Studie "Urban Emotions"

Stadt, du stresst mich so!

Monitorabbildung während der Studie "Urban Emotions": Die Passantin geht auf eine Unterführung zu.
Ein Unterführung könnte ein Stresspunkt sein: Im Projekt "Urban Emotions" vermessen Wissenschaftler die Emotionen von Passanten. © Karlsruher Instituts für Technologie (KIT)
Von Uschi Götz · 26.11.2018
In einer aktuellen Studie messen Wissenschaftler die Gefühle von Probanden, die zu Fuß oder mit dem Rad in Stuttgart unterwegs sind. Das soll langfristig helfen, die Stadt stressfreier zum machen.
Die Wegstrecke ist mir vertraut: Landtag, durch die Unterführung zur Stuttgarter Staatsgalerie, über die Konrad-Adenauer-Straße Richtung Hauptbahnhof.
"Ich stehe jetzt schon ungefähr eine Minute an einer roten Ampel, jetzt wird es grün. Ich schaue nochmal, ob ich da rüber komme, das ist etwas unklar."
Abbiegende Autos müssen auf Fußgänger achten. Sieht mich der Autofahrer? Stresst mich die Situation? Was passiert mit mir eigentlich, jetzt in diesem Moment?

Die Gefühle in der Stadt sichtbar machen

Das wird heute untersucht. In meiner Tasche steckt ein GPS-Gerät, in Brusthöhe zeichnet eine Kamera meine Wegstrecke auf. Und um mein linkes Handgelenk trage ich ein Smartband, das mittels Sensoren aufzeichnet, wie dieser Rundgang bei mir ankommt. Etwas verkürzt ausgedrückt: Heute werden meine Gefühle in der Stadt sichtbar gemacht.
Unterführungen, die große Passage am Bahnhof, Rolltreppen. Über die Stuttgarter Einkaufsmeile Königstraße gehe ich in Richtung Stuttgarter Schlossgarten.
"Tagsüber, bei schönem Wetter sieht der Schlossgarten völlig harmlos aus. Bäume, Enten sitzen da, aber nachts wollte ich das nicht machen hier."
Monitorabbildung während der Studie "Urban Emotions": Die Passantin wartet an einer Ampel.
Langes Warten an der Ampel - definitiv ein großer Stressfaktor.© Karlsruher Instituts für Technologie (KIT)
"Perfekt, wir machen genau um 10:43… Und 15 Sekunden und: aus. Das war es." – Peter Zeile stoppt die Aufzeichnung meines Smartbandes. Der promovierte Wissenschaftler ist Raum- und Umweltplaner. Am Karlsruher Institut für Technologie leitet Zeile das Projekt Urban Emotions. Sein Laptop steht bereit. Meine gesammelten Daten werden eingelesen.
"Wir synchronisieren jetzt in dem geografischen Informationssystem unseren GPS-Datensatz und lassen den dann automatisiert den Algorithmus durchrechnen, und gleichen dann ab: Wo ist die Haupttemperatur gefallen und wo die Hautleitfähigkeit gestiegen. Wird jetzt hier als Punkt auf der Karte schon einmal angezeigt."
Bei Stress steigt die Hautleitfähigkeit und die Körpertemperatur sinkt. Auf diese Körperreaktionen haben wir keinen Einfluss. Zeile und sein Team lassen Menschen durch Städte laufen und schicken Radfahrer kreuz und quer durch die Metropolen. Alle ihre Daten werden ausgewertet. Konkret geht es darum, Gefühle zu "objektivieren" und mit einer Messung zu "visualisieren".
"Wir versuchen so viel wie möglich, neue Leute zum Mitmachen zu gewinnen, um dann zu schauen, wie reagieren sie auf ihre Stadt und wo ist vielleicht, wenn wir ganz viele von diesen Messungen haben, immer wieder ein Punkt, der auftaucht, an dem wir als Planer auch reagieren müssen."
Landkarte mit Punkten, die anzeigen, an welchen Stellen die Probandin besonder gestresst war.
Rote Punkte zeigen an, wo die Fußgängerin besonders gestresst war.© Karlsruher Instituts für Technologie (KIT)
Angstpunkte nennen es die Wissenschaftler, wenn an einer Stelle in der Stadt viele Probanden mit Stress reagieren. Zum Forschungsteam um Peter Zeile gehören auch Psychologen, Soziologen und Geoinformatiker.

