Streit um Prix-Goncourt-Anwärter

Die schmerzhafte Beziehung von Literatur und Leben

06:38 Minuten
Ein Mann schaut in die Kamera und beantwortet die Fragen einer Journalistin, die neben ihm steht.
2011 bekam Emmanuel Carrère den französischen Literaturpreis Prix Renaudot - und lächelte etwas schief. Wie kann er sich im November über den Prix Goncourt freuen? © dpa / Thomas Padilla/Maxppp
Dirk Fuhrig im Gespräch mit Gabi Wuttke · 05.10.2020
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Emmanuel Carrères Buch "Yoga" sorgt in Frankreich für Wirbel. Seine Ex-Frau bat ihn, Passagen über sie zu streichen. Jetzt wirft sie ihm vor: Er habe zu viel gestrichen. Was bedeutet das für die Nominierung von "Yoga" für den renommierten Prix Goncourt?
Emmanuel Carrère ist einer der bekanntesten und wichtigsten französischen Schriftsteller. Seit seiner Ehe mit Hélène Devynck zerrüttet ist, will sie nicht mehr in seinen Büchern auftauchen. Draufhin habe Carrère ihr das Buch vorgelegt und sie gebeten, zu markieren, was sie herausgestrichen haben möchte.
Im Anschluss habe er dann wohl aber noch einige Passagen mehr gestrichen - nämlich auch die, in denen sie gut weggekommen wäre. "Von einer erzählerischen Ellipse ist in Frankreich die Rede", sagt Literaturredakteur Dirk Fuhrig. "Sie ist rausgeschnitten aus seinem Buch und letztlich aus seinem Leben."

Bemerkenswertes Buch

In Carrères Buch "Yoga" geht es um die Auszeit eines Mannes auf dem Land. Während er dort ist, erfährt er von den Anschlägen auf Charlie Hebdo. Später hat er mit einer Depression zu kämpfen und er kommt ins Krankenhaus. "Das ganze Buch ist um die Krankheit herumkomponiert, aber auch um Weltgeschehnisse", so Fuhrig.
"'Yoga' ist eines der bemerkenswertesten Bücher Frankreichs in diesem Herbst", findet Fuhrig, "deshalb ist es in die Auswahl für den Prix Goncourt gekommen." Der Preis wird eigentlich für fiktionale Literatur vergeben. "Wie viel Fiktion in dem Buch ist, spielt glaube ich nicht die entscheidende Rolle." Das autofiktionale Schreiben sei sehr verbreitet. So auch bei Annie Ernaux, Marguerite Duras oder Catherine Millet.

Herbst voller literarischer Skandale

Noch dazu wird der Verkauf durch den Streit im Moment heftig befördert. Die Qualität des Buches steht laut Fuhrig auch nach dem Streit eigentlich nicht wirklich in Frage, es gehe in Frankreich eher um die Persönlichkeitsrechte. Er gehe davon aus, dass dieser Streit dem Roman "Yoga" im Hinblick auf den Prix Goncourt nicht schade und dass das Buch Wauf die verkürzte Liste komme, so Fuhrig. "Aber das Ganze ist auch nur eine neue Episode in einem heißen Herbst voller literarischer Skandale."
So habe es vor Kurzem schon eine Affäre um den Ex-Schwiegersohn von Bernard-Henri Lévy gegeben. Aber auch außerhalb Frankreichs hat Maxim Biller einen langen Streit um seinen Roman "Esra" mit seiner Ex-Frau geführt. "Literatur und Leben haben häufig eine schmerzhafte Beziehung miteinander", so Fuhrig.
Vergeben wird der Prix Goncourt im November.
(mfied)
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