Streit um Privatisierungsbehörde

Alle gegen die Treuhand

29:38 Minuten
Gegen die von der Treuhandanstalt beabsichtigte Abwicklung des Dresdner Betriebes Mikroelektronik und Technologie Gesellschaft mbH (MTG) protestieren am 05.09.1991 die Beschäftigten.
Protest gegen die Abwicklung des Dresdner Betriebs Mikroelektronik und Technologie Gesellschaft mbH (MTG) 1991. © picture alliance/dpa/Matthias Hiekel
Von Sabine Adler · 22.10.2019
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Viele sehen in der Treuhandanstalt die Behörde, die die DDR-Industrie platt gemacht hat. Ein Narrativ, aus dem AfD und Linke versuchen, politisches Kapital zu schlagen. Eine allzu simple Betrachtungsweise, die die Gräben zwischen Ost und West vertieft.
Auf einem weiten Gelände, auf unzähligen, sich immer weiter verzweigenden Gleisen stehen Dampf-, Diesel- und Elektroloks. Güterwagons für Ladungen aller Art. Passagierabteile wie in historischen Filmen. Was aussieht wie ein Freiluftmuseum, ist in Wahrheit die Schatzkammer der Benndorfer Bahnreparaturwerkstatt MaLoWa.
"1990 mit der Wende hieß es, Schienentransport brauchen wir nicht mehr. Wir machen alles auf der Straße. Und wenn ich keine Transporte mehr mache, brauche ich auch keine Instandhaltung. Das heißt, auch die Werkstatt war kurz vorm Schließen."
Gerade rollt eine Diesellok in die Werkstatt, in der Hochbetrieb herrscht.
"Die Halle hat acht Gleise, ich habe manchmal zehn Fahrzeuge gleichzeitig hier drin. Hier haben wir eine Diesellok V100."
"Das ist eine, die man häufig sieht."
"Sehr häufig, auch im Osten vor allen Dingen. Eine sehr gute Maschine. Dahinter haben wir eine kleine Rangierlok, und da hinten auf Gleis 3 ist wieder eine V60. Die beiden Kollegen setzen gerade einen Motor instand. Komplett Handarbeit. Das macht die Sache nicht billiger, aber wir können sie weiter nutzen."

Rettung einer Bahnreparaturwerkstatt

Dass von den 100 Bahnschlossern aus DDR-Zeiten 50 immer noch Loks auf Vordermann bringen, verdanken sie der Treuhand-Anstalt und Gerhard Kellner. Zusammen mit seinem Kompagnon Günter Vorwerk fasste sich der Ingenieur nach dem Fall der Mauer ein Herz. Wenn die einstige Bahnreparaturwerkstatt des Mansfeld-Kombinates gerettet werden sollte, mussten sie sie der Treuhandanstalt abkaufen.
"Günter Vorwerk hatte eine Neubauwohnung und auf dem Konto das gleiche wie ich, also nichts. Ich hatte das Problem, dass wir gerade neu gebaut hatten und ich in die Verantwortung gehen und unser Einfamilienhaus riskieren sollte."


Dass die beiden kein Kapital hatten, schreckte die Treuhand nicht. In der Behörde, die die Ost-Betriebe privatisieren sollte, wusste man, dass in der DDR kaum jemand größere Vermögen besaß, schließlich war Privatbesitz im Sozialismus streng limitiert. Aber die beiden Eisenbahnspezialisten brachten neben ihrem Fachwissen etwas anders mit: eine Geschäftsidee. Sie hatten eine Marktlücke für sich entdeckt.
"Weil wir damals ausgerüstet waren auf Privat- und Museumsbahnen. In Westdeutschland waren die Privatbahnen seit vielen Jahren ohne Werkstatt. Die Werkstätten waren seit den 1970er-Jahren geschlossen und die Museums- und Privatbahnen hatten viele Fahrzeuge gerettet, und mit der Öffnung der Grenzen waren mit einem Mal wieder Werkstätten da, die ihre Fahrzeuge reparieren konnten. Und sie konnten Fahrzeuge noch dazu kaufen. Der Osten war ein Mekka für ganz Deutschland im Schienenbetrieb."
In einer Fabrikhalle steht ein Arbeiter an einer Lokomotive mit einem orangen Fahrerhaus.
Bahn-Werkstatt MaLoWa – früher Teil des Kombinats Mansfeld© Sabine Adler/ Deutschlandradio

