Süßes Geheimnis im Textmassiv
"Der Tod in Venedig" verführt auch als Hörbuch. Beigegeben ist der Novelle das Feature "Eros und Cholera", in dem Thomas Manns Ehefrau Katia zitiert wird. Sie wusste, dass die Verzauberung eines alternden Künstlers durch einen reizenden Knaben auf realen Reiseerlebnissen basierte.
"Wir fuhren mit dem Dampfer nach Venedig. Auf dieser Reise kamen wir zum ersten Mal von der See aus herein [...] Dann gingen wir in das Hotel de Bain, wo wir residiert hatten. [...] Und bei Tisch – gleich am ersten Tag – sahen wir diese polnische Familie, die genauso aussah, wie mein Mann sie geschildert hat. Mit [...] dem sehr reizenden, bildhübschen, etwa dreizehnjährigen Knaben."
Thomas Mann war von dem Knaben verzaubert, von dessen Schönheit er sich magisch angezogen fühlte. Diese Faszination teilt er mit dem Helden seiner Novelle.
"Eine recht sonderbare Sache, die ich aus Venedig mitgebracht habe. Novelle: Ernst und rein im Ton. Einen Fall von Knabenliebe bei einem alternden Künstler behandelnd. Sie sagen: ‚Hm, hm!’ Aber es ist sehr anständig."
Thomas Mann widerstand der Verführung. Es kam zu keinem erotischen Debakel. Aber für eine Verwirrung der Gefühle hatte der Jüngling schon gesorgt, was auch Katia Mann bemerkte:
"Er hatte sofort einen Faible für diesen Jungen. Er gefiel ihm über die Maßen. [...] Er ist ihm nicht durch ganz Venedig nachgestiegen – das nicht, aber der Junge hat ihn fasziniert."
Das Feature erhellt entscheidende Hintergründe der Novelle, da die Autorin aus Briefen und Aufzeichnungen von Thomas und Katia Mann zitiert. Bis heute allerdings stellt sich die Frage: Wer war dieser Tadzio, von dem Thomas Mann sich so angezogen fühlte? Voswinckel nennt – ohne die Vermutung mit einem Fragezeichen zu versehen – Wladyslaw Baron Moes als Vorbild. Dafür spricht zwar einiges, aber sicher ist man sich in der Thomas Mann-Forschung nicht. Ganz sicher aber ist, dass Visconti 1971 die Novelle mit der Musik von Gustav Mahler genial verfilmt hat.
"Jeder, der Luchino Viscontis Film ‚Der Tod in Venedig‘ gesehen hat, erinnert sich bei dieser Musik an die ersten Bilder. An den alten Dampfer mit dem fast schwarzen waagerecht fliegenden Rauch aus dem Schornstein, an das weite verhangene Meer im Morgendämmer von Venedig."
Gegen solche Erinnerungsbilder hat es Matthias Brandt nicht leicht, denn ihm steht nur seine Stimme zur Verfügung, um mit ihr die dem Wort eigene Bildkraft aus dem Text hervorzuzaubern. Ganz vertraut er sich der Sprachmelodie des Textes an, wobei es ihm gelingt, dem Text sein süßes Geheimnis zu entlocken, das Thomas Mann ihm so meisterhaft eingeschrieben hat.
"Mit Erstaunen bemerkte Aschenbach, dass der Knabe vollkommen schön war. Sein Antlitz, bleich und anmutig verschlossen, von honigfarbenem Haar umringelt, mit der gerade abfallenden Nase, dem lieblichen Munde, dem Ausdruck von holdem und göttlichem Ernst, erinnerte an griechische Bildwerke aus edelster Zeit."
Aschenbach ist ein Leistungsethiker. Er ist der "Dichter all derer, die am Rande der Erschöpfung" arbeiten – "Durchhalten" lautet sein Lieblingswort. Seiner kontrollierten, zur Askese neigenden inneren Verfasstheit verleiht Matthias Brandt Ausdruck, indem er das Widerspiel zwischen Aschenbachs Willen zur Strenge und seiner Machtlosigkeit gegenüber dem verführerischen Eros durch kleinste Betonungsnuancen stets gegenwärtig hält.
"Nie hatte er die Lust des Wortes süßer empfunden, nie so gewusst, dass Eros im Worte sei, wie während der gefährlich köstlichen Stunden, in denen er, an seinem rohen Tische unter dem Schattentuch, im Angesicht des Idols und die Musik seiner Stimme im Ohr, nach Tadzios Schönheit seine kleine Abhandlung, - jene anderthalb Seiten erlesener Prosa formte, deren Lauterkeit, Adel und schwingende Gefühlsspannung binnen kurzem die Bewunderung vieler erregen sollte."
Viscontis Verfilmung von Thomas Manns Novelle "Der Tod in Venedig" verführt das Auge. Aber wer den Wortmagier Thomas Mann hören will, der muss nur ganz Ohr sein, und wer sich Matthias Brandt anvertraut, der wird sicher durch das Sprachmassiv der Thomas Mann’schen Sätze geführt.
