Südafrikas innere Grenzen

Zäune schützen Reiche vor Kriminalität

Sibusiso Gumede und sein Hund machen Patrouille am Zaun einer "Gated Community" im südafrikanischen Durban.
Sibusiso Gumede und sein Hund machen Patrouille am Zaun einer "Gated Community" im südafrikanischen Durban. © Leonie March
Von Leonie March · 31.01.2019
Die Kluft zwischen Arm und Reich ist riesig in Südafrika - und die Kriminalitätsrate hoch. Wer es sich leisten kann, schottet sich ab, lebt hinter Zäunen mit Wachdienst. Das sind vor allem Weiße. Ihre Angestellten sind schwarz und kommen aus den Townships.
Thandi Nocuse ist auf dem Weg zur Arbeit. Vom Township in ein Nobelviertel von Durban. Anderthalb Stunden ist sie bereits mit einem Minibustaxi gefahren, die letzten zehn Minuten geht die dunkelhäutige Frau zu Fuß. Immer an dem übermannshohen Beton- und Elektrozaun entlang. Durch die Betonpfeiler sind die gepflegten Golfplätze und teils herrschaftlichen Häuser des "Mount Edgecombe Country Club Estate" zu sehen. Eine von geschätzten 7000 "Gated Communities" in Südafrika.

30 Jahre nach dem Mauerfall in Deutschland nehmen weltweit bauliche Grenzen wieder zu. Vier Folgen über "Zäune, Mauern und Abgründe" im Podcast der Weltzeit.

Am Eingangstor Nummer fünf ist Hochbetrieb, als Thandi Nocuse eintrifft. Wachmänner öffnen und schließen die Schranken im Minutentakt. Auf der einen Seite fahren die Bewohner heraus: Männer in Anzügen, die ins Büro aufbrechen und Frauen, die ihre Kinder in die Privatschulen der Gegend chauffieren. Auf der anderen Seite strömen ihre Angestellten herein, Gärtner, Kindermädchen und Haushalthilfen wie Thandi Nocuse. Sie drückt ihren Zeigefinger auf einen Scanner:
"Am Anfang muss man den Sicherheitsleuten all seine Dokumente vorlegen. Die Informationen werden im System gespeichert. Früher haben wir dann eine Karte für den Einlass bekommen, heute reicht ein Fingerabdruck."
Jedenfalls für die Angestellten. Gäste bekommen von ihren Gastgebern einen Einmal-Code, den sie den Wachmännern am Eingang nennen müssen. Handwerker müssen sich einer gründlichen Sicherheitsprüfung unterziehen. Sogar Rettungskräfte und Polizei können nicht einfach durchfahren.
Häuser des "Mount Edgecombe Country Club Estate" in Durban.
Häuser des "Mount Edgecombe Country Club Estate" in Durban.© Leonie March
Thandi Nocuse wundert all das mittlerweile nicht mehr. Sie arbeitet schon seit 17 Jahren für verschiedene Familien hier. Aber sie erinnert sich noch gut daran, als sich die Schranke zum ersten Mal für sie geöffnet hat. Wie ein Tor zu einer anderen Welt.
"Es war wie ein Schock, denn dort, wo ich wohne, sieht es ganz anders aus. Hier ist alles wunderschön. Ich wusste gar nicht, wo ich zuerst hinschauen sollte. In meinem Viertel hat keiner ein solches Haus. Aber hier ist alles traumhaft, die Häuser, die Bäume, alles ist gepflegt und sicher. Vollkommen anders als bei mir zuhause. Da muss man ständig auf der Hut vor Verbrechern sein. Jeder ist auf sich allein gestellt. Hier dagegen werden die Leute rund um die Uhr von Sicherheitsleuten beschützt."

