Symposium

Warum die Platte schützen?

Hans-Rudolf Meier im Gespräch mit Dieter Kassel · 30.01.2014
Plattenbauten haben nicht den besten Ruf. Warum sollten man sie denkmalpflegerisch erhalten? Weil es ein "historisches", ein "städtebauliches" und ein "künstlerisches" Interesse an ihnen gibt, meint Hans-Rudolf Meier.
Dieter Kassel: An der Bauhaus-Universität in Weimar findet ab morgen – heute Abend ist die Eröffnung – ein Symposium zum Thema Denkmal-Ostmoderne statt. Begleitend gibt es auch an der Universität zwei kleine Ausstellungen. Wenn man über Ostmoderne allgemein spricht, über Bauwerke, die in den 1970er- und 80er-Jahren entstanden sind, dann klingt das ja erst mal völlig in Ordnung. Natürlich muss man sich auch um diese Gebäude kümmern.
Wenn man ein bisschen länger darüber nachdenkt, fällt einem ein, dass es ja überwiegend Plattenbauten sind, die da zur Diskussion stehen, und dann gibt es eine ganze Menge Leute, die, sagen wir mal, anders als bei hübschen Barockschlössern oder Gründerzeit-Bauten nicht so richtig einsehen wollen, dass die schützenswert sind. Genau darüber wird in Weimar diskutiert werden, was schützenswert ist, wie man es schützen kann, und sicherlich auch ein bisschen, wie man es der Bevölkerung vermitteln kann.
Wir wollen genau darüber auch jetzt mit sozusagen dem Einladenden sprechen: mit dem Inhaber des Lehrstuhls für Denkmalpflege und Baugeschichte an der Uni Weimar, Hans-Rudolf Meier. Schönen guten Morgen, Professor Meier.
Hans-Rudolf Meier: Guten Morgen, Herr Kassel.
Kassel: Ich habe es jetzt vorsichtig umschrieben und sage es jetzt sehr direkt: Das was Sie zum Teil schützen wollen, finden manche Menschen schlichtweg hässlich. Ist denn Hässlichkeit, schön oder nicht, für einen Denkmalpfleger überhaupt ein Kriterium?
Meier: Es ist sicher kein zentrales Kriterium. Schönheit kann ein Kriterium sein für Denkmalwürdigkeit, aber es ist sicher nicht das entscheidende Kriterium. In der Regel geht es ja darum, dass diese Bauten, die man als Denkmale schützt, insbesondere immer ein historisches Interesse haben, ein historisches, ein städtebauliches oder eben ein künstlerisches. Schönheit kann nur ein Kriterium sein, kann ein Kriterium sein, muss aber nicht ein Kriterium sein für die Denkmalwürdigkeit und ist nicht Voraussetzung.
Kassel: Machen wir das doch mal ein bisschen anschaulich an einem konkreten Beispiel. Gucken wir uns die Stadt Halle an der Saale an. Ich kann mich erinnern, als ich in den frühen 90ern mal durch die Altstadt lief. Das muss man auch denen, die nicht da waren, erklären: es gibt da eine Altstadt. Die meisten Leute denken sofort an die Großsiedlung in Halle-Neustadt. Im eigentlichen Halle gibt es eine ganz hübsche Altstadt und mitten darin gibt es aber Gebäude, die in den 80er-Jahren in Plattenbauweise entstanden sind. Ich bin ehrlich: Als ich das das erste Mal sah, dachte ich, oha, eine Bausünde. Das ist es aus Ihrer Sicht, glaube ich, nicht?
"Die DDR-Planer wollten in Halle einen innenstadtgerechte Platte schaffen"
Meier: Als ich dies das erste Mal gesehen habe, ging es mir auch so. Das war in den 90er-Jahren. Aber inzwischen, glaube ich, haben wir auch eine ganz andere Distanz dazu, schon eine gewisse zeitliche Distanz. Und es geht ja darum, dass man diese Dinge dann auch versucht, wirklich zu kontextualisieren, im historischen Kontext zu analysieren, und da stellt man gerade bei dem Beispiel, das Sie gesagt haben, bei den Innenstadtplatten in Halle fest, das sie Zeugnis eines echten Bemühens sind in den 80er-Jahren von den DDR-Planern, eine innenstadtgerechte Platte zu schaffen, also altstadtgerecht zu bauen, tatsächlich die Altstadt, soweit sie erhaltensfähig war oder man damals geglaubt hat, sie sei noch erhaltensfähig, die zu erhalten und dazu Ergänzungsbauten zu machen, die einigermaßen da reinpassen.
Das ist gegenüber dem, was vorher gemacht worden ist, nämlich gegen diese Großsiedlungen an der Peripherie, durchaus ein Fortschritt, den man auch historisch einordnen kann: in den 70er-Jahren das neue Interesse an der alten Stadt, im Westen wie im Osten, im Westen das europäische Denkmalschutzjahr _75, aber das hatte auch Konsequenzen in der DDR, dass man sich der Altstadt zugewandt hat und versucht hat, altstadtgerecht mit den damals zur Verfügung stehenden Mitteln zu bauen.