Ostdeutsche als Eigentümer

Dass kein Westdeutscher, sondern die Ingenieure aus dem Mansfelder Land Eigentümer wurden, war keineswegs so selten, wie derzeit oft behauptet wird. Doch diejenigen, die heute die Treuhand für alles Übel in Ostdeutschland verantwortlich machen, verschweigen, wie heiß ersehnt damals westdeutsche Investoren waren, wie dringend ihr Kapital, ihr Know-how gebraucht wurden. Trotzdem haben Wessis mitnichten die meisten Firmen gekauft, sehr wohl aber die teuersten. Mehr als 100.000 Geschäfte, Kneipen, Restaurants, Apotheken, Werkstätten sowie kleine und mittlere Betriebe gingen an Ostdeutsche wie Gerhard Kellner und seinen Geschäftspartner – wenn sie bereit waren, etwas zu riskieren.
"Für die Werkstatt an sich haben wir richtig bezahlt bei der Treuhand. Und zwar Geld, das wir nicht hatten. Wir wussten, wie eine Achse repariert wird, aber Bankgespräche, das war für uns Neuland. Ein Herr Dr. Huske, der von der Treuhand beauftragt war, hier im Mansfeldischen die Privatisierungen zu betreuen, der frisch von der Hochschule kam, der war für uns sehr wichtig, der hat Bankgespräche organisiert."


700.000 D-Mark mussten sie für die Werkstatt an die Treuhand bezahlen und sich außerdem zu noch einmal 700.000 Mark Investitionen verpflichten. Aber die Schienenfahrzeuge, die noch auf den Gleisen des Betriebsgeländes standen, bekamen sie gratis. Die Treuhand hatte keine Zeit, den Wert des Fuhrparks zu ermitteln, geschweige denn, ihn selbst zum Verkauf anzubieten. Für Gerhard Kellner waren die insgesamt 220 Schmalspur-Wagen, all die Diesel- und Dampfloks so etwas wie eine eiserne Reserve, ein Sparstrumpf, ohne den es so manches Mal eng geworden wäre.
"Da existieren mittlerweile noch 40. Ein Teil ist verschrottet, ein anderer ist verkauft."
"Und hat das auch das Überleben gesichert?"
"Auf alle Fälle war es nicht schädlich. Und hat hier und da eine Lücke geschlossen. Selbst wenn es mal ein Schrottwagen war, der keinen Reichtum gebracht hat. Aber er hat hier und da mit geholfen."
Heute sind sie schuldenfrei. Ihr Geschäftsfeld haben sie verlagert, Geld verdienen sie jetzt vor allem mit den Privatbahnen. Für die 200 Bahngesellschaften, die es in Deutschland gibt, bringen sie Personen- und Güterwagen sowie Lokomotiven durch den TÜV. Nur ein ICE hat noch nicht bei ihnen gestanden.
Ein Arbeiter an einer Steueranlage im VEB Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerke im VEB Mansfeld Kombinat Wilhelm Pieck, am 01.09.1987. Hier in der Abteilung Rippenrohrfertigung werden Zulieferteile für die Kältetechnik gefertigt.
Ein Arbeiter an einer Steueranlage im VEB Berliner Metallhütten- und Halbzeugwerke im VEB Mansfeld Kombinat Wilhelm Pieck, im September 1987.© picture alliance/dpa/ZB/Peer Grimm

