Südafrika

Kap der Kunst

Von Leonie March  · 12.09.2016
Kunst aus Südafrika erlebt weltweit einen Boom, etliche Museen haben ihr große Ausstellungen gewidmet. Besonders in Kapstadt ist das zu spüren: Dort sprießen Galerien wie Pilze aus dem Boden, macht eine junge bunte Kunstszene von sich reden.
Von der Baustelle wirbelt feiner Staub durch die salzige Luft an Kapstadts Waterfront, der Einkaufs- und Vergnügungsmeile. Gegenüber legen massige Kreuzfahrtschiffe an. Touristen besteigen die Fähre zu einem Ausflug auf die ehemalige Gefängnisinsel Robben Island. Der berühmte Tafelberg rundet die Kulisse ab. Und bald soll Kapstadt um eine weitere Attraktion reicher sein. Die Bauarbeiten dafür laufen auf Hochtouren.
Ein paar Touristen studieren die Schilder am Bauzaun: Hier entsteht das "Zeitz MOCAA" – ein Museum für zeitgenössische Kunst. Mit über 6.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche das größte des afrikanischen Kontinents. Hinter diesem Mammutprojekt steht der Kunstsammler Jochen Zeitz. Zufrieden beobachtet er die Bauarbeiten: Langsam verwandelt sich das ehemals verwaiste Getreidesilo in einen futuristischen Museumsbau:
"Wir haben Jahre gesucht nach einem richtigen Gebäude, nach der richtigen Stadt. Und als ich dann das Gebäude gesehen habe, war das für mich wirklich in einer Sekunde entschieden, weil ich gesagt habe: Das ist wirklich ein Landmark, das ist ein historisches Gebäude mit viel Signifikanz, hat enormes Potenzial, es hat viele Besucher aus der ganzen Welt, aus Afrika. Man hat entsprechend auch Zugang zu dem Museum. Und da ist Kapstadt als eine der schönsten Städte der Welt sicherlich ein toller Standort."
Messestand der Galerie Momo auf der Cape Town Art Fair
Messestand der Galerie Momo auf der Cape Town Art Fair im Februar 2016© Deutschlandradio / Leonie March
Schön war Kapstadt immer schon. Als internationale Kunstmetropole hat sich die Stadt bislang jedoch keinen bedeutenden Namen gemacht. Die staatlichen Museen sind finanziell zu schlecht ausgestattet. Die Szene sei bis vor ein paar Jahren eher überschaubar gewesen, erzählt Pieter Hugo. Der blonde 39-Jährige gehört zu den bekanntesten zeitgenössischen Fotografen Südafrikas. Er ist auf dem Weg in sein Atelier. Mit großen Schritten geht er die Kloof Street entlang – eine der angesagtesten Straßen im Herzen der Stadt:
"Als ich hier in der Kloof Street aufgewachsen bin, gab es gerade einmal ein Café, eine Autowerkstatt und einen Schneider. Das war’s."
Heute ist das kaum vorstellbar. In unzähligen Cafés und Restaurant sitzen hippe junge Leute in der Sonne, trinken Kaffee oder besprechen vor aufgeklappten Laptops ein neues Projekt. Andere versuchen, mit ihren Geländewagen einen der raren Parkplätze zu ergattern.
Pieter Hugo: "1994" in der Stevenson Gallery
Pieter Hugo: "1994" in der Stevenson Gallery© Stevenson Gallery
In den Schaufenstern hängen Vintage-Kleider und Designermode. In den Läden nebenan stehen schicke Möbel unter modernen LED-Kronleuchtern. Die Parallelen zu Trendvierteln in anderen Großstädten sind unübersehbar:
"Hier herrscht momentan wirklich viel positive Energie. Kapstadt ist zu einer dieser superkreativen Orte geworden, so wie es Berlin mal war. Ein Nukleus für Leute, die etwas Neues ausprobieren oder erschaffen wollen. Mich inspiriert das. Ich habe großartige Freunde hier, viele von ihnen sind erfolgreiche Künstler, mit denen ich mich auch über neue Projekte austauschen kann. Die Stadt bietet alles, was ich für meine Arbeit brauche. Wenn ich Zeit für mich brauche, gehe ich in den Bergen joggen oder gehe zum Surfen an den Strand. Es ist leicht, der Stadt zwischendurch zu entfliehen."

