SV Darmstadt 98

Kämpferisch auf dem Rasen und gegen Rassismus

07:05 Minuten
Erich Berko (li.) im Zweikampf mit Arne Feick von den Würzburger Kickers. Berkos Arm ist vor Feicks Brust, Feicks rechter Arm drück Berko weg.
Erich Berko (li.) im Zweikampf mit Würzburgs Arne Feick: Auch im Alltag zeigt der Profi von Darmstadt 98 Engagement. © picture alliance / dpa / Timm Schamberger
Von Ludger Fittkau · 03.05.2021
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Amnesty International betreibt schon einige Jahre die Kampagne "Wir nehmen Rassismus persönlich". Es geht darum, Alltagsrassismus zu erkennen und sich dagegen zu wehren. Nun ist auch der Fußball-Zweitligist Darmstadt 98 mit dabei.
Eine Kreissäge kreischt, Lastwagen rollen vorbei, es wird gehämmert und betoniert: Ich treffe Erich Berko auf der aktuell wohl bekanntesten Großbaustelle der Stadt Darmstadt: Im Fußballstadion "Am Böllenfalltor", in dem der Traditionsverein SV Darmstadt 98 seit Menschengedenken zu Hause ist. Die Männer-Profimannschaft kickt gerade in der 2. Bundesliga.

Cybermobbing über soziale Medien

Erich Berko schaut auf die ersten Betonpfeiler der Tribüne, die hier gerade errichtet wird: "Ja, es ist definitiv sonderbar, weil die komplette Haupttribüne fehlt. Und dementsprechend das Stadion offen ist, aber es hat auch seinen Charme." Den Charme des Vorläufigen, erklärt Erich Berko.
Berko ist 28 Jahre alt und Profifußballer des Vereins, dessen Mitglieder und Fans sich wegen der Blumen im Vereinswappen auch "Lilien" nennen. Er sei gespannt auf die Atmosphäre im neuen Stadion – nach dem Umbau und nach Corona, wenn die Fans wieder da sind, sagt er.
Solange kommunizieren seine Mannschaftskollegen und er vor allem über "Digitalkanäle" mit den Anhängern – dabei geht es auch um Rassismus, der besonders im Internet verbreitet ist: "Über soziale Medien findet ja auch Cybermobbing statt. Und Cybermobbing geht in alle Richtungen, auch mal in die Richtung, dass es rassistisch wird. Das ist so, dass sich da viele in der Anonymität des Internets verstecken. Das ist Fakt."

Selbstbeschreibung "dunkelhäutiger Schwabe"

Erich Berko beschreibt sich selbst als einen "dunkelhäutigen Schwaben". Er engagiert sich nicht zuletzt deswegen gegen Rassismus, weil er selbst wegen seiner Hautfarbe am Spielfeldrand persönlich beleidigt wurde.
Im ersten Moment empfinde er da Entsetzen, sagt er. "Weil ich der Meinung bin, dass man immer die Person sehen sollte und nicht irgendwie die Hautfarbe oder sonst was. Und dementsprechend ist man da schon erst mal erschüttert. Und der eine geht emotionaler damit um, der andere versucht, es wegzulächeln oder sonst was. Aber im Endeffekt sind es schon Schmerzen, die man da erleidet."
Gemeinsam mit mehreren anderen Spielern und dem Trainer hat Erich Berko ein Video gedreht, das der Verein auf die Homepage gestellt hat. Berko ist ehemaliger deutscher Jugend-Fußballnationalspieler mit Wurzeln auch in Ghana.
"Wir sind jetzt im Jahr 2021: Und es gibt trotzdem noch so viele Fälle, in denen einfach gegen das Grundgesetz, gegen Grundrechte verstoßen wird", sagt er. "Und ich denke einfach, dass Deutschland für so viel mehr steht. Wir sollten uns mit auf den Weg machen und einfach versuchen, die Vielfalt zu schätzen und zu integrieren, weil da am Ende doch alle von gewinnen würden."
Wenn ihn Leute wegen seiner Hautfarbe fragen, woher er denn komme, antwortet der Fußballprofi wahrheitsgemäß – aus "Ostfildern-Ruit" bei Stuttgart: "Das kommt jetzt bei mir aktuell nicht ganz so durch, weil ich jetzt schon wieder eine ganze Weile hier bin. Aber wenn ich jetzt einmal bei meinen Eltern zu Besuch war und mit meinen Freunden in der Heimat unterwegs bin, da wird dann auch ein bisschen mehr geschwäbelt. Und wenn ich dann wieder zurückkomme, dann hört man das schon auch ein bisschen raus."

