Aschenbach in Manhattan
Mit seinem Roman "Die Stunden" schaffte Michael Cunningham den internationalen Durchbruch. Damals spielt Virginia Woolfs Roman "Mrs. Dalloway" eine große Rolle. In Cunninghams neuestem Buch stand Thomas Manns "Der Tod in Venedig" unübersehbar Pate.
Wasser schwappt gegen die Riva degli Schiavoni im sonnigen Venedig, wenige Meter entfernt von jenem Hotel, in dem der 58-jährige US-amerikanische Schriftsteller Michael Cunningham, ein schlanker Mann mit kurzen Haaren und einer Brille, wie sie Arthur Miller trug, ein Interview zu seinem neuen Roman "In die Nacht hinein" gibt. Das Buch und Venedig verbindet das Thema des Morbiden und der Schönheit.
Michael Cunningham: "Ich wollte einfach nur über einen Mann schreiben, den die Schönheit nicht mehr loslässt. Ich habe das Gefühl, dass ich selbst an einem ziemlich hässlichen Ort lebe, in einem Land, das immer hässlicher wird. Da wollte ich über die Suche nach Schönheit schreiben."
Auf diese Suche begibt sich Peter Harris, wohlhabender Galerist und Hauptfigur des in New York spielenden Romans. Die Ehe des Mittvierzigers hat an der Routine der Jahre gelitten. Da zieht Missy, der zwanzig Jahre jüngere, Drogen nehmende Bruder von Peters Frau bei dem Ehepaar ein. Im Laufe des Romans verliebt sich Peter in den jungen Mann und in dessen Jugend.
"Ich hatte wahrscheinlich 'Tod in Venedig' von Thomas Mann durch und durch verinnerlicht. Aber erst nach und nach ist mir klar geworden, dass ich Thomas Manns Geschichte stahl. Aber dann dachte ich: Na ja, in meiner Geschichte ist Platz für Thomas Mann und für mich."
Es ist das Markenzeichen von Michael Cunningham, mit literarischen Anspielungen zu arbeiten oder gar das Leben berühmter Schriftsteller in der Fiktion zu verarbeiten. Virginia Woolf war es in dem Weltbestseller "Die Stunden", Walt Whitman in dem Roman "Helle Tage". Und nun schwebt der Geist einiger großer Autoren über den Zeilen von "In die Nacht hinein". Der Geist von Thomas Mann, Rainer Maria Rilke und Ovid. In Ovids "Metamorphosen" findet sich die Geschichte vom Künstler Pygmalion, der eine Frauenskulptur schafft, die dann lebendig wird.
Cunningham dreht das Verfahren um: In den Wunschvorstellungen des Galeristen Peter wird der zwanzig Jahre jüngere Missy zu einem Kunstwerk, dessen Herr und Kurator Peter ist. "Denn das Schöne ist nichts / als des Schrecklichen Anfang" – dieses Zitat aus der "Ersten Duineser Elegie" von Rainer Maria Rilke hat Michael Cunningham seinem neuen Roman vorangestellt. Wer einige Verse weiter bei Rilke liest, stößt auf die Nacht als Bedrohung:
"Da unterscheiden sich Rilke und ich. Ich liebe die Nacht. Ich laufe mitten in der Nacht durch New York. Ich mag die Nacht lieber als den Tag. In der Nacht trifft man viel mehr interessante Leute. Und da verlassen die Vampire ihre Gräber. Ich bin schon immer ein Nachtmensch gewesen. Hätte ich nicht meinen Freund, würde ich wahrscheinlich den ganzen Tag über schlafen und während der gesamten Nacht wach sein. Die Nacht ist doch sexy, lüstern, einfach toll."
Michael Cunningham hat die meisten Szenen seines nur streckenweise überzeugenden Romans in die Dunkelheit der Nacht getaucht oder den Figuren nicht mehr als den schwachen Lichtschein einer Lampe gelassen. In dieser Atmosphäre verliebt sich der eigentlich heterosexuelle Peter in den jungen Missy. Nichts Erstaunliches für Michael Cunningham:
"Wer jetzt zuhört und glaubt, er sei zu einhundert Prozent heterosexuell oder zu einhundert Prozent homosexuell, der rufe bitte beim Sender an: Ich möchte mit dir sprechen."
Michael Cunningham will an vorgefertigten Meinungen rütteln. Aber nicht selten tappt er mit seinem eigenen Roman in die Klischeefalle, die Handlung wirkt etwas gewollt, und Cunningham sagt oft explizit, was implizit längst im Raum steht, als vertraute er der Kraft seiner eigenen Worte nicht. Dabei ist er eigentlich ein Meister im Beschreiben von Stimmungen. Das beweist er besonders in der beeindruckenden Eingangsszene, in der ein angefahrenes Pferd in Manhattan einen Stau auslöst. Der Tod eines Pferdes in der Großstadt, die Nachricht, dass eine befreundete Galeristin Krebs hat, Peters an Aids verstorbener Bruder – das Morbide und der Tod sind unübersehbar präsent in diesem Roman. Der Tod, den Cunningham nicht fürchtet, und die Nacht, die er so sehr liebt:
"Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass ich meine Jugend in Los Angeles verbracht habe, wo unaufhörlich die Sonne scheint. Das Sonnenlicht ist unerbittlich, grell, fast schon weiß. Wer in Los Angeles das Haus verlässt, auf dessen Gesicht prasseln Blitzlichter ein. Vielleicht hatte ich also seit meiner sehr frühen Kindheit bis zum Alter von 18 Jahren einfach genug Licht für den Rest meines Lebens gehabt."
