Tal Arditi und "Colors"

"Ich wollte die Gitarre spielen wie ein Klavier"

06:01 Minuten
Tal Arditi sitzt mit seiner Karriere im Innern eines Cafés vor der Fensterfront mit Blick nach außen, wo eine melancholische Abendstimmung herrscht.
Der Jazzmusiker Tal Arditi: An der Gitarre nimmt er sich allen Freiraum, den er braucht. © talarditi.com
Von Sophia Fischer · 21.09.2020
Audio herunterladen
Bereits in jungen Jahren hat sich Tal Arditi einen Namen in der Jazzszene gemacht. Seit einigen Jahren lebt der israelische Gitarrist in Berlin, wo er mit dem Trio Tolyqyn reüssierte. Jetzt erscheint mit "Colors" sein facettenreiches neues Album.
"Viele Menschen glauben, auf Inspiration müsste man warten. Ich denke, das ist wie bei einem Muskel: Inspiration kann man trainieren, wie alles andere auch.
Tal Arditi ist kein Wunderkind. Jedenfalls nicht nur. Für ihn gibt es einen Plan A und sonst nichts. An seiner Zimmerwand, so sagt er, hängt eine Liste mit über zwanzig neuen Songideen aus den letzten zwei Monaten. Das Smartphone ist voller Voice-Memos, die als Kompositionsskizzen dienen und wenn Arditi einen Denkanstoß braucht, dann spielt er Bach. Wieder und wieder. Seit drei Jahren, jeden Tag.
Auch mit dem Album "Colors" verfolgt Tal Arditi einen Plan. Das Projekt sollte anders werden, als alles, was er bisher veröffentlicht hat. Irgendwie echter, näher an ihm selbst und damit ein Genrehybrid aus den Musikstilen, die den Gitarristen mit seinen heute 22 Jahren geprägt haben: Jazz natürlich. Aber auch brasilianische Rhythmen, Klassik und Rockmusik.

"Ich war jeden Abend unterwegs"

Tal Arditi war 18 Jahre alt und lebte in Israel, als seine Eltern in die Schweiz zogen. Tal kam mit. Aber es dauerte nicht lange, bis sich der Musiker den nächsten Zug nach Berlin schnappte, um mit nur einem Koffer, dafür aber drei Gitarren im Gepäck, sein Glück in der Großstadt zu versuchen. Sein Jazzdiplom hatte Arditi zu diesem Zeitpunkt schon. Was er brauchte, waren neue Kontakte. Also tingelte der Gitarrist durch Berliner Jazzclubs wie das A-Trane oder den Zig Zag Jazz Club. Bei den Jam-Sessions war er zwar immer der Jüngste, aber was macht das schon.
"In meinem ersten Jahr war ich jeden Abend unterwegs. Ich musste einfach Leute kennen lernen. Ich bin mit der Einstellung aufgewachsen, dass man eigentlich nichts zu verlieren hat. Das stimmt zwar nicht immer, aber irgendwie ist das in meinem Kopf. Klar ist es am Anfang beängstigend, aber wenn man öfter bei Jam-Sessions ist, dann gewöhnt man sich dran. Dann merkt man auch, wann der richtige Moment ist, um mitzumachen. Ich glaube, wichtig ist auch, dass man einfach eine sympathische Person ist."

Kontrabass und Schlagzeug als Vertraute

Mit dem Bassisten Lukas Traxel und dem Schlagzeuger Tobias Backhaus hat Tal Arditi zwei aufeinander eingespielte Musiker an seiner Seite. Das Trio ist in einem ständigen, wachen Austausch. Alle haben Soli oder experimentelle Momente. Aber vor allem bilden Kontrabass und Schlagzeug die musikalische wie künstlerische Vertrauensbasis für den jungen Gitarristen.
Tal Arditi nimmt sich an der Gitarre allen Freiraum, den er braucht. Aus einem ruhigen Augenblick heraus, prescht der Musiker innerhalb kürzester Zeit nach vorne, lässt sich in effektreichen, verzerrten E-Gitarrenklängen aus und weicht dann wieder zurück, als sei nie etwas passiert. Das ist kein Show-Off, sondern Spielfreude. Und trotz der intensiven Dynamik verliert die Musik nicht an Komplexität. Oft spielt Tal Arditi sogar mehrere Stimmen gleichzeitig. Dafür nimmt er seine Fingernägel zur Hilfe. Eine Technik, die er im Studium zwar nie gelernt hat, die ihn aber begeistert:
"Was ich daran mag, ist, dass ich die Möglichkeit habe, mit verschiedenen Rhythmen zu spielen. Du kannst einen Rhythmus mit dem Plektrum spielen und einen anderen mit den Fingern. Ähnlich wie bei einem Klavier. Ich glaube, deswegen hab ich auch damit angefangen. Ich wollte die Gitarre so spielen wie ein Klavier."

Eine facettenreiche Momentaufnahme

Tatsächlich sind es gerade Pianisten wie Keith Jarrett oder Brad Mehldau, die Tal Arditi inspirieren. Auch, weil er als Gitarrist keine Gefahr läuft, ihren Stil unbemerkt zu imitieren. Arditi will sein eigenes Ding machen.
Auf "Colors" schwingt in jedem Stück eine andere persönliche Geschichte mit. Seine Kompositionen betrachtet Tal Arditi eher als Songs. Zwar bleiben die Worte aus, aber melodisch erzählt der Musiker von seinen Reisen, Herzschmerz oder dem Alltag in Israel. Sein Album "Colors" ist eine beeindruckende Momentaufnahme und ausgesprochen facettenreich.
"Ich glaube, dass alles irgendwie zusammenhängt. All diese Dinge, die dich beeinflussen, werden irgendwann zu deiner Persönlichkeit. Am Ende ist es ein und dasselbe."
Mehr zum Thema