Talmud online in deutscher Übersetzung

Herz und Hirn des Judentums

12:29 Minuten
Gemälde "Talmudleser" von Marianne von Werefkin
Den Talmud sollte man nicht allein lesen. Marianne von Werefkin malte "Talmudleser" um 1924. © picture alliance / akg-images
08.10.2021
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Der Talmud ist jetzt online in deutscher Übersetzung nachzulesen. Er sei das "Herz oder das Gehirn" des jüdischen Denkens, sagt der orthoddoxe Rabbinatsstudent Igor Itkin. Wer wissen wolle, "wie Juden ticken", erfahre das im Talmud.
Beim Talmud handelt es sich um eine Bibliothek jüdischen Wissens, die über viele Jahrhunderte entstanden ist. Rabbinen späterer Jahrhunderte kommentieren das, was Rabbinen früherer Jahrhunderte aufgeschrieben haben. Der Talmud ist ungefähr so lang wie der Große Brockhaus. Bis heute wird er kommentiert.
Er sei mit einem großen Forum im Internet vergleichbar, sagt der orthodoxe Rabbinatstudent Igor Itkin. "Dieses Forum ist noch nicht geschlossen, und es wird auch nie geschlossen werden." Itkin hat die deutsche Talmud-Übersetzung zusammen mit anderen online gestellt. Die zahlreichen Querverweise seien mit den vielen Links im Internet vergleichbar.

Intellektuelle Herausforderung

Der Talmud besteht aus vielen Diskussionen – oft über Fragen des jüdischen Religionsgesetzes, der Halacha. Die Diskussionen seien wichtig, um einen Sachverhalt aufzuhellen, um daraus das praktische Gesetz abzuleiten, sagt Igor Itkin. Die Beschäftigung mit dem Talmud sei "ein sehr gutes Gehirntraining". Das Werk biete mannigfache intellektuelle Herausforderungen. "Oft muss man puzzeln, um herauszubekommen, was die Antwort ist und was die Frage ist", so der Student am orthodoxen Rabbinerseminar Berlin.
Auf der Plattform sefaria.org, auf der die deutsche Talmudübersetzung zu finden ist, können Interessierte zahlreiche klassische jüdische Texte im Original und Übersetzung kostenlos abrufen. Meist handelt es sich um englische Übersetzungen. Sefaria bedeutet übersetzt Bibliothek.

Übersetzung gegen antisemitische Lügen

Die deutsche Übersetzung, die jetzt online gegangen ist, stammt von dem jüdischen Gelehrten Lazarus Goldschmidt. Es handelt sich um die erste Übersetzung des Talmuds in eine moderne Sprache. Goldschmidt habe am Ende des 19. Jahrhunderts und am Anfang des 20. Jahrhunderts 40 Jahre an der Übersetzung gearbeitet, erzählt Rabbinatsstudent Itkin. Die Anregung zur Übersetzung sei von Goldschmidts christlicher Vermieterin gekommen. Eine Übersetzung solle antisemitische Behauptungen widerlegen. Damals seien viele antisemitische Lügen über den Inhalt des Talmuds im Umlauf gewesen. Goldschmidt habe mit seiner vollständigen Übersetzung zeigen wollen, was wirklich im Talmud steht.
Das Wort Talmud bedeutet "Lernen". Empfehlenswert sei es, den Talmud mit einem Lernpartner oder einer Lernpartnerin zu studieren, sagt Itkin. Das biete Anregungen und mache mehr Spaß als das Studium alleine.
(bey)
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