Erfolgsgeschichten sind wenig bekannt

Erfolgsgeschichten wie diese aus dem Mansfelder Land, das als abgehängte Region nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern in ganz Deutschland gilt, sind wenig bekannt. Denn sie gehen vor dem 30. Jahrestag der friedlichen Revolution unter im großen Chor der Treuhand-Kritik. Der Theologe Richard Schröder kennt die Gegend aus seiner Zeit als Pfarrer. Heute kämpft der Philosophieprofessor gegen die vermehrt negative Wahrnehmung der jüngeren Geschichte nach dem Ende der DDR.
"Zunehmend, habe ich den Eindruck, festigt sich das. Kurioserweise zu dem Zeitpunkt, wo nun die Treuhand-Akten zugänglich werden, wächst – wie soll ich sagen – die Dämonisierung. Und das hat jetzt einen besonderen Schub bekommen, weil offenbar sowohl die Linke als auch die AfD... Aber angefangen hat es mit einer sozialdemokratischen Politikerin, der Frau Köpping, die auf die Idee aufgekommen ist: Wenn man mal richtig darstellt, wie die Ostdeutschen durch die Treuhand betrogen worden sind, dann bringt das Stimmen."

Wie mit der Treuhand heute Politik gemacht wird

Wirklich geklappt hat das bei der SPD-Politikerin, Schröders Parteifreundin, nicht. Bei der sächsischen Landtagswahl kam sie in ihrem Leipziger Wahlkreis nur auf den dritten Platz, ein CDU-Mitbewerber hat das Direktmandat gewonnen. Doch auch der linke Ministerpräsident Bodo Ramelow in Thüringen macht mit dem Thema Treuhand Wahlkampf, unterstützt von Dietmar Bartsch. Der Linken-Fraktionschef stellt die Tätigkeit der Behörde ausschließlich als eine Geschichte des Niedergangs und Betrugs dar. Bartsch wirft der Treuhand vor, wofür sie eigens 1990 gegründet worden war, nämlich die volkseigenen Betriebe der DDR in private Unternehmen umzuwandeln.
"Die Treuhand hat in einem Jahr hundert mal mehr Betriebe privatisiert wie Maggie Thatcher in zehn Jahren. Die Treuhand hat in großem Umfang deindustrialisiert und hat damit bis heute den Osten zurückgeworfen. Um es mal drastisch zu sagen: Die Treuhand hat aus dem Osten einen Ein-Euro-Laden gemacht. Und wer hat profitiert davon? 85 Prozent der Unternehmen sind an westdeutsche Investoren gegangen und die restlichen 15 sind nicht bei den Ossis geblieben, sondern gingen an ausländische Investoren."

Bartsch fordert einen Treuhand-Untersuchungsausschuss. Mit der Treuhand-Schelte hofft die Linke, ihr Image als ostdeutsche Protestpartei wiederzubeleben, mit der sie noch als PDS jahrelang zuverlässig zweitstellige Wahlergebnisse einfuhr. Doch dieses Kalkül könnte bei der Thüringer Landtagswahl so wenig aufgehen wie in Sachsen und Brandenburg. Denn die AfD hat den Linken den Rang abgelaufen, sie tönt lauter und stiehlt ihnen ungeniert das Thema und die Show.
"Die Verelendung und Heimatzerstörung hier bei uns hat einen Namen. Dieser Name lautet Treuhand. Und die Machenschaften dieser Anstalt gehören rücksichtslos aufgeklärt."
Ausgerechnet Björn Höcke vom rechtsnationalistischen Flügel der AfD, ein West-Import in Thüringen, gibt jetzt den Wortführer über die deutsche Einheit und fordert ebenfalls einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. AfD wie Linke instrumentalisieren die Geschichte. Richard Schröder erklärt deren Interesse an einer Negativ-Erzählung.
"Das nützt denjenigen, die am Beispiel der Treuhand die Regierung als Volksverräter brandmarken möchten, es nützt denjenigen, die so etwas wie einen Systemwechsel vor Augen haben. Der Hintergrund ist tatsächlich der, dass beide Male die Vorstellung die ist: Das System ist krank."
Am 1. April 1992 hindert die Belegschaft der Hermsdorfer Tridelta AG Mitarbeiter der Treuhandanstalt am Betreten des Werksgeländes. Knapp 1500 Beschäftigte protestieren so gegen die Privatisierungspolitik der Treuhandanstalt und fordern die Übernahme des angeschlagenen Unternehmens durch die von Lothar Späth geführt Jenoptik.
Die Belegschaft des Kombinates Keramische Werke Hermsdorf, heute Tridelta, protestiert im April 1992 gegen die Privatisierungspolitik der Treuhandanstalt.© picture alliance/dpa/Jan-Peter Kasper