Projekt könnte Radfahren stressfreier machen

"Es ist ein Experiment für einen neuen Blick auf die Stadt." Stadtforschung bekommt dadurch ganz neue, ungewohnte Impulse. Haben zum Beispiel auffallend viele Testpersonen in einer Fußgängerzone Angstpunkte, so können Städteplaner schauen, was dort genau los ist.
Sobald Gefühle sichtbar werden, kann das in Bezug auf die Umgebung gesetzt werden und Einfluss auf künftige Planung haben. Sind die Bedingungen für Radfahrer zum Beispiel gut, etwa eigene Spuren, übersichtliche Kreuzungen, ist die Fahrt logischerweise weniger stressig. Wissenschaftler Zeile ist überzeugt: So bekommt man auch mehr Autofahrer zum Umsteigen.
Meine Auswertung liegt mittlerweile vor: "Wo waren die meisten Stresspunkte? Interessanterweise, an der Unterführung ist nichts passiert, wo Sie durchgegangen sind. Erst dann wieder an der Staatsgalerie."
Auf einer Karte sind verschieden rot leuchtende Punkte zu sehen. "Moments of stress" steht darunter. An einigen Stellen haben die roten Punkte noch helle Stellen. Das bedeutet: Hier ist meine Körpertemperatur gesunken, und ich war leicht bis mittelstark gestresst. Das war beim langen Warten an einer Ampel, auch beim Überqueren der Straße war ich angespannt.

Warten im Lärm als Stressfaktor

Die Stresspunkte werden jetzt mit den Bildern verglichen, die ich mit der Kamera während meines Rundgangs aufgenommen habe.
"Zumindest ist es ein Punkt, wo wir sagen, da müssen wir mal genauer hinschauen, an was liegt denn das? Da an dieser Stelle ist es ganz klar, es ist das lange Warten im Lärm, da reagiert der Mensch nicht besonders gut darauf."
Damit Städte so geplant werden, dass sie sich für viele Menschen möglichst sicher anfühlen, berät die Polizei die Städte und Gemeinden. Bundesweit haben sich die Landeskriminalämter auf verschiedene Fragestellungen in puncto Sicherheit spezialisiert. So ist etwa beim LKA Niedersachsen das Kompetenzzentrum Urbane Sicherheit untergebracht. Die städtebauliche Kriminalprävention hat in Hamburg einen Schwerpunkt. Einige Fäden laufen bei der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes beim LKA in Stuttgart zusammen. Als Kriminaloberrat leitet Harald Schmidt diese Geschäftsstelle:
"Hier hat sich schon etwas verändert. Früher bezog sich die Beratung primär auf Verkehrsbereiche. Mittlerweile werden aber die verschiedensten Sicherheitsaspekte mit abgefragt und die Polizei hat eben hier auch ganz unterschiedliche Spezialisten, die sich dann je nach Thema entsprechend einbringen."

Parks und Grünflächen als Wohlfühlorte

Besonders aktuell ist zurzeit die Frage nach der Sicherheit beim Thema Shared Mobility. Damit die Angebote von Leih- und Teilfahrzeugen sicher genutzt werden können, müssen die Abstellplätze zum Beispiel schnell von einem Bahnhof aus erreichbar sein, und sich nicht etwa in einer dunklen Ecke der Stadt befinden. Bevor die Polizeiexperten beraten, werden sogenannte Lagebilder erstellt: "Um einen Überblick über die Kriminalitätslage im entsprechend zu planenden Quartier zu erhalten."
Die Kriminalitätslage spielt eine Rolle, aber viele andere Faktoren kommen hinzu. Denn Städteplaner interessieren sich nicht nur für Gefahren, auch Wohlfühlorte spielen eine große Rolle, was nicht zuletzt meine Stresspunkte zeigen:
"Sehr interessant war auch, auf dem Rückweg, eben am Schlossgarten entlang haben Sie nur einen kleinen Stresspunkt am See, das zeigt: In einer sehr schön gestalteten Grünanlage, wo nicht viel los ist, fühlt der Mensch sich wesentlich relaxter."
Der Schlossgarten ist eine grüne Oase im lauten Stuttgart, das Messergebnis bestätigt mein Gefühl. Die Städte der Zukunft werden ohnehin grüner und ruhiger, so zumindest sagen es manche Planer voraus. Über Beteiligungskonzepte haben dabei zunehmend mehr Menschen Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung von Wohnstraßen oder des eigenen Stadtviertels. Das Verfahren von Urban Emotions kann in diesen Fällen zu einer neutralen Stadtplanung beitragen.
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