Oper trotz Hartz IV

Von Verena Kemna · 12.10.2013
Die Berliner Staatsoper und der Caritas Verband für das Erzbistum Berlin bringen Kindern aus dem strukturschwachen Lichtenberg die klassische Musik näher. Das "Kinderopernhaus Lichtenberg" spielt sogar in der Werkstattbühne der Berliner Staatsoper mit dem Stück "Was Du nicht siehst".
Im Werkstatthof des Berliner Schillertheaters spielen etwa 25 Kinder und Jugendliche Fangen. Einige verschwinden hinter einem großen weißen LKW. Auf dem Fahrzeug stehen in fein geschwungenen Schriftzügen Operntitel wie Don Giovanni, Aschenputtel, die Zauberflöte oder La Traviata. Große Namen, die den meisten Jugendlichen aus den Plattenbausiedlungen in Berlin-Lichtenberg eher unbekannt sind.

Schend dagegen, eine zierliche Elfjährige kennt große Namen. Seit Januar proben sie und die anderen von der Lichtenberger Kinderoper "Children´s Corner", musikalische Szenen, die Claude Debussy vor über hundert Jahren seiner dreijährigen Tochter gewidmet hat. Die hieß Emma, sagt Schend, wie die Hauptfigur in unserem Stück. Dann legt sie ihren Finger auf den Mund und zählt leise vor sich hin, während die anderen sich ein letztes Mal in der Pause verstecken.

Paula, Stephan, Max, Dewer, Jessica, Lea, Schend und die anderen quetschen sich durch das Treppenhaus am hinteren Bühneneingang des Schiller Theaters, wo die Berliner Staatsoper wegen der Sanierung des eigenen Hauses seit Jahren residiert. Probebühne steht auf einer schweren Metalltür in der vierten Etage. Der hohe helle Raum gleicht einer Sporthalle.

Mittendrin, ein Holzgerüst in Form eines Iglus. Einige Kinder verhüllen das Gerüst mit dunkelgrauen Filzdecken, andere suchen noch ihre Position auf dem Spielfeld. Regisseurin Jennifer Jefka, läuft dynamisch hin und her, schüttelt ihre hochgebundenen braunen Locken, nichts entgeht ihrem konzentrierten Blick.

"Klavier ... Stopp, Leute, wenn die Musik anfängt, reiht ihr euch auf. Davor guckt ihr, was macht Dewer, und wenn die Musik anfängt, kommt ihr alle nach vorne und reiht euch auf. Also, noch mal, alle nach hinten!"

Ursula Stigloher begleitet am Klavier die Szene in der Unterwasserwelt. Und sie beobachtet dabei genau, wie sich die Kinder bewegen. Denver, 12 Jahre alt, tut so, als würde er an einem blauen Tuch schnuppern, das er langsam aus dem Iglu herauszieht. Er zieht und zieht, reicht das Ende weiter an die anderen, die in langer Reihe hinter ihm stehen. Schließlich halten alle zwanzig Kinder das Tuch in den Händen. Ganz langsam und noch nicht im Takt der Musik umkreisen sie das graue Filziglu.

"Die erste Reihe war richtig gut. Ich will euch was erklären, bitte passt auf. Lia hat das Tuch, Lia geht los, nur weil Lia losgeht, geht nicht auch ihr los."

Die Kunst der Ruhe
Schon im Januar haben die Proben in einem Jugendzentrum in Berlin Lichtenberg begonnen. Jenem Stadtteil, in dem besonders viele Hartz-IV-Empfänger leben, deren Kinder oft nur wenig Chancen haben, ihre musischen Fähigkeiten zu schulen. In den zwei Wochen vor der Premiere proben die Jugendlichen in den Räumen der Staatsoper. Für den Zwölfjährigen Denver ist es schon die zweite Premiere. In einer Pause sitzt er auf einer Holzbank.

"Ich war auch letztes Stück dabei, ich hatte einfach Interesse, ich mache gerne bei Theaterstücken mit und es macht mir auch sehr viel Spaß in der Kinderoper. Ich sollte auch hier mitmachen, um gut zu singen und meine Eltern stolz zu machen."

Nicht die ganze kurdische Familie wird heute bei der Premiere dabei sein, Denvers Eltern aber kommen auf jeden Fall. Neben ihm sitzt Schend. Die Elfjährige erzählt stolz, dass sie die Puppe Emma im Stück führen darf. Sie legt sie liebevoll auf ihren Schoß. Ein braun-rosiges Gesicht aus Pappmachee, schulterlange braune zottelige Haare, ein weißes Kleid, das an einem Stab befestigt ist.

Schend steckt eine Hand in den Kopf, der aus Nylonstrümpfen geformt ist. Mit der anderen Hand bewegt sie den Stab.

"Man muss sehr gut auf die Kopfbewegung achten, weil die Puppe muss lebendig aussehen. Auch die Körperhaltung ist schwer. Die Puppe hat ja zwei Arme und ich kann ja nur einen Arm in den Kopf stecken und das muss auch so realistisch aussehen."

Rainer Brinkmann, Leiter der Jungen Staatsoper hat die Proben an diesem Vormittag beobachtet. Konzentration, Ruhe und Abstraktionsvermögen. Das sind große Herausforderungen für acht bis zwölfjährige, erklärt der Theatermann. So kurz vor der Premiere müssen die Kinder eines verstanden haben.

"Jetzt bin ich so extrem wichtig, nur indem ich da stehe und an die richtige Stelle gucke. Das ist ja für viele extrem schwer. Viel schwerer als etwas gestalten, als einen Satz sagen oder etwas singen. Die Schwierigkeit ist immer genau dazwischen. Wo man sagen muss, da ist irgendwo Kunst und die soll doch kommen."

Schend greift nach der Puppe, zwei andere Kinder spannen eine graue Filzdecke mit den Händen quer über die Bühne. Immer mehr legen sich auf den Parkettboden, kriechen, für den Zuschauer unsichtbar hinter die graue Filzdecke und halten ihre Requisiten hoch. Ein schwarzer Fächer taucht auf, Flaschen tanzen, kleine Bälle leuchten, ein weißer Sonnenschirm erscheint über dem Kopf von Stabpuppe Emma.

Endlich ist auch Regisseurin Jeniffer Jefka einigermaßen zufrieden. Chend und die anderen von der Lichtenberger Kinderoper freuen sich auf die Premiere.

"Wenn ich auf der Bühne bin, fühle ich mich wie zu Hause, das ist einfach ein cooles Gefühl."