Kassel: Ist das vergleichbar mit dem, was heute geschieht und oft kritisiert wird, wenn in Berlin oder zum Beispiel auch in Potsdam zerstörte Stadtschlösser wieder aufgebaut werden und möglichst so aussehen sollen wie früher? Hat man das damals auch versucht, oder war das was ganz anderes?
Meier: Es ging nicht darum, irgendwie im historisierenden Stil zu bauen. Das wollte man nicht und das konnte man so auch gar nicht. Es mussten ja immer noch Wohnungen produziert werden. Die Wohnungsfrage war ja die zentrale Frage und da kam man natürlich mit solcher Bauweise, wie das heute in der sogenannten Neuen Altstadt Frankfurt gemacht wird, nicht weiter. Man wollte auch tatsächlich modern bauen, aber städtebaulich so, dass die großen Strukturen der Altstadt erhalten geblieben sind.
Kassel: Nun gibt es gerade in Halle ja beides. Es gibt die Gebäude, über die wir geredet haben, und es gibt Halle-Neustadt, eine typische Stadtrandsiedlung aus Hochhäusern in Plattenbauweise, als Hanoi auch bekannt und verschrien. Ist so was zum Beispiel aus Ihrer Sicht auch schützenswert?
Meier: Halle-Neustadt ist natürlich gewissermaßen ein herausragendes Zeugnis der Planungen der Moderne. Halle-Neustadt ist, glaube ich, in diesem Jahr 50 Jahre alt. Dort sind in einer eigentlich schon modellhaften Weise die Paradigmen der Moderne verwirklicht: Licht, Luft, Sonne. Diese ganzen Planungskonzepte, die in den 1920er-, 30er-Jahren entwickelt worden sind, Le Corbusier et cetera., die konnten da relativ spät dann tatsächlich umgesetzt werden, und insofern, könnte man sagen, wäre Halle-Neustadt natürlich historisch und städtebaugeschichtlich durchaus ein erhaltenswertes Objekt und ein denkmalfähiges Objekt, aber natürlich mit täglichen Problemen verbunden. Das ist ganz klar.
Kassel: Die Frage ist natürlich: es ist vor allen Dingen auch ein sehr großes Projekt und für die Stadt Halle heute eigentlich zu groß. Das ist ja eine der sogenannten schrumpfenden Städte. Das Problem hat man ja oft mit großen Gebäuden: Man kann nichts erhalten oder man kann es oft nicht erhalten, wenn die eigentliche Funktion als solche nicht mehr machbar ist.
Durch ihre Größe denkmalwürdig, aber extrem schwierig umzunutzen
Meier: Das ist ein zentrales Problem natürlich genau dieser Großsiedlungen oder überhaupt dieser Großbauten der 60er- bis 80er-Jahre. Die wurden für ganz spezifische Aufgaben errichtet, sind riesengroß, und gerade durch diese Größe und diese Spezifik sind sie eigentlich denkmalwürdig. Aber gleichzeitig sind sie extrem schwierig umzunutzen oder nur in Teilen zu erhalten, und das ist, glaube ich, etwas, das wir an dieser Tagung einfach diskutieren werden, und etwas, über das wir auch in den nächsten Jahren im übrigen in einem größeren Forschungsprojekt forschen werden: wie kann man damit umgehen, wie kann man mit solchen Großobjekten umgehen? Versuchen, deren denkmalfähige oder denkmalwürdige Elemente zu erhalten und trotzdem sie so zu entwickeln, dass sie auch irgendwie wirtschaftlich und sozial weiterhin nutzbar sind. Aber das ist eine Frage, die kann ich oder die kann vermutlich auch niemand Ihnen heute einfach so beantworten, sondern das ist das, was uns im Moment umtreibt.
Kassel: Nun könnte man als Laie umgekehrt denken, wenn die Gebäude noch voll als Wohnraum genutzt werden, ist das besser. Da gibt es natürlich auch wieder Probleme. Kommen wir zurück in die hallensische Innenstadt, die Altstadt. Diese Gebäude sind Mietwohnungen, die gehören der Wohnungsbau-Genossenschaft, die muss – das ist in Deutschland Gesetz – auch Wärmedämmung machen. Das geht am besten und auch am preisgünstigsten an der Außenfassade. Da haben wir doch einen Konflikt zwischen vernünftiger Nutzung und den Wünschen des Denkmalschutzes, oder?
Meier: Da haben wir einen Konflikt. Gerade in Halle, in der hallenser Innenstadt kann man das auch sehen, dass einzelne dieser Siedlungen schon saniert worden sind, und zwar in der üblichen Weise, indem man diese Wärmedämm-Pakete daran klebt. Und dann kann man aber auch sehen, was das dann bewirkt, dass nämlich die Qualitäten, auch die architektonischen Qualitäten, die man durchaus im Detail sehen kann, die gerade in den 80er-Jahren in einer Art Postmoderne ja auch bei diesen Bauten zu beobachten sind, dass die dann weg sind.
