Tame Impala: "The Slow Rush"

Space-Pop, der die Zeit aus den Angeln hebt

06:53 Minuten
Tame Impala performt auf dem Northside Festival 2019 im dänischen Aarhus.
Auf dem neuen Album "The Slow Rush" blickt der Australier Kevin Parker zurück auf sein Leben. Er will sich frei machen vom Ballast der Vergangenheit. © Imago / Ritzau Scanpix / Helle Arensbak
Von Christian Lehner · 13.02.2020
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Neue Schwebemusik von Tame Impala: Auf "The Slow Rush" lädt die Band wieder zum Wegdriften ein. Mastermind Kevin Parker hat den Sound endgültig zu glitzerndem Pop entwickelt. Fast wären die Songs jedoch den Flammen zum Opfer gefallen.
Der Song "Borderline" war eines der ersten Stücke, die Kevin Parker für das neue Tame-Impala-Album "The Slow Rush" geschrieben hat. Im November 2018 mietete Parker eine Ferienwohnung in Malibu, Kalifornien, um dort in Ruhe an neuem Material arbeiten zu können. Parker hatte sein Equipment aufgebaut, sich einen Drink eingegossen und anschließend ins Bett gelegt. Die nächste Erinnerung: Jemand klopft an die Tür. Der Wald ringsum steht in Flammen.
"Ich wachte auf und da war nur noch Chaos. Der Typ an der Tür war ein Feuerwehrmann. Ich musste sofort raus. Ich hatte gerade noch Zeit, meinen alten Höfner-Bass und mein Laptop zu schnappen. Das war wichtig, denn auf der Festplatte waren mehrere neue Songs gespeichert. Eines ist sicher, das Album würde jetzt anders klingen, weil ich dort in diesem Haus in Malibu andere Songs geschrieben hätte."

Parker blickt zurück auf sein Leben

Verfänglichkeit, Nostalgie, der Blick in die Zukunft. Sechs der zwölf Songs auf "The Slow Rush" beschäftigen sich allein im Titel mit dem Faktor Zeit. Parker blickt in den Songs zurück auf sein Leben. Er will sich frei machen vom Ballast der Vergangenheit. In seinem bisher persönlichsten Stück "Posthumous Forgiveness" thematisiert er das schwierige Verhältnis zu seinem Vater. Der hatte die Familie früh verlassen und viele Erwartungshaltungen enttäuscht. Erst jetzt, zehn Jahre nach dem Tod des Vaters, findet Parker die richtigen Worte.
"Wenn jemand stirbt, kann er sich nicht mehr erklären. Die Versöhnung wird dann zum einseitigen Akt. Darum geht es in dem Song. Es braucht vielleicht ein paar Jahre, um das zu realisieren und um die Stärke zu finden. Oft funktioniert es erst, wenn man selbst erwachsen ist. Es ist nicht einfach, aber Menschen machen nun mal Fehler."
Auch wenn Kevin Parker sein Innerstes öffnet, seine Musik bleibt auf "The Slow Rush" ein zutiefst eskapistisches Unterfangen. Der Space-Pop von Tame Impala hebt die Zeit aus den Angeln. Die Gravität, die mit ihren realen Ereignissen einhergeht, löst sich in den verträumten und fantastischen Melodien und Soundwolken auf. Wir driften weit weg von den persönlichen und gesellschaftlichen Konflikten. Tame-Impala-Musik ist Schwebemusik.
"Für mich ist es wichtig, mich in der Musik verlieren zu können. Ich brauche das. Es ist ein zentraler Bestandteil von Tame Impala. Ich kann stolpern, ich kann fallen, ich muss nicht immer alles klar vor mir sehen. Das gehört einfach dazu."
Kevin Parker ist ein Sound-Eremit. Er schreibt die Songs allein, er spielt sie alleine ein, er produziert die Alben größtenteils selbst. Die vier übrigen Bandmitglieder kommen erst bei den Konzerten ins Spiel. So hatte Kevin Parker die Freiheit, in den zehn Jahren von Tame Impala, den Sound vom staubigen Psychedelic-Rock hin zu glitzerndem Dream-Pop zu führen.

Eine eigene Umlaufbahn

Das schmeckt nicht allen Rockfans, hat aber Tame Impala davor bewahrt, wie viele andere Bands in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Im Gegenteil: Popstars wie Rihanna covern Tame-Impala-Songs, Hip-Hop-Größen wie Kanye West und Kendrick Lamar bemühen sich um Zusammenarbeit.
"Ich glaube nicht, dass jemand Pop nicht mag. Schon klar, man identifiziert sich in einem bestimmten Lebensabschnitt mit bestimmten Genres, aber zu behaupten, Pop sei grundsätzlich albern, ist in etwa so, als würde man behaupten, Kleinkinder mögen keine Wiegenlieder.
Kevin Parker hat Tame Impala mit dem neuen Album "The Slow Rush" endgültig in eine eigene Umlaufbahn geschossen. Dort bilden Psych-Rock, Dancefloor-Grooves und Dream-Pop ein funkelndes und harmonisches Sternenbild. Andere Rockbands sollten sich ein Beispiel nehmen, wollen sie im Zeitalter des Streamings und der Genre-Auflösung relevant bleiben.
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