Streitschrift gegen den Missbrauch der Religionen

Die Geschichte hat es bewiesen: Fast alle Religionen bergen ein großes Gewaltpotenzial. Auch in der Gegenwart zeigt sich, wie leicht der Glaube an Gott funktionalisiert werden kann. Antje Vollmer untersucht, inwieweit die großen Weltreligionen und apokalyptischen Denkansätze diesem latent terroristischen Motiv verfallen sind bzw. ihm zu begegnen versuchen.
Politiker, die sich über Religion verbreiten, haben wir zumal nach dem 11. September mehr als genug erlebt. Im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen ist Frau Vollmer aber ja keine "Fachfremde", oder?

Nein. Antje Vollmer hat in Berlin, Heidelberg, Tübingen und Paris evangelische Theologie studiert und erlangte 1973 ihre Doktorwürde. Zwischen 1971 und 1974 arbeitete sie als Pastorin in Berlin/Wedding. 1976 begann sie eine Tätigkeit als Dozentin an der Evangelischen Heimvolkshochschule in Bethel. Wenn es um theologische Themen geht, weiß sie im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen also recht genau, wovon sie spricht.

"Gott im Kommen?" - wie ist der Titel zu verstehen? Erlebt der Glauben eine Renaissance?

Das ist das eine. Tatsächlich hat der Glaube in den letzten Jahren neuen Auftrieb bekommen. Vollmer verweist zum Beispiel auf Bewegungen wie die protestantisch-fundamentalistischen Pfingstler, die in Südamerika die Monopolstellung der katholischen Kirche zurückdrängen. In Nordamerika bezeichnen sich rund 80 Millionen Menschen als "wiedergeborene Christen". Mit der Wahl George W. Bushs erhielt ein von ihnen beeinflusster charismatisch aufgeladener Politikstil Zugang zum weißen Haus.

Auf der anderen Seite ist der historische "Gott im Kommen" derjenige, auf den sich die monotheistischen Religionen berufen. Wohnten im Polytheismus die Götter vor allem an bestimmten heiligen Stellen, so kam der einzige Gott zu den Menschen - zum Beispiel, als er sich im brennenden Dornenbusch Moses offenbarte. Sein Medium ist das Wort.

Das Fragezeichen am Ende sowie der Untertitel "Gegen die Unruhestifter im Namen Gottes" wirft zudem die in letzter Zeit immer lauter werdende Kritik am Monotheismus und dem ihm innewohnenden Aggressionspotenzial auf.

Wer sind denn die im Untertitel erwähnten Unruhestifter?

Jede monotheistische Glaubensgruppe hat Perioden der Verfolgung und Unterdrückung erlebt. In diesen sehnte man das Kommen Gottes herbei. Und das äußerte sich häufig in apokalyptischen Prophezeiungen, geboren aus dem dringenden Wunsch, Gott möge möglichst bald wiederkommen, die Seinen aus einer sündigen und unterdrückenden Welt befreien und möglichst diese Welt gleich mit vernichten.

Der Apokalyptiker macht sich zum legitimen Interpreten dieser Bilder, setzt sich damit in eine Machtposition und mobilisiert die Gläubigen zum endzeitlichen Krieg. Das ist auch die Motivation eines Selbstmordattentäters, der sein Martyrium als höchsten Gottesdienst versteht und den Untergang der Welt nicht nur in Kauf nimmt, sondern sich berechtigt fühlt, diesen mit herbeizuführen.

Vollmer konstatiert dieses Denken allerdings nicht nur im Umkreis von muslimischen Extremisten, sondern auch im Kreis der christlichen Rechten als Schockreaktion auf die Ereignisse des 11. September und zeigt, wie ähnlich die Reaktionsmuster sind.

Sieht sie einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma?

Ja. Vollmer wünscht sich hierzu "Grenzgänger", die zwei (oder mehr) Religionen kennen, aber in einer Tradition verankert sind. Diese könnten quasi als Brückenköpfe zum Verständnis der jeweils anderen Seite dienen. Sie könnten erklären, welche Wege der Veränderung und der Überwindung radikaler Strömungen den anderen, also etwa den Muslimen, innerhalb ihrer Gesellschaften überhaupt möglich sind. Dies könnte auf lange Sicht zu einem religiösen Weltfrieden führen.

An welche Leserschicht richtet sich das Buch?

In erster Linie an die breite Schicht der interessierten Laien, die in "dieser kleinen Abhandlung" in sehr klarer Sprache einen umfassenden Einblick in die Thematik bekommen. Darüber hinaus liefert das Buch eine Menge Anknüpfungspunkte, wie zum Beispiel an die Monotheismus-Kritiken von Peter Sloterdijk und Jan Assmann genauso wie an die von Vollmer kritisierte neue Atheismus-Debatte um den Oxford-Professor Richard Dawkins.

Den Theologen wird dieses Buch nichts wirklich Neues bringen. Allerdings ist auch für sie das Buch wichtig, denn die Person der Autorin macht es zu einem Zeichen dafür, dass Religion, deren Einfluss man ja gerade im Europa der letzten 100 Jahre immer wieder totgesagt hat, wieder stärker in unser aller Leben drängt.

Rezensiert von Ralf bei der Kellen

Antje Vollmer: Gott Im Kommen? Gegen die Unruhestifter im Namen Gottes
Kösel-Verlag München 2007
192 Seiten. 16,95 Euro
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