Linke, AfD und die Geschichte der Treuhand

Linke und AfD wollen in ihrer Analyse bestenfalls bis 1990 zurückgehen, nicht weiter. Denn sonst müssten sie sich auch mit der Wirtschaft zu DDR-Zeiten befassen bzw. mit der Verantwortung der SED, aus der die PDS hervorgegangen ist.
Wichtig im Linken- und AfD-Treuhand-Narrativ ist die konstruierte Gegnerschaft von Ost und West: Der Westdeutsche ist der Feind, der den Ostdeutschen über den Tisch zieht. Die damals herbeigerufenen Manager und Experten, die für den Aufbau Ost so dringend gebraucht wurden und die die durch die friedliche Revolution abgelöste Partei-Elite ersetzt haben, werden jetzt als Ganoven und Glücksritter dargestellt, mit der Treuhand an der Spitze. Eine Behörde angeblich voller Westdeutscher. Was nicht stimmt, wie der Historiker Marcus Böick untersucht hat. Im vergangenen Jahr hat er die erste wissenschaftliche Abhandlung über die Treuhand vorgelegt:
"Das Treuhandpersonal war hochgradig gemischt, das waren mehrheitlich Ostdeutsche. Es waren sehr viele Planwirtschaftskader dabei, sehr viele ehemalige Branchenexperten, auch sehr viele Frauen. Was man sagen muss: dass die Treuhand durchaus von Westdeutschen Führungskräften geleitet wurde, weil man den Glauben hatte, die wissen, wie es läuft. Ein Drittel waren Westdeutsche, zwei Drittel waren Ostdeutsche."

Wenig Lichtblicke und viel kaputte Substanz

Der einzige ostdeutsche Direktor bei der Treuhand war Detlef Scheunert, angeheuert von deren erstem Chef, Detlev Karsten Rohwedder. Scheunert, damals keine 30 Jahre alt, wurde zuständig für die Privatisierung der Glasindustrie. Geboren in Dornreichenbach bei Leipzig, war er vor der Wende Referent des Wirtschaftsministers Hans-Joachim Lauck und bei dessen Betriebsvisiten stets an seiner Seite.
"Als ich mit Lauck durch die DDR gefahren bin, hab ich ein paar Lichtblicke – so ein Elektronik-Kombinat – mal gesehen, das Zeiss Jena Kombinat, wo die dann irgendwelche Steuerungen gebaut haben. Das war modernste Technik. Alles aus dem Westen. Ja, was haben sie dort gebaut? Steuerungen für die SS 20. Rüstung. Also es war schon kaputt, die Substanz, wenn es um Schwerindustrie ging. Aber wenn es in Richtung Konsumgüter ging, dann war gar nichts mehr da. Und so war ja auch die Versorgungslage. Das haben die Menschen ja auch gewusst."