Explodierende Mietpreise

Der Fotograf biegt in eine Querstraße ein und betritt ein altes Fabrikgebäude. Ein Atelier in dieser Lage ist mittlerweile fast unerschwinglich geworden, erzählt er. Denn die Mietpreise in der Innenstadt sind auch in Folge des kreativen Goldrauschs geradezu explodiert:
"Das ist wirklich vollkommen wahnsinnig. Die Kehrseite der Medaille. Ich wünschte, wir hätten hier in Südafrika eine Art Mietpreisbremse. Die Notwendigkeit dafür ist offensichtlich. Ich hatte Glück, dass ich dieses Atelier schon vor Jahren bezogen habe und daher eine vergleichsweise geringe Miete zahle. Andere Künstler müssen die Innenstadt dagegen verlassen oder in kleinere Räume umziehen."
Auch das ehemalige Arbeiterviertel Woodstock mit seinen alten Fabrikgebäuden ist schon lange kein Geheimtipp mehr. Preiswerte Ateliers sind rar geworden. Die einst heruntergekommene Gegend erlebt, was die einen Aufschwung und die anderen Gentrifizierung nennen. Schon Jahre zuvor hatten sich die namhaften Galerien Südafrikas, wie Stevenson oder Goodman, hier angesiedelt. Die Hauptstraße ist deshalb auch als "Woodstock Art Strip" bekannt.
Galerie Momo in Kapstadts Bo-Kaap
Galerie Momo in Kapstadts Bo-Kaap© Foto: Leonie March
Neue Wege erschließt die Galerie Momo, die erst vor einem Jahr am Kap eine Zweigstelle eröffnet hat. Direktor Igsaan Martin stößt gerade mit seinen Mitarbeitern an. Das "Zeitz MOCAA" habe Interesse an der Arbeit einer seiner Künstlerinnen, erzählt er. Das ist gut fürs Image und steigert den Wert der Werke.
Ein dunkelhäutiges Paar betritt die Loft-artigen, lichtdurchfluteten Räume. Ausgiebig betrachten die beiden jedes Objekt - großformatige Fotoarbeiten, Videoinstallationen, abstrakte Malerei. Sie diskutieren leise miteinander, deuten sachkundig auf das ein oder andere Detail.
"Es gibt einen neuen Typ Kunstsammler. Leute, die nicht unbedingt riesige Summen ausgeben, die aber bereit sind, überhaupt Geld für Kunst zu investieren. Es sind junge erfolgreiche Leute aus dem In- und Ausland, die sich vor allem für ebenso junge, aufstrebende Künstler interessieren. Deren Werke verkaufen sich momentan ebenso gut wie die ihrer etablierteren Kollegen."
Das wirke sich natürlich positiv auf die Entwicklung der wachsenden Kunstszene am Kap aus, fügt Igsaan Martin hinzu.

