"Surrealism Beyond Borders"
Metropolitan Museum of Art, New York
bis 30. Januar 2022
Der unbekannte Surrealismus
05:35 Minuten
Künstler wie René Magritte oder Salvador Dalí sind weithin bekannt. Dass der Surrealismus eine weltweite Bewegung war, in der sich auch Frauen engagierten, zeigt das Metropolitan Museum* of Art und präsentiert Werke von Cecilia Porras bis Malangatana Ngwenya.
Der surrealistische Kleiderschrank des Franzosen Marcel Jean aus dem Jahr 1941 steht programmatisch im Eingang der Ausstellung "Surrealism Beyond Borders" in New York. Seine Türen sind mit halb offenen Türen bemalt, hinter denen der offene Himmel wartet.
Es ist die Faszination mit dieser Welt jenseits des Alltäglichen, des Rationalen und des Bewussten, die in den frühen 1920er-Jahren in Paris ihren Anfang nahm und Generationen von Künstlern auf der ganzen Welt inspirierte.
André Breton, René Magritte, Max Ernst, Salvador Dalí - diese Namen sind eng mit der in Europa und den USA vorherrschenden Vorstellung von Surrealismus verbunden, erklärt Kuratorin Stephanie D’Alessandro. Künstlerinnen und Künstler wie die kolumbianische Fotografin Cecilia Porras oder der mosambikanische Maler Malangatana Ngwenya sind dagegen hier fast völlig unbekannt.
Was passiert im Rest der Welt?
"Ich bin seit 20 Jahren Kuratorin und ich habe mich immer gefragt, warum wir bestimmte Momente in der Karriere eines Künstlers mehr schätzen als andere. Warum wir, wenn wir über bestimmte Strömungen oder Künstler reden, immer dieselben Arbeiten ansehen und dieselben Geschichten erzählen? Schon vor Covid haben wir darüber nachgedacht, was eigentlich im Rest der Welt passiert und unsere euro-amerikanische Perspektive hinterfragt. Beim Surrealismus bot es sich an, dies in einer länder- und geschichtsübergreifenden Weise zu tun", sagt Kuratorin D’Alessandro.
In 14 Ausstellungsräumen zeigt die Ausstellung eine so ungeheure Fülle von Arbeiten, als wäre eine surrealistische Bombe inmitten des Met explodiert: Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen, Filme, Hörspiele, Magazine, Fotografien, Reisetagebücher und natürlich Manifeste aus Paris, Mexiko-City, Kairo, Martinique und Chicago.
"Dies ist keine Ausstellung, die mit dem Ursprung des Surrealismus beginnt und mit einem Punkt wie am Ende eines Satzes endet. Wir haben an Orte gedacht, die für viele andere stehen. Wir haben an Personen gedacht, ob sie Reisende waren oder Menschen, die im Surrealismus etwas gefunden haben, das ihnen erlaubte, jenseits ihrer Umstände zu denken. Wir haben Themen gesetzt, die es uns ermöglicht haben, noch mehr Künstler zu zeigen", erläutert D’Alessandro.
Themen wie Träume, poetische Objekte, Körper und Lust, das Unheimliche, Exile und Reisen oder Gewalt und Revolution. Sie geben den Ausstellungsmachern die Möglichkeit, Arbeiten direkt in Dialog zueinander zu setzen.
Studentenunruhen und Freiheitskampf
Zum Beispiel im Themenraum "Gewalt und Revolution", da hängt ein Bild von Joan Miró neben einem von Malangatana Ngwenya aus Mozambique.
"Miró, 1968 bereits ein alter Meister des Surrealismus, malt eine Arbeit, die eine Reflexion der Studentenunruhen an der Sorbonne ist. Er benutzt diesen Graffiti-Stil mit Sprühfarbe und fügt seine eigenen Handflächen hinzu, als wolle er Teil davon sein. Und dann Malangatana Ngwenya, der hier einen Weg findet, von seiner Gefangenschaft aus seiner Zeit bei der Befreiungsbewegung zu erzählen, von dem Hunger und Elan der Menschen, die für ihre Freiheit von Portugal kämpfen", so D’Alessandro.
Beide Bilder sind fast zur gleichen Zeit entstanden. Malangatana Ngwenya benutzt satte leuchtende Farben, sein Bild ist ein Labyrinth aus Kindergestalten und Bestien mit Reißzähnen. Die zentrale Figur ist ein Junge mit ausgelaufenen schwarzen Augen, seine Arme stecken in weit aufgerissenen Mäulern. Die fehlenden Hände in diesem Bild stehen Mirós Handflächen gegenüber - eine interessante Verbindung.
Surrealismus als Möglichkeitsraum
Warum der Surrealismus für so viele Künstler so attraktiv war, erklärt Kuratorin Stephanie D’Alessandro: "Der Surrealismus bot vielen Menschen Möglichkeiten, sich verschiedene Dinge vorzustellen, sei es eine andere sexuelle Orientierung oder Identifikation oder ein politischer Ort oder eine Affirmation. Es finden sich viele Beispiele von Künstlern, die im Surrealismus die Möglichkeit fanden, ihre schwarze Identität zu bejahen oder gegen Unterdrückung oder kolonialen Institutionalismus zu kämpfen. Ich denke, all diese Dinge sind mit Surrealismus auch für uns heute möglich."
Die Ausstellung ist in ihrer Fülle und Vielfalt überfordernd und irritierend - im besten Sinne. Hier wurde kulturelle Vielfalt zum Programm. Am Ende entsteht ein umso reicheres Verständnis davon, warum verschiedensten Künstlern auf der Welt der Surrealismus so wichtig wurde.
* In der ersten Textversion hatten wir an dieser Stelle das falsche Museum genannt. Wir haben den Fehler korrigiert.