Kurz vor dem Mauerfall stellte SED-Chefplaner Gerhard Schürer in einem internen Papier klar, dass die DDR mitnichten zu den zehn stärksten Volkswirtschaften der Welt zählte, sondern pleite war und dringend Reformen benötigte. Doch vor allem Erich Honecker, Partei – und Staatschef, war für diese und frühere Warnungen taub.
"Die Realität war katastrophal. In Sachsen gab es so einen Spruch: Das sieht hier aus wie ´45, als der Zusammenbruch war. Die DDR hat über 50 Prozent des Nationaleinkommens in den sozialen Ausgleich gesteckt und dann haben sie 25 Prozent in Rüstung und Sicherheit gesteckt. Da war ja nur noch ein ganz schmales Finanzband für Investitionen. Wenn wir dann aus der Provinz kamen, aus Sachsen, Thüringen, und fuhren dann nach Berlin und du gingst ins HdM, ins Haus der Ministerien, das heutige Finanzministerium, das war ja schon so eine Blase. Aber die Leute waren noch mit der Realität in Verbindung. Wenn du dann noch in die Plankommission gegangen bist, war es schon noch extremer. Die kamen ganz selten heraus. Und die Krönung war beim ZK. Die waren völlig vom anderen Stern."
Der sogenannte Silbersee bei Bitterfeld, in den zu DDR-Zeiten belastete Abwässer, Schlämme und Abfälle aus der Filmfabrik Wolfen eingeleitet wurden.
Marode Unternehmen und Umweltzerstörung: Der sogenannte Silbersee 1990 bei Bitterfeld, in den zu DDR-Zeiten belastete Abwässer und Schlämme aus der Filmfabrik Wolfen eingeleitet wurden.© imago images/Rainer Unkel

Kritik an der Negativdebatte

Richard Schröder begleitet als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats die Erforschung der Treuhandanstalt beim Institut für Zeitgeschichte in München. Er kritisiert, dass seine Parteifreundin Köpping mit ihrem Buch "Integriert doch erst mal uns!" die Negativdebatte losgetreten habe. Die Integrationsministerin von Sachsen, die sich jetzt gemeinsam mit dem niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius für den SPD-Parteivorsitz bewirbt, erklärt, warum sie darin die Treuhand-Geschichte aufgreift.
"Das, was mir die Menschen erzählen, ist einfach, dass mit dem Verlust ihrer Arbeitsstätten, die ja in der DDR nicht nur die Arbeitsstätten waren, sondern eben auch eine Sozialisationsstation, das heißt, man hatte Betriebskindergärten, man hatte die berüchtigten und berühmten Betriebstagebücher, wo man eingetragen hat, welche Veranstaltung man organisiert hat, das vermissen die Menschen nach 1990. Und oft vergessen sie eben, wie die Treuhand entstanden ist, dass es ja die Volkskammer war, die das beschlossen hat."
Schröder war SPD-Fraktionschef in der letzten Volkskammer, ihn ärgert die derzeitige Dämonisierung der Treuhand. Viele Mythen über die Behörde hätten sich verselbständigt, seien schlicht falsch. Schröder nennt das in Petra Köppings Buch beschriebene Beispiel Großdubrau, einen Hersteller von Elektro-Porzellan, also Isolatoren.
"Diese Produkte waren in Ost und West beliebt. Man hatte den Maschinenpark neu aufgestellt mit modernen Maschinen aus der Schweiz. Und nun erzählt Frau Köpping, ein Westdeutscher hätte durch Vermittlung der Treuhand diesen Betrieb gekauft und stillgelegt, die Maschinen nach Westen abtransportiert und die Patente mitsamt dem letzten Gehalt im Tresor auch."