Michael Cunningham: In die Nacht hinein
Roman. Aus dem Amerikanischen von Georg Schmidt
Luchterhand Verlag
314 Seiten. Preis: 19,99 Euro
Michael Cunningham: "Ich wollte einfach nur über einen Mann schreiben, den die Schönheit nicht mehr loslässt. Ich habe das Gefühl, dass ich selbst an einem ziemlich hässlichen Ort lebe, in einem Land, das immer hässlicher wird. Da wollte ich über die Suche nach Schönheit schreiben."
Auf diese Suche begibt sich Peter Harris, wohlhabender Galerist und Hauptfigur des in New York spielenden Romans. Die Ehe des Mittvierzigers hat an der Routine der Jahre gelitten. Da zieht Missy, der zwanzig Jahre jüngere, Drogen nehmende Bruder von Peters Frau bei dem Ehepaar ein. Im Laufe des Romans verliebt sich Peter in den jungen Mann und in dessen Jugend.
"Ich hatte wahrscheinlich 'Tod in Venedig' von Thomas Mann durch und durch verinnerlicht. Aber erst nach und nach ist mir klar geworden, dass ich Thomas Manns Geschichte stahl. Aber dann dachte ich: Na ja, in meiner Geschichte ist Platz für Thomas Mann und für mich."
Es ist das Markenzeichen von Michael Cunningham, mit literarischen Anspielungen zu arbeiten oder gar das Leben berühmter Schriftsteller in der Fiktion zu verarbeiten. Virginia Woolf war es in dem Weltbestseller "Die Stunden", Walt Whitman in dem Roman "Helle Tage". Und nun schwebt der Geist einiger großer Autoren über den Zeilen von "In die Nacht hinein". Der Geist von Thomas Mann, Rainer Maria Rilke und Ovid. In Ovids "Metamorphosen" findet sich die Geschichte vom Künstler Pygmalion, der eine Frauenskulptur schafft, die dann lebendig wird.
Cunningham dreht das Verfahren um: In den Wunschvorstellungen des Galeristen Peter wird der zwanzig Jahre jüngere Missy zu einem Kunstwerk, dessen Herr und Kurator Peter ist. "Denn das Schöne ist nichts / als des Schrecklichen Anfang" – dieses Zitat aus der "Ersten Duineser Elegie" von Rainer Maria Rilke hat Michael Cunningham seinem neuen Roman vorangestellt. Wer einige Verse weiter bei Rilke liest, stößt auf die Nacht als Bedrohung:
"Da unterscheiden sich Rilke und ich. Ich liebe die Nacht. Ich laufe mitten in der Nacht durch New York. Ich mag die Nacht lieber als den Tag. In der Nacht trifft man viel mehr interessante Leute. Und da verlassen die Vampire ihre Gräber. Ich bin schon immer ein Nachtmensch gewesen. Hätte ich nicht meinen Freund, würde ich wahrscheinlich den ganzen Tag über schlafen und während der gesamten Nacht wach sein. Die Nacht ist doch sexy, lüstern, einfach toll."
Michael Cunningham hat die meisten Szenen seines nur streckenweise überzeugenden Romans in die Dunkelheit der Nacht getaucht oder den Figuren nicht mehr als den schwachen Lichtschein einer Lampe gelassen. In dieser Atmosphäre verliebt sich der eigentlich heterosexuelle Peter in den jungen Missy. Nichts Erstaunliches für Michael Cunningham:
"Wer jetzt zuhört und glaubt, er sei zu einhundert Prozent heterosexuell oder zu einhundert Prozent homosexuell, der rufe bitte beim Sender an: Ich möchte mit dir sprechen."
Michael Cunningham will an vorgefertigten Meinungen rütteln. Aber nicht selten tappt er mit seinem eigenen Roman in die Klischeefalle, die Handlung wirkt etwas gewollt, und Cunningham sagt oft explizit, was implizit längst im Raum steht, als vertraute er der Kraft seiner eigenen Worte nicht. Dabei ist er eigentlich ein Meister im Beschreiben von Stimmungen. Das beweist er besonders in der beeindruckenden Eingangsszene, in der ein angefahrenes Pferd in Manhattan einen Stau auslöst. Der Tod eines Pferdes in der Großstadt, die Nachricht, dass eine befreundete Galeristin Krebs hat, Peters an Aids verstorbener Bruder – das Morbide und der Tod sind unübersehbar präsent in diesem Roman. Der Tod, den Cunningham nicht fürchtet, und die Nacht, die er so sehr liebt:
"Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass ich meine Jugend in Los Angeles verbracht habe, wo unaufhörlich die Sonne scheint. Das Sonnenlicht ist unerbittlich, grell, fast schon weiß. Wer in Los Angeles das Haus verlässt, auf dessen Gesicht prasseln Blitzlichter ein. Vielleicht hatte ich also seit meiner sehr frühen Kindheit bis zum Alter von 18 Jahren einfach genug Licht für den Rest meines Lebens gehabt."
Michael Cunningham: In die Nacht hinein
Roman. Aus dem Amerikanischen von Georg Schmidt
Luchterhand Verlag
314 Seiten. Preis: 19,99 Euro