin stinkende Nicht-Ort ist so viel mehr als nur tanken, bezahlen, weiterfahren.
Sie sorgte gleich bei der Ankunft im letzten Sardinienurlaub für schlechte Laune bei meiner Freundin: die kleine Tankstelle in Sichtweite der Ferienwohnung. Mein Vorschlag, auf dem Balkon einfach die Plätze und damit die Blickrichtung zu tauschen, halfen nichts: Die Tankstelle – als verheißungsvoller Ort immerwährender Mobilität – ist heutzutage „antiidyllisch“ aufgeladen.
„Wenn man Urlaubsidylle möchte, dann möchte man nicht dieses transitorische Gefühl haben: dieser Nicht-Ort. Ein Ort, an dem man nicht bleibt, der eigentlich nur eine Rolle spielt in dem Moment, wo man da anhält", sagt die Literarturwissenschaftlerin Christine Lötscher von der Uni Zürich. "Und die Tankstelle ist natürlich auch ein Ort, der einen daran erinnert, dass wir immer noch dabei sind, die Umwelt zu verpesten, obwohl wir wissen, dass wir uns das nicht mehr leisten können.“

Die Apotheke gilt als Vorläufer der Tanke

Lötscher glaubt: Die Zeiten, in denen Tankstellen Sehnsuchtsorte waren, Architekturikonen, die Urlaubs- und Freiheitsgefühle weckten, sind endgültig vorbei.
Dabei gilt die Apotheke als Vorläufer der modernen Tanke. Hier verkauftes Leichtbenzin betrieb erste Automotoren. Darauf folgten Pumpen auf dem Bürgersteig – im ländlichen Asien wird Benzin für Mopeds ja immer noch in Getränkeflaschen am Straßenrand angeboten – in Minitanken.

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Erste Großtankstellen, wie wir sie kennen, entstehen vor ungefähr 100 Jahren: Im Film „Die Drei von der Tankstelle“ aus dem Jahr 1930 wird die Tanke bereits als Ort der Begegnung in der Populärkultur etabliert. Hier kreuzen sich unvorhergesehen Biografien:
„Wenn man im Anthropozän Menschen zufällig zusammenführen will, dann ist die Tankstelle ein idealer Ort dafür – weil oft auch Leute auf der Flucht sind. Dann kommt natürlich noch dazu, dass die Tankstelle buchstäblich ein exklusiver Begegnungsort ist: Wenn sich zum Beispiel die brennende Zigarette und das Benzin begegnen, dann knallt es.“

Die Tankstelle als Sehnsuchtsort

Maler wie Edward Hopper bildeten Tankstellen ab. Fotografen porträtierten sie. Und der Schriftsteller Michel Houellebecq ist von ihnen als Handlungsort geradezu besessen. Auch der Träger des Deutschen Buchpreises, Saša Stanišić, beschreibt eine Aral-Tanke im Buch „Herkunft“ als DEN Treffpunkt seiner Jugend in Heidelberg – als Ort, an dem Herkunft keine Rolle spielt.
„Wir durften auch in diesen Geschichten, die wir dort erzählt haben, alles sein. Und es gab so gut wie keine Konflikte. Das war so eine unausgesprochene Regel: hier nicht. Vielleicht woanders, aber hier nicht.“

Gemischtwarenladen Tankstelle

Die Tankstelle ist der Treffpunkt, der noch auf hat, wenn die letzte Kneipe schließt. Hangout der Jugend. Und Tankstellen sind Retterinnen in der Not: Im ländlichen Raum sind sie oft der einzige Ort, an dem es nachts – und am Wochenende – Bier, Zigaretten und frische Brötchen gibt. Diese Nahversorgung ist für die Pächter längst ein überlebenswichtiges Geschäft: Sie erhalten nur einen Cent für jeden Liter verkauften Kraftstoff. 
„20 Prozent verdient der Pächter mit Sprit und zwar als Provision", erklärt Herbert Rabl vom Tankstellenverband TIV. "Und 60 Prozent verdient er über den Shop, über die heiße Theke, über die Zigaretten, über die Zeitschriften. Und die restlichen 20 Prozent verdient er über Zusatzleistungen, sprich Autowäsche, Reifen wechseln.“

Und was kommt nach der Tankstelle?

Tankwart ist übrigens ein anerkannter Ausbildungsberuf. Lange war ihm das Befüllen des Tanks – als Amtshandlung – vorbehalten. Erst seit den Siebzigern betanken wir unsere Autos selber: Das Abwälzen von Tätigkeiten auf den Kunden hat schon lange vor der Digitalisierung begonnen.
„Als Frequenzimmobilie, an einem bestimmten Ort, wo Straßen sich kreuzen und viele Menschen einander begegnen, wird sich die Tankstelle spezialisieren", glaubt Herbert Rabl: "Als eine Mischung aus Dienstleistung, Aufnahme von Energie, Verteilung von Paketen, Kommunikation, Post, Porto. Im Prinzip ist aus unserer Sicht die Zukunft der Tankstelle nicht in Gefahr.“
Irgendwo müssen die Schnellladestationen für lange Reisen mit Elektroautos ja stehen. Und vielleicht verbringen wir dann ja sogar noch mehr Zeit an der Tanke: Ein Ladevorgang, der den Akku zu 80 Prozent auflädt, dauert durchschnittlich eine halbe Stunde.
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