Besprochen von Michael Opitz
Thomas Mann war von dem Knaben verzaubert, von dessen Schönheit er sich magisch angezogen fühlte. Diese Faszination teilt er mit dem Helden seiner Novelle.
"Eine recht sonderbare Sache, die ich aus Venedig mitgebracht habe. Novelle: Ernst und rein im Ton. Einen Fall von Knabenliebe bei einem alternden Künstler behandelnd. Sie sagen: ‚Hm, hm!’ Aber es ist sehr anständig."
Thomas Mann widerstand der Verführung. Es kam zu keinem erotischen Debakel. Aber für eine Verwirrung der Gefühle hatte der Jüngling schon gesorgt, was auch Katia Mann bemerkte:
"Er hatte sofort einen Faible für diesen Jungen. Er gefiel ihm über die Maßen. [...] Er ist ihm nicht durch ganz Venedig nachgestiegen – das nicht, aber der Junge hat ihn fasziniert."
Das Feature erhellt entscheidende Hintergründe der Novelle, da die Autorin aus Briefen und Aufzeichnungen von Thomas und Katia Mann zitiert. Bis heute allerdings stellt sich die Frage: Wer war dieser Tadzio, von dem Thomas Mann sich so angezogen fühlte? Voswinckel nennt – ohne die Vermutung mit einem Fragezeichen zu versehen – Wladyslaw Baron Moes als Vorbild. Dafür spricht zwar einiges, aber sicher ist man sich in der Thomas Mann-Forschung nicht. Ganz sicher aber ist, dass Visconti 1971 die Novelle mit der Musik von Gustav Mahler genial verfilmt hat.
"Jeder, der Luchino Viscontis Film ‚Der Tod in Venedig‘ gesehen hat, erinnert sich bei dieser Musik an die ersten Bilder. An den alten Dampfer mit dem fast schwarzen waagerecht fliegenden Rauch aus dem Schornstein, an das weite verhangene Meer im Morgendämmer von Venedig."
Gegen solche Erinnerungsbilder hat es Matthias Brandt nicht leicht, denn ihm steht nur seine Stimme zur Verfügung, um mit ihr die dem Wort eigene Bildkraft aus dem Text hervorzuzaubern. Ganz vertraut er sich der Sprachmelodie des Textes an, wobei es ihm gelingt, dem Text sein süßes Geheimnis zu entlocken, das Thomas Mann ihm so meisterhaft eingeschrieben hat.
"Mit Erstaunen bemerkte Aschenbach, dass der Knabe vollkommen schön war. Sein Antlitz, bleich und anmutig verschlossen, von honigfarbenem Haar umringelt, mit der gerade abfallenden Nase, dem lieblichen Munde, dem Ausdruck von holdem und göttlichem Ernst, erinnerte an griechische Bildwerke aus edelster Zeit."
Aschenbach ist ein Leistungsethiker. Er ist der "Dichter all derer, die am Rande der Erschöpfung" arbeiten – "Durchhalten" lautet sein Lieblingswort. Seiner kontrollierten, zur Askese neigenden inneren Verfasstheit verleiht Matthias Brandt Ausdruck, indem er das Widerspiel zwischen Aschenbachs Willen zur Strenge und seiner Machtlosigkeit gegenüber dem verführerischen Eros durch kleinste Betonungsnuancen stets gegenwärtig hält.
"Nie hatte er die Lust des Wortes süßer empfunden, nie so gewusst, dass Eros im Worte sei, wie während der gefährlich köstlichen Stunden, in denen er, an seinem rohen Tische unter dem Schattentuch, im Angesicht des Idols und die Musik seiner Stimme im Ohr, nach Tadzios Schönheit seine kleine Abhandlung, - jene anderthalb Seiten erlesener Prosa formte, deren Lauterkeit, Adel und schwingende Gefühlsspannung binnen kurzem die Bewunderung vieler erregen sollte."
Viscontis Verfilmung von Thomas Manns Novelle "Der Tod in Venedig" verführt das Auge. Aber wer den Wortmagier Thomas Mann hören will, der muss nur ganz Ohr sein, und wer sich Matthias Brandt anvertraut, der wird sicher durch das Sprachmassiv der Thomas Mann’schen Sätze geführt.
Besprochen von Michael Opitz

Thomas, Katia und Erika Mann© AP

Matthias Brandt© Deutschlandradio - Sandro Most
Thomas Mann: Der Tod in Venedig
Ungekürzte Fassung, gelesen von Matthias Brandt
Mit dem Feature "Eros und Cholera" von Ulrike Voswinckel
Der Hörverlag, München 2013
4 CDs, ca. 230 Minuten, 19,99 Euro
Ungekürzte Fassung, gelesen von Matthias Brandt
Mit dem Feature "Eros und Cholera" von Ulrike Voswinckel
Der Hörverlag, München 2013
4 CDs, ca. 230 Minuten, 19,99 Euro