Jenseits des weißen Bürgertums

Lächelnd blickt er aus dem Fenster auf die kunterbunten Häuschen der Nachbarschaft, das Markenzeichen des Viertels. Im Bo-Kaap leben bis heute überwiegend Nachfahren der sogenannten Kap Malaien, muslimischer Sklaven aus Südostasien. Der Standort ist Programm – die Galerie will ein neues Publikum ansprechen, jenseits des weißen Bildungsbürgertums.
"Wir wollen, dass der kleine Mann von der Straße einfach bei uns hereinschauen und Kunstwerke ansehen kann, wenn ihm danach ist. Tatsächlich kommen täglich junge Leute hier herein und auch Anwohner aus dem Bo-Kaap. Das freut mich ganz besonders. Denn wir versuchen alle Grenzen in Kapstadt zu überwinden."
Grenzen gibt es in Kapstadt noch zur Genüge: Zwischen Arm und Reich, den Wellblechhütten der Townships und den Millionenschweren Villen der Vororte. Während der Apartheid musste die Bevölkerung nach Hautfarben getrennt in unterschiedlichen Stadtvierteln leben. Diese Trennung ist bis heute sichtbar.
Studenten an der Universität Kapstadt
Studenten an der Universität Kapstadt© picture-alliance / dpa / Ralf Hirschberger
Frühmorgens strömen am Bahnhof tausende Pendler aus vollbesetzten Zügen in die Innenstadt. Spätnachmittags fahren sie wieder zurück in ihre teils abgelegenen Wohnviertel.
Auch der junge Maler Rory Emmett ist jeden Tag zwei Stunden unterwegs – von Thornton, einem Vorort, in dem bis heute überwiegend Menschen wohnen, die während der Apartheid als "Farbige" klassifiziert wurden, zu seinem Atelier in der Nähe der Kunsthochschule.
"Ich habe mich schon immer sehr für Kunst interessiert und immerzu gezeichnet. Meine Grundschullehrerin wollte mein Talent fördern und hat mich für einen Kunstkurs angemeldet. Aber leider hatten wir damals kein Auto und so konnte ich nur selten daran teilnehmen. Trotzdem hat man mich die Kunsthochschule aufgenommen – eine alte, weiße Institution.
Ich war einer der wenigen farbigen Studenten. Mir fiel auf, dass mein Akzent anders klingt und wie wenig dieser elitäre Kreis mit meinem Alltag zu tun hat. Mit dieser Thematik setze ich mich heute künstlerisch auseinander. Ich akzeptiere das Etikett "farbig" nicht mehr, sondern definiere es neu."
Farben für Rory Emmetts "Colourman" in seinem Atelier
Farben für Rory Emmetts "Colourman" in seinem Atelier © Foto: Leonie March
Der 24-Jährige betritt sein kleines Atelier. Durch das offene Fenster dringt der Lärm von der Straße hinein. Es riecht intensiv nach Farbe. Auf der Staffelei steht sein neues Werk – ein Portrait.
"Colourman" heißt der Charakter, der in vielen von Emmetts Gemälden und Performances im Mittelpunkt steht. Ein farbiger Avatar, der die Absurdität der rassistischen Kategorien vor Augen führt, mit dem Begriff der Regenbogennation spielt und auch der Kunstszene kritisch den Spiegel vorhält.
"In Südafrika gibt es wesentlich weniger farbige Künstler als weiße oder schwarze. Selbst in meiner Generation wird man mit den alten Stereotypen konfrontiert: Farbige sind hier in Kapstadt Bauarbeiter oder Putzfrauen, aber keine Künstler. Das wirkt sich sowohl darauf aus, wie man in einer Galerie wahrgenommen wird, als auch wie man sich dort selbst fühlt: Unwohl und fehl am Platz.
Meine Familie und meine Freunde würden normalerweise nie zu einer Vernissage kommen. Sie tun es nur, wenn ich dort ausstelle. Heutzutage hat das eher etwas mit einem gesellschaftlichen Klassendenken zu tun, als mit offenem Rassismus. Galerien werden als Orte der gebildeten Elite wahrgenommen. Der einfache Mann von der Straße bleibt draußen, obwohl er oft Gegenstand der Kunst ist. Das finde ich problematisch."
Thuli Gamedze in ihrem Atelier
Thuli Gamedze in ihrem Atelier© Foto: Leonie March
