Studie der Bertelsmann Stiftung

Kinderarmut in Deutschland ist gestiegen

Aus einzelnen Buchstaben des Spiels "Buchstabensuppe" ist das Wort Kinderarmut gebildet
Kinderarmut - hier wird das Wort aus dem Spiel "Buchstabensuppe" gebildet - wird zum wachsenden Problem in Deutschland. Inzwischen leben fast zwei Millionen Kinder und Jugendliche in Familien, die staatliche Grundsicherung erhalten. © dpa / picture alliance / Jens Kalaene
Von Silke Tornede · 12.09.2016
Die Kinderarmut in Deutschland ist gestiegen, so zeigt eine neue Bertelsmann-Studie: Fast zwei Millionen Kinder und Jugendliche leben in einer Familie, die staatliche Grundsicherung erhält. Dieses System müsse dringend überdacht werden, fordert die Bertelsmann-Stiftung.
Es ist Essenszeit im "HoT Zefi", ein Haus der offenen Tür im Bielefelder Süden. Rund 30 Kinder bekommen in der Jugendeinrichtung regelmäßig eine warme Mahlzeit. Der Mittagstisch wird über Spenden finanziert und ist für viele Familien im Stadtteil ein wichtiges Angebot, sagt Sozialpädagoge Axel Bartelsmeier. Er weiß, dass bei vielen Eltern hier das Geld knapp ist - und längst nicht immer bis zum Monatsende reicht.
"Das stellen wir tatsächlich fest. Also man kann es mal wirklich ganz platt sagen: Gegen Ende des Monats ist der Hunger hier größer."
Einkommensarmut und ihre Folgen. Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung wachsen in Deutschland fast zwei Millionen Kinder und Jugendliche in Familien auf, die von staatlicher Grundsicherung, also Hartz IV, leben. Das sind fast 15 Prozent der unter 18-Jährigen, so der Stand im Jahr 2015.

"Politik für Kinder und Familien ist nicht wirksam"

Im Vergleich zu 2011 ist die Zahl gestiegen. Und das, obwohl es den Deutschen wirtschaftlich immer besser geht, sagt Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh:
"Es ist tatsächlich erstaunlich, dass gerade Kinder nicht an der positiven Entwicklung teilhaben. Und das zeigt uns, dass die Politik, die für Kinder oder Familien gemacht wird, offensichtlich nicht wirksam ist."
Besonders armutsgefährdet sind Alleinerziehende und Familien mit mehreren Kindern.
Von Bundesland zu Bundesland gibt es große regionale Unterschiede: In Bremen ist die Kinderarmut mit einer Quote von fast 32 Prozent am höchsten. Auch in Ostdeutschland leben überdurchschnittlich viele Kinder und Jugendliche von Hartz IV. Ein weiteres Problemland ist Nordrhein-Westfalen: Hier ist die Quote auf 18,6 Prozent gestiegen.

Hartz IV: Stress für Kinder und Eltern

Was das für Kinder heißt, bekommen die Mitarbeiter im Bielefelder "HoT Zefi" täglich mit. Viele Familien fühlen sich abgehängt, oft reicht das Geld nicht für das Nötigste, eine warme Winterjacke oder frisches Obst, von kleinen Extras ganz zu schweigen, sagt Sozialpädagoge Axel Bartelsmeier.
"Es ist wirklich ein hoher Stressfaktor, wenn man im Hartz IV Bezug ist und wirklich keine Chance hat, sich da rauszustrampeln. Und dieser Stress der Eltern überträgt sich natürlich auf die Kinder. Wir haben Kinder, die komplett zurückgezogen sind. Wir haben Kinder, die diese, ich sag jetzt mal, negative Energie raustoben müssen. Das brauchen die auch."

Armut hat gravierende Folgen für das gesamte Aufwachsen

Gemeinsam Essen, toben und dann zusammen Schulaufgaben machen - in der evangelischen Jugendeinrichtung genießen es die Kinder, dass sich so intensiv unterstützt werden. Wie wichtig das ist, betont Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung. Denn Experten warnen: Kinderarmut beeinträchtigt die Chancen für das ganze Leben.
"Unsere Studie zeigt, dass je länger Kinder in Armut leben, desto gravierender sind die Folgen und Risiken für ihr gesamtes Aufwachsen. Arme Kinder sind häufig sozial isoliert, gesundheitlich beeinträchtigt, und ihre gesamte Bildungsbiografie verläuft deutlich problematischer als die von Kindern, die in gesicherten Einkommensverhältnissen groß werden."
Die Stiftung fordert darum mehr Unterstützung. Die staatliche Grundsicherung von Kindern müsse überdacht und an den tatsächlichen Bedarf von Heranwachsenden angepasst werden. Die Stiftung will mit Wissenschaftlern dazu auch eigene Vorschläge machen und im kommenden Jahr ein Konzept vorlegen.
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