Schröder hat recherchiert.
"Das Werk ist überhaupt nicht von einem Westdeutschen gekauft worden, sondern das DDR-Kombinat hatte drei Orte, an denen Elektro-Porzellan produziert worden ist. Und diese drei Orte wollten sie reduzieren und haben deshalb Großdubrau geschlossen. Das Mitglied der Belegschaft im Vorstand hat zugestimmt. Die Maschinen sind nicht nach Westen transportiert worden, sondern nach Sonneberg in Thüringen, wo sie weiterhin Elektro-Porzellan produzieren. Das heißt, der Westdeutsche, der die Leute angeblich um ihren Arbeitsplatz, und wie sie behauptet, um ihre Lebensleistung betrogen hat, den gab‘s überhaupt nicht."
Und was sagt die sächsische Integrationsministerin Köpping?
"Für mich ist das kein falsches Beispiel, weil es das Traumata, wenn ein Unternehmen abgewickelt wird – in dem Falle in Großdubrau war es ja gar nicht die Treuhand, sondern ein Privatinvestor – dass das genau die Sache ist, wo die Menschen sagen, das haben wir bis heute nicht aufgearbeitet. Und was Herrn Schröder und mich unterscheidet, ist, dass Herr Schröder das Ganze wirtschaftlich, ökonomisch betrachtet und ich von der menschlichen Seite."

Petra Köpping kannte den Fall nur vom Hörensagen, er diente ihr dennoch als Beleg für die angeblichen Treuhand-Machenschaften. Für den Ex-Spiegel-Autor Norbert F. Pötzl ist die Absicht hinter diesem falschen Beispiel klar. Er schreibt in seinem gerade erschienen Buch "Der Treuhandkomplex": Zitat.
"Köpping redet, nicht anders als die AfD, den Leuten populistisch nach dem Mund. Sie versucht, den Frust, der Wähler zur AfD treibt, auf ihre parteipolitischen Mühlen umzuleiten. Sie tritt mit anderen ostdeutschen Politikern in einen Wettstreit, Menschen in ihrem Selbstmitleid zu bestärken, statt sie zu ermutigen und zu eigenen Anstrengungen anzuspornen. Statt zu versöhnen, spaltet sie das Land."
Protest von ehemaligen Mitarbeitern der Margarethenhütte in Großdubrau (Sachsen)  gegen die Politik der Treuhandanstalt 1992 vor dem Bundeskanzleramt in Bonn.
Protest von ehemaligen Mitarbeitern der Margarethenhütte in Großdubrau (Sachsen) gegen die Politik der Treuhandanstalt 1992 vor dem Bundeskanzleramt in Bonn.© imago/sepp spiegl

Die Rolle der damaligen Kohl-Regierung

Zur Wahrheit über die Treuhand-Anstalt gehört, dass sich die Bundesregierung hinter ihr versteckte. Weil die Einheit – anders als von CDU-Kanzler Helmut Kohl versichert – nicht zum Nulltarif zu bekommen war, sondern im Gegenteil immer teurer wurde, brauchte es einen Schuldigen.
"Dahinter stand der Kohl. Und der wollte Wahlen gewinnen. Er wusste, er hatte die Einheit gemacht, alle waren begeistert, aber wenn die Begeisterung vorbei ist und den westdeutschen Steuerzahlern, seinen Wählern, wenn denen klar wird, was die dafür bezahlen müssen, dann ist der Spaß relativ schnell wieder vorbei. Aber in vier Jahren sind wieder Wahlen."


Bei den Montagsdemonstrationen nach dem Fall der Mauer hatten die Ostdeutschen die D-Mark gefordert und auch schnell bekommen. Treuhand-Direktor Detlef Scheunert erinnert sich lebhaft.
"In dem Moment, als die D-Mark eingeführt wurde, ging es mit der ostdeutschen Wirtschaft herab. Die war ja schon am Abgrund, aber dann rutschte sie drüber. Die Treuhand hat denen ja Liquiditätskredite gegeben, den Betrieben, damit sie Material einkaufen konnten, produzieren konnten und Löhne zahlen konnten. Die Treuhand hat die Betriebe überhaupt am Leben gehalten. Das war ein Chaos. Der Betriebsleiter, wenn er überleben wollte, ging nach Berlin und sagte: ‚Ich habe hier 800 Leute, oder ich habe 5000 Leute. Ich kann keine Löhne zahlen.‘ Da mussten ordentliche Formulare her. Es musste ja ein ordentlicher Kredit ausgewiesen werden. Die Treuhand war der Schuldner. Und das ging dann über eine Privatbank an das Unternehmen."
Außenansicht des VEB Schuhkombinat "Banner des Friedens" in Weißenfels, Sachsen-Anhalt, 1990.
Das VEB Schuhkombinat "Banner des Friedens" in Weißenfels, Sachsen-Anhalt, wurde 1992 dicht gemacht, danach begann der Abriss.© imago/Dieter Matthes