56 Morde pro Tag in Südafrika

Seit dem Ende der Apartheid Anfang der 90er-Jahre wächst die Zahl von Hochsicherheits-Vierteln wie diesem stetig. Bürger, die es sich leisten können, schotten sich so vor der grassierenden Kriminalität ab. Denn Südafrika hat eine der höchsten Kriminalitätsraten der Welt. Laut der letzten Polizeistatistik werden jeden Tag 56 Menschen ermordet, bei einer Gesamtbevölkerung von 56 Millionen. Die Zahl der Sexualdelikte beträgt mehr als das doppelte. Dazu kommen über 22.000 Hauseinbrüche im Jahr.
Die Haustür ist nicht abgeschlossen, als Thandi Nocuse bei ihrer Arbeitgeberin eintrifft. Die lebt in einer Doppelhaushälfte mit kleinem Garten, einem der bescheideneren der insgesamt 890 Häuser. Alle sind im gleichen Stil gebaut, mit grünen Dächern und ausladenden Veranden. Der uniforme Baustil ist eine der vielen Regeln dieses künstlich angelegten Stadtviertels. Im Wohnzimmer spielt die blonde Hausherrin Janna Strang in aller Seelenruhe mit ihrem Sohn Lego.
Janna, ihr Sohn und Thandi Nocuse spielen im Haus auf dem Gelände einer "Gated Community" in Durban.
Janna, ihr Sohn und Thandi Nocuse spielen im Haus auf dem Gelände einer "Gated Community" in Durban.© Leonie March
"Wir lassen die Türen oft unverschlossen. Das ist ein anderes Lebensgefühl als früher, als ich noch woanders gewohnt habe. Damals hatte ich eine Alarmanlage, Türen und Fenster waren immer fest verschlossen. In einer Nacht ist trotzdem jemand eingebrochen. Glücklicherweise hat er nur ein paar Handys gestohlen, aber Angst macht so etwas natürlich trotzdem. Ich kenne viele Leute, die nicht so glimpflich davongekommen sind. Sicherheit hatte für mich deshalb höchste Priorität, als ich nach einem Haus gesucht habe. Mein Ex-Mann war viel auf Reisen, ich war oft mit dem Kind allein und bin es jetzt sowieso. Insofern war es eine gute Entscheidung, hierher zu ziehen. In diesem Umfeld fühle ich mich wesentlich entspannter und freier."

"Mein Sohn kann unbeaufsichtigt im Garten spielen"

Eine Freiheit, die aus Sicht der 34-jährigen Chefin einer PR-Agentur nur innerhalb des Sicherheitszauns möglich ist. Und für die sie auch die strikten Vorgaben des Managements gern hinnimmt. Etwa, dass Fassaden nur nach Rücksprache mit dem Management renoviert werden dürfen, noch dazu nur von zugelassenen Handwerkern. Oder, dass man nur kleine Hunde und gar keine Katzen halten darf.
"Es gibt Leute, die deswegen nicht hier einziehen wollen. Aber ich weiß, dass diese Regeln wichtig sind. Sie helfen uns dabei, harmonisch miteinander zu leben. Auch wenn man vielleicht nicht mit allem einverstanden ist. Beispielsweise, dass man sein Haus nicht an Urlauber vermieten darf. Das kann frustrierend sein, wenn man sich gern etwas dazu verdienen möchte. Aber es muss so sein, weil diese Kurzzeit-Mieter ein Sicherheitsrisiko darstellen. Und wegen der Sicherheit leben wir schließlich hier."
Mit dieser Einschätzung ist Janna Strang nicht allein. Schätzungen zufolge entscheidet sich einer von zehn Immobilienkäufern in Südafrika für ein Haus in einer "Gated Community". Tendenz steigend. Nicht nur wegen der Sicherheit, sondern weil es ein gutes Investment ist - der Marktwert beträgt im Durchschnitt das Dreifache von freistehenden Häusern. Und weil der luxuriöse Lifestyle unter Gleichgesinnten attraktiv erscheint. Kritiker dagegen sprechen von sozialen "Blasen". Ein Vorwurf, den auch die junge Mutter kennt.
"Freunde, die draußen leben, scherzen regelmäßig, dass ich wieder zurück in meine "Blase" fahre. Aber ich lebe gern darin. Sie hat unglaublich viel zu meiner Lebensqualität beigetragen. Mein Sohn kann auch mal unbeaufsichtigt im Garten spielen. Ich kann unbesorgt spazieren gehen. Die einzigen, die hier einbrechen, sind die Affen. Aber selbst, wenn ich deswegen in Panik geraten sollte, ist der Sicherheitsdienst immer nur einen Anruf entfernt. Sie kommen und helfen."