Entsprechend, glaube ich, ist es eben auch wichtig, da zu vermitteln, dass man auch mit diesen Bauten durchaus denkmalwürdig irgendwie umgehen muss, so umgehen wie mit anderen Denkmalen, dass man nicht einfach die billigste Isolierung außen hinpappt, sondern dass man versucht, wie das mit anderen historischen Bauten auch versucht wird, die energetische Situation zu verbessern, ohne diese großen Pakete hinzuknallen. Man kann die Fenster verändern, man kann Innendämmung machen et cetera. Wir haben bei uns Forschungen, auch von Studierenden sehr schöne Forschungen, die zeigen gerade am Beispiel von Halle, dass das durchaus möglich ist.
Kassel: Lassen Sie mich eine Frage nach der Quantität stellen. Wenn wir über Gebäude reden, die zum Teil vor 30, 40, höchstens vielleicht 50 Jahren entstanden sind – ich sage es mal sehr simpel -, davon sind ja noch viele übrig. Das sind ja nicht immer nur Einzelfälle. Ich will nur ein Beispiel sagen: die berühmten DDR-Kaufhallen. Einige sind auch schon zerstört, aber viele gibt es nun auch in Berlin. Teilweise sind heute wieder Supermärkte darin, teilweise stehen sie leer. Die wurden in sehr, sehr ähnlicher Bauweise im ganzen Land gebaut. Würden Sie da sagen, man muss idealerweise alle erhalten, oder kann man sagen, wir machen das beispielhaft, wir erhalten drei, vier und können dann erst recht die anderen abreißen?
Meier: Alle kann man ganz sicher nicht erhalten. Das ist auch eine Frage, die die Fachwelt natürlich beschäftigt: wie geht man mit Typenbauten um. Alle erhalten ist weder möglich noch sinnvoll. Aber man muss dann Kriterien entwickeln, welche man erhält und welche nicht. Diese Kriterien, das ist auch etwas, worüber im Moment nachgedacht wird, dass man versucht, typische Elemente als solche zu erhalten, also typische Bauten, aber dass man die anderen – die muss man nicht unbedingt abbrechen – entsprechend irgendwie umnutzen kann, wie das mit den meisten Gebäuden eigentlich im Laufe der Geschichte der Fall ist.
Aber diese Kriterien zu entwickeln, das bedingt ja zuerst mal eine denkmalkundliche Analyse, bedingt eine Inventarisation überhaupt mit dem, was übrig ist, weil plötzlich ist nichts mehr da und dann muss man sagen, dann ist es zu spät. Das sind diese Dinge, die einen heute jetzt beschäftigen eigentlich.
Kassel: Ist es für einen Denkmalschützer auch konkret Teil seiner Aufgabe, die Bevölkerung zu überzeugen, denn letzten Endes kostet Denkmalschutz auch Geld. Das kommt in der Regel von den Steuerzahlern, und da ist es doch sehr viel angenehmer, wenn der Steuerzahler findet, das ist richtig, was die da tun.
Studierende in Weimar bieten Führungen zu Plattenbauten an
Meier: Ja. Ich denke, das ist eine ganz zentrale Aufgabe. Es ist immer eine der Aufgaben der Denkmalpflege neben der Denkmalkunde, dem Herausfinden, was ist Denkmal, der eigentlichen Pflege, eben auch die Vermittlung. Und es ist bei den Bauten der Spätmoderne – und das gilt für West wie Ost, aber in dem Fall konkret auch die Ostmoderne -, glaube ich, eine ganz zentrale Aufgabe, der Bevölkerung klar zu machen, warum diese Bauten eben auch schützenswert sind, warum man da den Denkmalschutz anwendet.
Und das kann durchaus auch gelingen. Da haben wir durchaus auch Beispiele, beginnend hier bei unserer Mensa in Weimar, aber auch bei Plattenbauten. Wenn beispielsweise unsere Studierenden Forschungen zu diesen Bauten etwa in Halle betreiben und dann dort Führungen anbieten, dann kommen Leute, die lassen sich das erklären und die verstehen. Nicht alle natürlich, aber viele verstehen dann auch. Wenn man ihnen zeigt, indem sie auch lernen hinzusehen, die Qualitäten zu sehen und die Qualitäten erklärt, dann gelingt das, glaube ich, in der Regel doch ganz gut, auch bei diesen schwierigen Bauten.
Kassel: Dann wünsche ich Ihnen dabei auch in Zukunft viel Erfolg und jetzt kurzfristig auch viel Erfolg und viele Ergebnisse auf dem Symposium. – Hans-Rudolf Meier war das, Professor für Denkmalpflege und Baugeschichte an der Bauhaus-Universität in Weimar. Vielen Dank, Herr Meier.
Meier: Herzlichen Dank, Herr Kassel.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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