Schizophrenie der Ostdeutschen

In einer Zeit, in der etliche Freunde und Verwandte ihre Jobs verloren, machte der aus Sachsen stammende Scheunert genau in der Behörde Karriere, die von allen Seiten angefeindet wurde. Ausgerechnet einige Politiker stellten sich an die Spitze der Kritiker. Richard Schröder nennt das Beispiel der ostdeutschen Ministerpräsidenten, die alle im Verwaltungsrat der Treuhand saßen.
"Dort haben sie die Groß-Entscheidungen, die auf zentraler Ebene gefallen sind, gutgeheißen. Und dann ist Manfred Stolpe durchs Land gezogen und hat von Plattmachen geredet."
Der Buch-Autor Pötzl hat für seine Recherche erstmals Treuhand-Akten einsehen können. Pötzl stimmt zu, dass es der Bundesregierung nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung ganz gelegen kam, die Treuhand als Blitzableiter zu nutzen.
"Nach meinem Eindruck hat sich die Politik einen schlanken Fuß gemacht. Sie hätte also sehr viel nachhaltiger die Treuhand unterstützen, begleiten, auch vielleicht kontrollieren, aber auf jeden Fall sich auch hinter sie stellen müssen. So hat man einfach zugesehen, wie die Treuhand geprügelt wurde, wofür sie gar nichts konnte, weil einfach die Vorgaben von der Politik da waren."


Der einzige ostdeutsche Treuhanddirektor Scheunert war verantwortlich für 110 Betriebe mit insgesamt fast 80.000 Beschäftigten in der Glas- und Feinmechanik. Nach der Währungsunion 1990 verstand er zeitweilig seine eigenen Landsleute nicht mehr.
"Ihr fordert die D-Mark, ihr wollt Westprodukte, ihr wollt nicht einmal mehr eure eigenen Produkte kaufen, aber eure Arbeitsplätze wollt ihr garantiert haben. Das war schizophren. Sie wollten ein West-Auto fahren, keiner wollte mehr einen Trabant fahren, alles nachvollziehbar. Aber dass sie damit auch ihre eigenen Arbeitsplätze wegrationalisiert haben, haben die meisten ausgeblendet. Oder wenn man es begriffen hat, hat man nicht darüber geredet."
Preisverfall von DDR-Produkten: RFT-Fernseher und Schallplatten in einem Schaufenster in Bitterfeld im April 1990.
Preisverfall von DDR-Produkten: RFT-Fernseher und Schallplatten in einem Schaufenster in Bitterfeld im April 1990.© imago images/Heiko Feddersen