180 Kameras zeichnen rund um die Uhr auf

Derartige Anrufe gehen im sogenannten Kontrollraum ein. Ein durch zwei Panzertüren gesichertes, fensterloses Zimmer. Rund um die Uhr über vier Telefonleitungen erreichbar, erklärt Roland Friskin, ein bulliger Mann, der für die operative Sicherheit zuständig ist.
"Wir helfen den Bewohnern so gut wir können. Bei einem medizinischen Notfall oder Feuer sind wir noch vor Rettungswagen oder Feuerwehr zur Stelle. Manchmal werden wir auch angerufen, wenn ein Auto nicht anspringt, ein Reifen gewechselt werden muss, oder jemand eine Schlange in seinem Schrank entdeckt hat. Das gehört alles zu unserem Job. Wir sorgen nicht nur für die Sicherheit, sondern stehen für alle Fälle bereit."
Natürlich aber hat ein potenzieller Einbrecher größere Priorität als ein platter Reifen. An den Wänden des Kontrollraums hängen über ein Dutzend Monitore, die übertragen, was über 180 Kameras rund um die Uhr aufzeichnen. Wer ein- und ausfährt, wer sich dem Zaun nähert. In seiner elfjährigen Tätigkeit sei es nur viermal vorgekommen, dass jemand versucht habe, diesen Zaun zu überwinden, erzählt Roland Friskin stolz.
Die Tür öffnet sich und eine schlanke Frau betritt den Kontrollraum. Es ist Friskins Chefin, Michelle Maree. Sie war Polizistin, bevor sie in die boomende private Sicherheitsbranche in Südafrika gewechselt ist. Der Trend, dass immer Südafrikaner in diese geschützten Wohnviertel wie dieses ziehen, überrascht sie nicht.
"Es gibt meiner Meinung nach einen echten Bedarf dafür. Überfälle und Einbrüche in Privathäusern nehmen zu. Männer wollen wissen, dass ihre Frauen und Kinder wenigstens zuhause sicher sind. Es ist bedauerlich, dass die Kriminalität dadurch nicht insgesamt abnimmt. Sie verlagert sich lediglich in andere Viertel, die nicht so gut geschützt werden. Aber daran kann der Einzelne nichts ändern. Ich kann verstehen, dass Familien hierher ziehen. Bei all der Kriminalität dort draußen müssen sie wenigstens zu Hause nicht ständig auf der Hut sein, weil wir sie schützen."

"Freiheiten der Bewohner weiter einschränken"

Dieser Schutz erscheint für Laien schon jetzt lückenlos. Aber Sicherheitschefin Michelle Maree hat weitere Maßnahmen im Auge. Zum Beispiel will sie die Einlasskarten abschaffen, die die Bewohner an Freunde und Familienmitglieder verteilen, die regelmäßig zu Besuch kommen.
"Ich würde die Freiheit der Bewohner diesbezüglich gern einschränken und restriktivere Einlasscodes einführen. Außerdem möchte ich jedes Jahr von neuem überprüfen, ob alle, die auf dem Gelände arbeiten, in Konflikt mit dem Gesetz geraten sind. Ich möchte nicht nur über Verurteilungen, sondern auch über Verdachtsmomente informiert werden. So kann ich einschätzen, wer ein potenzielles Risiko darstellt. Drittens arbeiten wir an einer neuen Regelung für Uber-Fahrer und Kuriere. So dass sie nicht länger auf dem Gelände bleiben als unbedingt nötig. Wir müssen uns ständig anpassen. Die Technologie verändert sich. Und so etwas wie Uber gab es vor zehn Jahren noch nicht."
Herzstück aller Sicherheitsmaßnahmen bleiben strikte Kontrollen an den Eingängen und dem Zaun, betont Michelle Maree mit Blick auf die Bildschirme. Auch wenn der 7,5 Kilometer lange Zaun nicht unbedingt martialisch wirkt.
"Es ist eine Palisade, durch die man durchschauen kann. Das gibt den Bewohnern das Gefühl, nicht eingesperrt, aber trotzdem geschützt zu sein. Es ist nicht leicht über einen Zaun zu klettern, der noch dazu durch einen Hochspannungsdraht gesichert ist. Sobald darauf Druck ausgeübt oder die Verbindung unterbrochen wird, löst das System einen Alarm aus. Außerdem haben wir natürlich eine große Zahl von Wachmännern, die am Zaun patrouillieren."

