Surinam, Bolivien, Sudan

Wo Reporter selten hinreisen

27:33 Minuten
Blick auf ein sogenanntes "Schwimmbecken" am Salzsee Salars de Uyuni in Bolivien.
Am Salzsee Salars de Uyuni in Bolivien: Hier werden große Lithiumvorkommen vermutet. © picture alliance / Georg Ismar / dpa / Georg Ismar
Moderation: Ellen Häring, Andre Zantow · 28.12.2022
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Das Herz Südamerikas in den Anden, die niederländische Ex-Kolonie im Regenwald und die Revolution der Jugend und der Frauen in Nordost-Afrika: Wie steht es um Bolivien, Surinam und Sudan, wollten Sie wissen. Wir haben für Sie nachgefragt.
Warum hören wir eigentlich nie etwas aus Bolivien? Das haben mehrere Hörerinnen und Hörer anlässlich unserer Weihnachtsaktion "Wunschweltzeit" gefragt.
Bolivien gehört zu den wenigen Ländern der Welt mit einer mehrheitlich indigenen Bevölkerung. Der ehemalige Präsident und indigene Politiker Evo Morales machte immer wieder Schlagzeilen, unter anderem wegen seiner sozialistischen Ideen und weil er den Anbau von Coca als kulturelles Erbe verteidigte.
Seit seinem Rücktritt 2019 hört man nur noch wenig aus dem Andenland mit den – im wahrsten Sinne des Wortes – atemberaubenden Höhenunterschieden. An Korrespondent Matthias Ebert liegt es nicht. Er war mehrfach in Bolivien und reist immer wieder gerne in "das schönste Land und das Herz Südamerikas", um für die ARD zu berichten.
Allerdings trifft er dort nur wenige Kollegen. "Sogar bei Wahlen oder anderen wichtigen Anlässen ist die Zahl der ausländischen Journalisten überschaubar," räumt er ein. Das liegt auch daran, dass Bolivien kein Ziel für einen Kurztrip ist. Die Höhenunterschiede sind so gewaltig, dass sich der Mensch nur langsam akklimatisiert. Wer in das 4000 Meter hohe La Paz mit dem Flugzeug anreist, ist definitiv nicht arbeitsfähig am nächsten Tag.

Lithium in Bolivien

Dabei gäbe es viel zu berichten aus dem Land, so Matthias Ebert. Die Unterschiede und Konflikte zwischen dem armen, indigenen Hochland und dem von Weißen und Mestizen geprägten, vergleichsweise reichen Tiefland.
Ein auch für Deutschland wichtiges Thema ist das weltweit größte Lithium-Vorkommen im Dreieck Chile, Argentinien und Bolivien. In der bolivianische Salzwüste Salar de Uyuni soll Lithium abgebaut werden, aber die bolivianische Regierung ist in ihrer Entscheidungsfindung deutlich langsamer und vorsichtiger als die Nachbarländer.
Das Lithium soll in Bolivien verarbeitet werden, so eine der zahlreichen Bedingungen, die die bolivianische Regierung, die in der Nachfolge von Evo Morales steht, fordert. Ein Ausverkauf der kostbaren Ressource soll verhindert werden. Ein mittelständisches deutsches Unternehmen, das bereits einen Vertrag unterschrieben hatte, ist wieder aus dem Rennen.
Nun klopfen die USA und China an die Tür. Ob daraus eine Kooperation auf Augenhöhe entstehen kann, wie sie sich die bolivianische Regierung wünscht, ist fraglich. Fest steht aber: "Mit Bolivien wird Deutschland keine direkten Lithium-Geschäfte machen können", so Ebert.

