Täuschend realistische Träume

Von Carsten Probst |
Der amerikanische Fotograf Gregory Crewdson scheut bei der Herstellung seiner Fotografien keinen Aufwand – er ist vergleichbar mit der Organisation eines Filmsets. Seine Inszenierungen einer mysteriösen Welt zeigt eine Ausstellung in Berlin.
Diese Aufnahmen wirken so amerikanisch, wie Fotografie aus den USA nur wirken kann. Zum Beispiel "Tafel Nr. 65", Großformat aus der Serie "Beneath the Roses", die wie so oft bei Gregory Crewdson in der ambivalenten Idylle von Vorstädten spielt.

In der Bildmitte steht eine junge Frau mit nackten Füßen auf einer Vorstadtstraße; im Hintergrund ein hell erleuchtetes Einfamilienhaus mit Veranda und Hollywoodschaukel und ein Taxi von hinten. Die Tür zum Fond steht offen, das Auto scheint abrupt angehalten zu haben. Im Wagen sitzen zwei Männer, der Taxifahrer und ein Fahrgast, man sieht nur ihre Hinterköpfe, und beide scheinen wie erstarrt dazusitzen, sie drehen sich nicht nach der Frau um, die so überstürzt ausgestiegen zu sein scheint, dass sie ihre Schuhe in der Hand hält, als habe sie noch keine Zeit gehabt, sie anzuziehen.

Gregory Crewdson: "'Beneath The Roses' ist in vielerlei Hinsicht ein Projekt von epischen Ausmaßen. Es begann 2002 und endete 2008. Es gab acht verschiedene Produktionen, und wenn Sie sich das Katalogbuch dazu ansehen, finden Sie auf der Seite mit den Danksagungen Hunderte von Namen von Mitwirkenden. Es gibt zwei verschiedene Arten, wie die Bilder für dieses Projekt entstanden sind: einmal direkt vor Ort, wie Sie hier gerade sehen, in einer Kleinstadt, mit Nachbarschaft und Landschaften drum herum. Und die anderen, die in Innenräumen aufgenommen sind, wurden im Studio produziert und die Interieurs eigens hergestellt.

Die Idee dahinter ist, sie alle zu Teilen einer zusammenhängenden Welt zu machen. Teil einer mysteriösen, zugleich wunderschönen und sehr besonderen Welt."

Der 1962 in Brooklyn als Sohn eines Psychoanalytikers geborene Crewdson scheut keinen Aufwand bei der Herstellung seiner Fotografien und erarbeitet sie mit einer vergleichbaren Organisationsform, wie bei Filmsets. Zu einer Crewdson-Ausstellung gehören immer auch die kleinformatigen Dokumentationen der Vorbereitung der Szenen, des Schminken der Darsteller, der Lichtregie, der Bildvarianten. Inszenierung ist die einzige Realität.

Für jede Aufnahme benötigt Crewdson im Schnitt drei Monate. Realität existiert in seinen Bildern nur noch als Gedanke, als täuschend realistischer Traum, in dem jedoch alles nur noch nach filmischen Vorbildern abläuft. Damit ähnelt Crewdsons Arbeitsweise der seines zeitweiligen Vorbildes, des Kanadiers Jeff Wall, der durch die digitale Komposition seiner Bilder in den achtziger Jahren zu einem der großen Bahnbrecher der inszenierten digitalen Fotografie geworden ist.

Wall zitiert allerdings lieber aus der Kunstgeschichte, während Crewsdon sich eher mit der Filmästhetik auseinandersetzt.

"Ich sehe mir sehr gern Filme an, eigentlich bin ich sogar Cineast. Aber ich denke trotzdem anders, als Filmemacher es tun. Ich denke trotz allem immer noch in Form von Einzelbildern. Wenn ich ein Bild zusammensetze, dann denke ich nicht an ein Davor und Danach, und ich weiß nie genau, was mein Bild dann letztlich bedeutet. Alles gehört diesem einen Moment im Bild, und ich fürchte, das würde mich zu einem schlechten Filmemacher machen. Denn mich interessiert nicht, was als Nächstes passiert. Meine Filme wären also ein bisschen langsam, wahrscheinlich."

So filmisch seine Ästhetik, Crewdsons Bilder wirken in ihren Formaten von durchschnittlich 1,50 mal 2,20 Metern zugleich auch wie hyperrealistische Mixturen verschiedener Medien. Ganz ähnlich wie bei den Gemälden eines Edward Hopper – im Unterschied zu diesem jedoch lässt Crewdson nicht einmal den Hauch einer Emotion oder einer lyrischen Anwandlung zu.
In einer seiner neueren Serien- "Sanctuary" von 2009 und 2010 - konzentriert sich Crewdson auf szenografische Architektur und reiste dafür in ein leeres Studio der Cinecittá in Rom:

"Ich hätte nie damit gerechnet, dass ich einmal Bilder außerhalb Amerikas, außerhalb dieser zwei, drei Städtchen mache, in denen ich bisher wieder und wieder meine Bilder gemacht habe. Ich sehe mich eigentlich als amerikanischen Fotografen, der auch in Amerika arbeitet, in der Tradition derer, die mich durch ihre Kunst inspiriert haben, Künstler, Filmemacher, Schriftsteller, die auf ähnlichem Terrain arbeiten wie ich, die Überschneidung von Alltagsleben und Unterbewusstem, Autoren wie Raymond Carver oder Filmemacher wie David Lynch."

Eine irreale Kulissenwelt ohne Menschen zeigt sich in diesen Schwarz-Weiß-Fotografien, die das Prinzip von Crewdson eigener inszenierter Fotografie umdreht und die Realität der Illusion selbst fokussiert. Das Medium der Fotografie, dass sich selbst der Illusion überführt, dreht sich im unendlichen Kreis zwischen Entlarvung und Bestätigung der Erwartungen des Betrachters. Wie sie aus diesem Kreislauf herausfinden will, ob sie es überhaupt muss? Auch das ist nur von vielen offenen Fragen in Crewdsons Bildern.

Service:
Die Ausstellung Gregory Crewdson. In a Lonely Place ist bis zum 4.9.2011 bei C/O Berlin im Alten Postfuhramt in Berlin zu sehen.
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