Rory Emmett ist nicht allein mit seiner Kritik. Nur ein paar Meter Luftlinie entfernt, brütet die Installationskünstlerin Thuli Gamedze über ihrer Masterarbeit. Sie schreibt darüber, wie verkrustete Strukturen noch immer Institutionen wie die Kunsthochschule prägen und wie sie aufgebrochen werden können.
"Galerien vertreten zwar schwarze Künstler, aber der Kunstmarkt ist weiterhin zum größten Teil in weißen Händen. Käufer, Verkäufer und Galeriebesucher sind überwiegend weiß. Als Schwarzer hat man immer noch das Gefühl, man müsste sich irgendwie anpassen."
Afrikanische Kunst gilt noch immer als exotisch und wird nach eurozentrischen Kriterien betrachtet, auch hier an der Uni. Es erweckt den Eindruck, als könnte man Afrika nur über den Westen definieren und nicht unabhängig davon. Aber glücklicherweise wird über diese lange unter der Oberfläche gehaltenen Themen langsam diskutiert. Viele Leute beginnen damit, umzudenken.
Dieser Wandel ist ein Grund für die junge Künstlerin, am Kap zu bleiben und nicht nach Johannesburg zurückzukehren. Gemeinsam mit zehn ehemaligen Kommilitoninnen hat sie das iQhiya-Kollektiv gegründet. Ein Ziel ist die Förderung dunkelhäutiger Künstlerinnen, die aus ihrer Sicht noch keine Lobby haben.
Ein weiteres ist der Ausbau einer unabhängigen Kunstszene, jenseits der mächtigen Galerien. Erst kürzlich war die Gruppe mit einer Performance in Langa, einem der ältesten Townships der Stadt. Denn auch dort gibt es eine lebendige Kunstszene.
Eingang zum Guga S'thebe in Langa
Eingang zum Guga S'thebe in Langa© Foto: Leonie March
Herz dieser Szene ist das Kulturzentrum Guga S’thebe. Kunstvolle Mosaike schmücken den Bau. Im Gegensatz zu den Galerien in der Stadt, bei denen man für den Einlass klingeln muss, steht die Tür hier offen. An der Wand hängen Werke lokaler Künstler und Kunsthandwerker.
Teils sind sie deutlich auf den Geschmack der Touristen abgestimmt, die hier auf ihren Township-Kultur-Ausflügen vorbeikommen. Teils aber auch mit einer abstrakteren Handschrift, so wie die Bilder von Nomusa Mtshali, die gerade erst auf der Johannesburger Kunstmesse ausgestellt wurden. Sie hat lange gebraucht um diesen eigenen Stil zu entwickeln: Wie in vielen südafrikanischen Schulen gab es auch in ihrer keinen Kunstunterricht.
"Ich wusste nicht, wer Picasso oder van Gogh sind. Nur, dass ich gerne zeichne. Deshalb habe ich mich trotzdem nach dem Abitur für Kunst eingeschrieben. Das Auswahlkomitee steckte mich erst mal in einen Vorbereitungskurs, um die Grundlagen zu lernen. Ich habe das Studium abgeschlossen, aber es war extrem schwer. Es ist fast unmöglich, wenn man nicht einmal ein richtiges Dach über dem Kopf hat, gleichzeitig Geld verdienen muss und sich dann auch noch persönlich weiterzuentwickeln soll."

Die Kluft überbrücken

Deshalb ist es ihr eine Herzensangelegenheit, Malworkshops für Kinder zu veranstalten und Ausstellungen zu organisieren:
"Kulturzentren wie das Guga S’thebe sind sehr wichtig. Sie fordern einen heraus und eröffnen neue Perspektiven. Sie überbrücken die Kluft zwischen den gebildeten, wohlhabenden Gesellschaftsschichten und all jenen, die einfach für die Kunst brennen, ohne das Privileg eines Studiums zu haben."
Die 30-Jährige wünschte sich mehr Unterstützung von der Regierung und von den etablierten Galerien. Auch von dem neuen Museum hat sie schon gehört.
"Ich denke schon, dass wir ein Museum brauchen, das sich auf Themen konzentriert, die heute relevant sind. In dem man sehen kann, woran afrikanische Künstler momentan arbeiten. Ein zeitgenössisches statt ein traditionelles Museum. Gleichzeitig frage ich mich, ob man sich dort auch um die Menschen bemühen wird, die nicht zur Schule gegangen sind und nicht einmal wissen, was das Wort "zeitgenössisch" überhaupt bedeutet."
Street Art in Langa
Street Art in Langa© Foto: Leonie March
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