Wachmann: Wir sind nicht alle gleich geboren

Heute ist Sibusiso Gumede mit der Patrouille dran. Ein hünenhafter Mann in Uniform, sein Schäferhund läuft bei Fuß, die Nase nah am Boden.
"Manchmal nimmt der Hund etwas wahr, das ich nicht sehen kann", sagt Gumede. "Ich beobachte also sowohl ihn als auch den Zaun. Ich überprüfe, ob er intakt ist, ob jemand versucht hat, ihn zu durchtrennen oder ein Loch zu graben. Ob die Hochspannungsleitung funktioniert oder durch einen herunterhängenden Ast gestört wird. Außerdem muss ich jeden vertreiben, der hier rumlungert. Wenn ich es allein nicht schaffe, rufe ich per Funk Unterstützung."
Von einem solchen Schutz können die meisten Südafrikaner nur träumen. Vor allem in den Townships, wo früher wie heute die dunkelhäutige Bevölkerungsmehrheit lebt. Aber wie so vieles in Südafrika ist auch Sicherheit eine Frage des Geldes.
"Ich kann mir einen solchen Zaun nicht leisten. Um mein Haus herum habe ich nur einen einfachen Maschendrahtzaun. Jeder schützt sich und sein Hab und Gut eben, so gut er kann. Wir sind nicht alle gleich geboren worden. Das hier ist ein Ort für die Wohlhabenden. Sie haben hart dafür gearbeitet und sich das alles verdient. Für mich ist das ein Geben und Nehmen: Ich passe auf diese Leute auf und sie bezahlen mich dafür. So kann ich meine Kinder ernähren."
Sibusiso Gumede hat sich offenbar mit der ungleichen Gesellschaft seiner Heimat abgefunden. Das tun längst nicht alle Südafrikaner. Kritiker sprechen von einer neuen Form der Apartheid, von einer weiteren Spaltung der Gesellschaft. Gutsituierte, die zum Wohle aller Druck auf die Regierung ausüben könnten, würden schweigen. Weil sie sich längst durch Mauern und Zäune ihre eigene Realität geschaffen haben.

Vorwurf: Hier schottet sich eine weiße Elite ab

Zu dieser Realität gehören Golfplätze, Mountain-Bike-Wege, Tennisplätze, Schwimmbäder, Restaurants und vieles mehr, was zum Lifestyle der Bewohner gehört. Für all diese Einrichtungen und ihre Sicherheit zahlen sie bei Einzug eine stattliche Summe und danach monatliche Abgaben, die in etwa so hoch sind, wie der Mindestlohn einer Hausangestellten.
Janna Strang sitzt mit ihrem Sohn mittlerweile in einem der Estate-eigenen Cafés und genießt den idyllischen Ausblick auf einen See und den Golfplatz. Ein Lieblingsplatz, an dem sie sich gern mit Freunden trifft, von denen viele ebenfalls hier leben, ebenso wie ihre Eltern und ihr Ex-Mann. Die junge Mutter schwärmt von dem Gemeinschaftsgefühl, von hilfsbereiten Nachbarn, vom Freizeit-Angebot für Kinder. Den Vorwurf, dass sich hier eine überwiegend weiße Elite abschottet, lässt sie nicht gelten.
"Segregation würde ich das nicht nennen. Es hat eher mit der gesellschaftlichen Realität in Südafrika zu tun. Besserverdienende können sich diese Art zu leben nun einmal als Erste leisten. Sie sind sozusagen Trendsetter. Aber schon heute gibt es auch günstigere 'Gated Communities'. Natürlich leben hier bei uns nur Leute einer bestimmten Einkommensklasse. Aber es sind durchaus unterschiedliche Kulturen vertreten. Das Schöne an unserem Land ist ja, dass es als Regenbogennation bekannt ist, weil es so multikulturell ist."
Im Café jedoch sind abgesehen von den Kellnern überwiegend weiße Gesichter zu sehen. Und die Statistik des Managements bestätigt diesen Eindruck: Fast 82 Prozent der Bewohner sind weiß. Zum Vergleich: In der südafrikanischen Bevölkerung sind die Weißen mit knapp acht Prozent eine Minderheit.
Während Janna Strang im Café sitzt, macht sich ihre Haushälterin auf den langen Heimweg nach Inanda. Das Township gehört landesweit zu den zehn Bezirken, in denen die meisten Morde, Vergewaltigungen und Hauseinbrüche verübt werden. Deshalb wirke die Arbeit manchmal wie Erholung, meint Thandi Nocuse, als sie am Ausgang wieder ihren Fingerabdruck scannen lässt:
"Ich arbeite sehr gerne hier, denn ich fühle mich sicher. Hier kann mir keiner etwas anhaben. Ich entspanne mich, sobald ich hineingehe und bin erst wieder angespannt, wenn ich herauskomme. Jetzt muss ich wieder jederzeit damit rechnen, überfallen zu werden. Manchmal wünsche ich mir, dass ich eines Tages auch hier wohnen könnte."
Das bleibt wahrscheinlich ein Wunschtraum. Ihre Handtasche fest unter den Arm geklemmt, geht sie wieder den langen Zaun entlang.

Entstanden in Kooperation mit dem Autorennetzwerk "Weltreporter" und ihrem Buch "Ausgeschlossen – Eine Weltreise entlang Mauern, Zäunen und Abgründen".

Mehr zum Thema