Surinams Geschichte der Sklaverei

Surinam: Wo liegt das überhaupt? Diese Frage muss Jennifer Tosch immer wieder beantworten. Sie hat surinamesische Wurzeln, lebte in den USA und nun in Amsterdam, wo sie sogenannte Black-Heritage-Tours anbietet. "Ich fange mit der Geografie an", erzählt sie. "In Südamerika, nördlich von Brasilien. Surinam war einmal eine Kolonie der Niederlande und hat eine lange indigene Geschichte. Surinam wird jetzt auch immer populärer bei Ökotouristen, weil sie dort ein Stück des Amazonas bereisen können. Das Ökosystem ist dort besonders, und vielen ist es jetzt auch ein Begriff wegen der Entschuldigung der niederländischen Regierung.“
Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hatte sich kurz vor Weihnachten 2022 für die Rolle der Niederlande während der Sklaverei entschuldigt. Auch die Menschen in Surinam wurden versklavt.
Ein Mann im Anzug am Rednerpult. Menschen hören seiner Rede zu.
Regierungschef Mark Rutte spricht im Nationalarchiv in Den Haag über die koloniale Vergangenheit der Niederlande.© picture alliance / Robin Utrecht
Der Auftritt Ruttes kann aber nur ein erster Schritt sein, meint Jennifer Tosch. „Wenn es bei einer Entschuldigung ohne Taten bleibt, ist es nur eine oberflächliche Geste, die viel mediale Aufmerksamkeit erhält, aber keine Veränderung bringt für die soziale, politische und kulturelle Ungleichheit, die immer noch existiert. Für die Nachkommen der Sklaverei, für die Menschen hier in den Niederlanden, die hier als Einwanderer leben, geht es um Wiedergutmachung, um Maßnahmen gegen tagtäglichen Rassismus, um Reparationen und Restitution, also Rückgabe."
Viele Forschungsarbeiten hätten gezeigt, wie stark die niederländische Gesellschaft und das Königshaus von der Sklaverei und der Ausbeutung der früheren Kolonien profitiert haben. "Einfach eine Entschuldigung, um das abzuhaken, das spiegelt nicht die großen Kontroversen wieder.“ Seit 1975 ist Surinam unabhängig. Die Verbindung zu den Niederlanden ist eng, aber kompliziert.

Kämpferische Frauen im Sudan

Der Sudan hat Schlagzeilen gemacht in den Jahren 2019 und 2020, als es nach der Erhöhung der Brotpreise zu einer Revolution kam, in deren Folge der jahrzehntelange Diktator Omar al-Baschir abgesetzt wurde. Danach war die Stimmung euphorisch. Eine Übergangsregierung aus Militär und Zivilgesellschaft sollte für den demokratischen Wandel sorgen, für eine Regierung ohne Teilhabe des Militärs.
Aber es kam anders, so Korrespondent Simon Riesche aus Kairo, der gerade in den Sudan gereist ist. „Im Herbst 2021 putschte sich das Militär zurück an die Macht und drängte die zivilen Teile der Regierung mit Gewalt aus dem Amt. Anfang Dezember 2022 gab es dann eine kleine Erfolgsmeldung: Militär und wichtige zivile Parteien haben sich in einer Rahmenvereinbarung auf einen Pfad geeinigt, der das Land zurück zur Demokratie bringen soll. Wir wollten uns nun anschauen, wie dieser Prozess läuft.“
Demonstrant*innen gehen mit Plakaten durch Khartoum, Sudan.
Protestierende fordern eine demokratische Regierung im Sudan: Viele junge Frauen beteiligen sich an den Demonstrationen.© picture alliance / AA / Mahmoud Hjaj
Die Demokratiebewegung im Sudan ist stark und geht vor allem von jungen Menschen, darunter sehr viele Frauen, aus. Nach wie vor gibt es jede Woche Demonstrationen. Häufig stehen die jungen Menschen im Tränengasnebel, denn das Militär geht hart gegen die Proteste vor.
Das Militär sei bereit, Macht abzugeben, analysiert der UN-Sonderbeauftragte für den Sudan, Volker Perthes. Allerdings werde es dafür Straffreiheit verlangen, so seine Einschätzung. „Aber wie soll das gehen?“, fragt Simon Riesche. „Was geschieht mit den Menschen, die nach dem Putsch Demonstranten erschossen haben, die Demonstranten gefoltert haben? Da kann man sicherlich nicht einfach Straffreiheit fordern. Das würden viele Demonstranten nicht akzeptieren. Sie wurden zu oft betrogen.“
Ansätze, die Verbrechen des Militärs aufzuklären, gibt es. So berichtet Simon Riesche von einer mutigen Anwältin, die die Verbrechen benennt und weiterverfolgt, um eines Tages Gerechtigkeit zu erstreiten. „Ich habe sehr viele sehr mutige Frauen dort getroffen,“ so Simon Riesche nach seiner Reise in den Sudan.

Bolivien, Surinam, Sudan – Das sind Länder, über die wir nicht häufig berichten. Sie sind heute auf der Agenda der Weltzeit, dank der engagierten Anregungen der Hörerinnen und Hörer.

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