T. Brandes/ M.Decker: "Ostfrauen verändern die Republik"

Die Frauen, die den Westen "ostiger" gemacht haben

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Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin bei der Eröffnung der Fotoausstellung "Über Leben" im Deutschen Historischen Museum vor einem Bild von Thomas Hoepker mit dem Motiv eines Trabis.
Bundeskanzlerin Angela Merkel ist die bekannteste, aber nicht die einzige führende Politikerin aus dem Osten. © picture alliance / dpa / Michael Kappeler
Von Carolin Born · 27.04.2019
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In der DDR konnten Frauen, zugespitzt gesagt, arbeiten und abtreiben. Im Bereich der Gleichstellungspolitik hatten die Ostfrauen die Nase vorn - und haben es bis heute. Die Sache hat aber einen Haken.
Als die DDR zusammenbrach, stand Viola Klein vor dem Nichts: Sie verlor ihren Job als Leiterin eines Kindergartens. Gerade von ihrem Mann getrennt war sie alleinerziehende Mutter von zwei kleinen Söhnen. Doch sie hat den Umbruch gemeistert und leitet heute eine ihre eigene Software-Firma.
Viola Klein ist eine der "Ostfrauen", die Tanja Brandes und Markus Decker in ihrem Buch porträtieren. Klein hat es weit gebracht hat. Und dabei von ihren spezifischen Erfahrungen in der DDR profitiert. Schon Kleins Mutter, die Betriebsleiterin in einer Ledermanufaktur war, hat ihr vermittelt, dass Mädchen dasselbe können wie Jungs. Hinzu komme, so Viola Klein, dass die Ostfrauen es gewohnt waren, gleichzeitig den Haushalt und ihre Arbeit unter einen Hut zu kriegen. Nach der Wende hätten sich viele Ostfrauen besser an die neuen Gegebenheiten angepasst.

In Cottbus verdienen die Frauen mehr als die Männer

"Ostfrauen verändern die Republik" lautet der Titel des Buches. Angela Merkel ist die bekannteste, aber nicht die einzige führende Politikerin aus dem Osten. Die Autoren porträtieren Katrin Göring-Eckard, Katja Kipping und Manuela Schwesig. Daneben kommt die Spitzensportlerin Katharina Witt zu Wort oder die Schauspielerin aus Toni Erdmann, Sandra Hüller.
Ostfrauen hätten wie die Ostmänner mit der Wende zunächst viel verloren, aber dann flexibler reagiert. Sie reagierten flexibler, indem sie häufiger für den Job in den Westen zogen - wohingegen die Männer mit angekratztem Selbstbewusstsein im Osten zurückblieben, wo dann noch die Westmänner Karriere machten.
Bis heute fallen die Ostfrauen nicht nur in Spitzenpositionen auf, sondern sind häufiger als Westfrauen berufstätig. Außerdem ist der Gender Pay Gap im Osten geringer als im Westen. In Cottbus oder Frankfurt (Oder) verdienen Ostfrauen sogar mehr als Ostmänner. Und die Ostfrauen hätten dem wiedervereinigten Deutschland auch dadurch ihren Stempel aufgedrückt, dass der Westen ostiger wurde, indem sich das Erbe der DDR im Bereich der Gleichstellung durchgesetzt hat: zum Beispiel bei der Kinderbetreuung oder der Erwerbstätigkeit.

Die DDR hat die Ostfrauen für den Kapitalismus fit gemacht

Idealisiert wird dabei nichts. Die Ostfrauen schildern die Doppel- und Dreifachbelastung: Neben ihrem Job waren sie für den Haushalt und nach der Arbeit noch für die Kinder zuständig. Dafür reichte der eine Haushaltstag im Monat nicht aus. Außerdem wird nicht beschönigt, dass die Erwerbstätigkeit nicht nur Chancen bot, sondern finanziell oft notwendig sowie ab 1968 in der Verfassung festgeschrieben war. Und dass die Gleichberechtigung weder bis ins Privatleben noch in die führende politische Ebene reichte.
Flexibel, aufstiegsorientiert und durchsetzungsstark - so werden die Ostfrauen im Buch beschrieben. Diese Fähigkeiten verhalfen ihnen im wiedervereinigten Deutschland zum Erfolg. Dass die SED damit die Ostfrauen gewissermaßen für die Karriere im Kapitalismus fit gemacht hat, entgeht den beiden Journalisten Brandes und Decker nicht. Neben dieser Erkenntnis erzählen verschiedene Ostfrauen ihre Geschichte: die Pilotin bei Air Berlin neben der VW-Chefin oder der Feministin Anne Wizorek. Sie alle verbinden ihre verschiedenen Erfahrungen als erfolgreiche Ostfrauen.

Tanja Brandes, Markus Decker: "Ostfrauen verändern die Republik"
Ch. Links Verlag, Berlin 2019
224 Seiten, 18 Euro

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