Die "Lilien" und Amnesty International

Erich Berko trifft sich mit dem Social-Media-Manager des Vereins Jan Becher. Die beiden unterhalten sich am Baustellenrand. Gemeinsam haben sie und die anderen Spieler die neue Kampagne des Vereins gegen Rassismus im Profifußball entworfen und dafür auch Amnesty International an Bord geholt: "Wir haben uns dann zusammengeschlossen, überlegt wie kann man das machen? Wie können wir unsere Spieler einbinden? Wie können wir gleichzeitig aber auch ein deutschlandweites Signal setzen? Und dann hat sich das so ergeben."
"Gut, dass die Lilien sagen, wir sind anders", sagt Markus N. Beeko, der Generalsekretär der deutschen Sektion von Amnesty International im Videoclip von Darmstadt 98. "Kein Platz für Rassismus. Nicht auf dem Platz, nicht an der Seitenlinie, nicht im Stadion, nicht im Fanclub. Nicht in Darmstadt. Kein Platz für Rassismus." N. Beeko hat einen ghanaischen Familienhintergrund - wie der Fußballer Erich Berko.
Berko verfolgt die Morde und Black Lives Matter Bewegung in den USA genau: "Das sind natürlich die Extrembeispiele, die vor allem drüben in Amerika passieren. Aber auch hier in Deutschland gibt es des Öfteren, wenn man jetzt in den Fußball schaut – da war es jetzt in der Europa League, dass ein Spieler von Glasgow beleidigt wurde. Oder aber auch in La Liga vor zwei Wochen wurde ein Spiel – ich glaube, es war Cadiz gegen Valencia – unterbrochen, weil es da auch wohl Vorkommnisse gab in die Richtung. Und ja, wie man sieht: Es sind keine Einzelfälle, und deswegen muss man immer noch aktiv dagegen vorgehen

Gesprächsversuche mit Rassisten

Dass Fußballspiele bei rassistischen Übergriffen etwa von der Tribüne sofort unterbrochen und die Fälle konsequent geahndet werden, hält Erich Berko für sehr wichtig: "Wenn jetzt zehn Leute von 100 meinen, das Spiel torpedieren zu müssen oder irgendjemanden beleidigen zu müssen und die anderen 90 das nicht akzeptieren – dann müssen die zehn gehen."
Mit eingefleischten Rassisten sei es sehr schwer, ins Gespräch zu kommen, sagt der Fußballprofi. Manchmal versuche er es, aber seiner Erfahrung nach bleibt der Rassist grundsätzlich bei seiner Meinung, mache nur manchmal bei Einzelpersonen Ausnahmen.
"Aber es ist definitiv auch schon vorgekommen, dass man diverse Menschen überzeugen konnte, weil sie dann noch gesehen haben: Okay, es ist doch nicht so, wie es erzählt wurde. Aber es wirkte dann auf mich so, wie wenn es dann hieß: Ja, du bist halt ein Korrekter", sagt er.
Damit aber gruppenbezogener Rassismus verhindert wird, hält Berko Kampagnen für wichtig, weil sie wachrütteln und möglichst früh schon bei Kindern ansetzen können.

Große Vielfalt in den Jugendmannschaften

Auch Jan Becher, der Social-Media-Manager von Darmstadt 98, glaubt, dass gerade Jugendmannschaften im Fußball eine große Rolle spielen, weil in ihnen ohnehin eine große Vielfalt herrsche:
"Ich weiß jetzt gar nicht, ob man in der Jugend unbedingt aktiv sagen muss: Hier guck mal, wie sind alle Menschen oder alle Personen, weil das in der Kabine einfach automatisch passiert. Ich glaube, Erich wird es am besten wissen, er hat jahrelang in Jugendmannschaften gespielt. Da ist es einfach nie Thema gewesen: Wo kommt jemand her, welche Religion, welchen Glauben hat jemand, sondern man hat zusammen das Ziel, am Wochenende drei Punkte zu gewinnen."
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