Syrisch-deutsche Performance

Tanzen ist berühren

Eine Performance des syrischen Tänzers Medhat Aldaabal und der Tänzerin Hilla Steinert.
Eine Performance des syrischen Tänzers Medhat Aldaabal und der Tänzerin Hilla Steinert. © Susann El Kassar
Von Susann El Kassar  · 04.01.2017
In Damaskus hat Medhat Aldaabal an einer Hochschule tanzen gelernt. Als er im Juli 2015 nach Deutschland kam, hat er schnell Kontakt zur Tanzszene gefunden. Jetzt arbeitet er zusammen mit der Tänzerin Hilla Steinert an einer eigenen Performance - und ist fasziniert von ihren Methoden.
Eine kalte Wand. Und für einen Moment erinnert sich Medhat an die Kälte in Griechenland. An Tage, in denen er gefroren hat wie nie zuvor, trotz dicker Jacke.
Hilla Steinert hat ihn gegen die Wand gelehnt. Es ist eine Übung auf dem Weg zu ihrer gemeinsamen Performance. Sie bewegt sich und sie bewegt ihn, er bleibt dabei passiv. Nach einer kurzen Pause tauschen sie die Rollen, Medhat entscheidet über sie beide. Und er verarbeitet die kurze, blitzhafte Erinnerung in einer spontanen Aktion:
Er kleidet Hilla in seinen dicken Wintermantel, aber so, dass die Kapuze ihr Gesicht verdeckt. Hilla verwandelt sich in eine dunkelgrüne Puppe. Dann steckt er ihre Hände in rote Handschuhe, geduldig, einen Finger nach dem anderen. Zum Schluss setzt er sie im Schneidersitz vor die Wand, malt auf die Kapuze einen Smiley und blickt konzentriert auf diese grüne Kapuzenmaske.
Später reden sie über diesen Teil Performance.
"Als du meine Finger in die Handschuhe gesteckt hast, hat sich mein Körper angefühlt wie tot."

Berührung als künstlerisches Mittel

Ende Oktober sind Hilla Steinert und Medhat Aldaabal sich zum ersten Mal begegnet. Seitdem treffen sie sich wöchentlich und entwickeln eine Performance. Ein Freund von Hilla hatte ihr die Kontaktdaten von Medhat geschickt. Sie hat ihn daraufhin zu einem Workshop eingeladen.
"Und ich hab mit Berührung gearbeitet", erklärt Hilla später in einem Café. "Und dann wusste ich ja, dass er aus Syrien kommt und dass es in Syrien nicht so üblich ist, dass man sich gleich berührt, und ich hab ihn als Partner genommen, weil ich ihn da nicht reinschmeißen wollte und ich hatte das Gefühl, er macht das schon immer und ewig, (so wie du das heute auch gesehen hast). Und dann mache ich hinterher meine Feedbackrunde und dann sagt er 'hat er noch nicht gemacht', er hat schon mal mit Berührung gearbeitet, aber nicht so."

Darauf angesprochen findet Medhat das überhaupt nicht überraschend. Er nimmt diese freie Form des Tanzes wissbegierig auf und lässt sich darauf ein. Wenn Hilla, eine zarte Person, sich auf den Boden rollt, sich zu einem Paket zusammenschnürt und wieder öffnet, ihn sucht, wenn sich nur die Hände berühren, sie ihren Kopf an seinen Rücken lehnt oder sogar ihren Körper wie eine Schablone auf seinen legt.
"Tanz ist überall auf der Welt gleich, nur die Sprache ist eine andere. Ich kam hierhin ohne Englischkenntnisse, ich hab’s hier gelernt. Beim Tanzen muss man aber nicht reden. Mund halten und einfach machen! Loslegen! Dann findest du es schon."

Späte Anerkennung durch Vater und Großvater

Medhat hat in Damaskus Tanz studiert und auch abgeschlossen. Gegen den ausdrücklichen Wunsch des Vaters und des Großvaters. Nicht weil sie tanzen an sich verwerflich fanden, sondern, weil ein Tänzer einfach nicht so angesehen ist wie ein Ingenieur oder ein Arzt. Aber nach einem Umweg über Medizintechnik ist Medhat seinem Wunsch einfach gefolgt. Und spätestens als er mit einer Kompanie durch den Nahen Osten tourte, fanden auch die Familienoberhäupter Anerkennung für seine Kunst.
Im Studium hat er die üblichen Grundlagen gelernt, modernen Tanz, Ballett, Jazz und darüber hinaus auch noch die spirituellen Sufi-Tänze oder auch Folkloretanz wie Dabke. Aber er beklagt, dass Tanz in Syrien überhaupt nicht am Puls der Zeit gewesen wäre.
"Die Tanzwelt entwickelt sich wirklich schnell, da passiert sehr viel. Und wir kriegen in Syrien davon nichts mit. Als ich hierher gekommen bin, habe ich das alles neu kennen gelernt. Die Übung heute – Hilla macht das vermutlich schon 30 Jahre lang, für mich war’s das erste Mal!"
Medhat Aldaabal ist im Juli 2015 nach Berlin gekommen. Und wurde dort zentral, am Hackeschen Markt untergebracht. Zufällig hat er das Büro von Sasha Waltz gefunden, ein Name, der ihm geläufig war. Und er hat frei heraus gefragt, ob er in der Kompanie mittanzen dürfte. Medhat wurde daraufhin zu einem Workshop eingeladen und hat viele neue Kontakte zu anderen Tänzern knüpfen können. Davon profitiert er sehr. Der 29-jährige kann mittlerweile täglich in einem Studio proben.

"Berlin ist das neue Damaskus"

Noch vor der Tanzstunde mit Hilla klang Medhat entnervt. Er muss dringend einen Platz für einen Integrationskurs finden, will aber nicht 40 Minuten quer durch die Stadt fahren, um die Schule zu erreichen. Im Interview relativiert er seinen Ärger und lacht bübisch über sich selbst.
"Ich kenne das System, es ist ein gutes. Aber wenn man nicht kriegt, was man will und zwar schnell, dann fängt man an zu meckern, aber trotzdem weiß ich, es ist ein gutes System."
Und Medhat weiß auch, dass er sein Deutsch verbessern muss. Aber in der Tanzszene würde leider immerzu Englisch gesprochen werden, fügt er schnell hinzu. Die Tanzszene war für ihn der entscheidende Anker, um in der Stadt überhaupt so gut Fuß fassen zu können. Und Heimatgefühle für Berlin zu entwickeln.
"Berlin ist das neue Damaskus. Ich weiß nicht warum, aber diese Stadt ist voller Liebe."
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