Ostbetriebe überlebten auch dank der Treuhand

Wie das früher rote Mansfelder Land mit dem Kupferbergbau, Hüttenwerken und Metallbetrieben wurden viele Ost-Regionen deindustrialisiert. Wenn Betriebe die Wende überstanden, dann auch dank der Treuhand, sagt Rena Eichhardt, Geschäftsführerin bei Romonta, einem Montanwachshersteller in Amsdorf.
"Wir haben damals mit auf den Weg bekommen, 1994, 100 Millionen D-Mark, damals noch für die Investitionen. Das war der Grundstein, dass es hier überhaupt mit Romonta hier weitergeht."
Doch erstmal verkaufte die Treuhand-Anstalt das mittelständische Unternehmen im Mansfelder Land an den badischen Flowtex-Konzern. Dessen beiden Gründer, Manfred Schmider und Klaus Kleiser, wurden wegen Betrugs verurteilt. Sie hatten sich mit Geld und Krediten im Namen des ostdeutschen Unternehmens aus dem Staub gemacht, erinnert sich Uwe Stieberitz, Mit-Geschäftsführer von Romonta.
"Dass natürlich diese Misere mit dem Verkauf der Treuhand an die kleinen Ganoven da, dass das passiert ist, das konnte ja keiner ahnen."
"Wir reden da schon von einem Schaden, das sind um die 60 Millionen Euro, die aus dem Unternehmen einfach abgeflossen sind, ohne das davon überhaupt ein Euro in das Unternehmen investiert worden ist."
Schließlich kauften Mitglieder der alten Geschäftsführung, wie Rena Eichstädt, Romonta. Die Schulden übernahmen sie mit. Und zahlten sie, wie versprochen, bis 2012 zurück.

Kriminalität ja – aber weniger als gedacht

Anders als behauptet war die Kriminalitätsrate bei der Treuhandanstalt nicht überdurchschnittlich hoch. Das stellten die beiden Anwälte Kai Renken und Werner Jenke fest. Sie untersuchten im Auftrag der Bundeszentrale für Politische Bildung die Vereinigungskriminalität, die von sogenannten "Glücksrittern" aus beiden Teilen Deutschlands verübt wurde und von altgedienten DDR-Kadern, die in dem Machtvakuum nach dem Mauerfall ihre Insider-Kenntnisse ausnutzten.
Die Studie listet Fälle von Bilanzfälschungen und Unterwertverkäufen auf, systematische Ausplünderung der übernommenen Unternehmen. Spektakulärste Beispiele waren die Wärmeanlagenbau Berlin GmbH WBB oder die "Thüringische Faser", beides erfolgreiche DDR-Unternehmen, die von ihren neuen Besitzern regelrecht ausgeraubt wurden. Es gab Ausschreibungsbetrug, Bestechung. Stichwort: die "Ganoven GmbH Halle". Preisabsprachen bei der Auftragsvergabe, wie beim sogenannten "Sauna-Kartell" von Bitterfeld. Wörtlich heißt es in der Studie zur Treuhandkriminalität:
"Besonders bedauerlich – weil besonders einfach vermeidbar – sind Fälle mangelnder Überprüfung der Handelspartner der Treuhandanstalt, insbesondere in Bezug auf deren Bonität, was manches Mal zu bösen Überraschungen führte. Trotzdem sei nochmals darauf hingewiesen, dass sich im Verhältnis zu Größe und Komplexität der bis heute einmalig gebliebenen Aufgabenstellung der Treuhandanstalt der Umfang der Treuhandkriminalität in einem überschaubaren Rahmen hält. Angesichts der Krassheit mancher Einzelfälle wird und wurde dies schnell und gerne übersehen."

Massiver Arbeitsplatzabbau

Kritisiert wird bis heute, dass die Treuhandanstalt bei der Preisgestaltung vom Ertrags- und nicht vom Substanzwert eines Unternehmens ausging. Schätzte sie die Chancen einer Firma als minimal ein, kam es zu den berühmten 1-DMark-Verkäufen.
Zu den Vorwürfen gegenüber der Treuhand gehört der massive Arbeitsplatzabbau. Hier gibt der Historiker Böick zu bedenken, dass die von Detlev Rohwedder und später von Birgit Breuel geführte Behörde exekutierte, was in der DDR aus ideologischen Gründen aufgeschoben wurde. Chefplaner Schürer hat vor ziemlich genau 30 Jahren einen – Zitat – "drastischen Abbau von Verwaltungs- und Bürokräften" gefordert, um "das Missverhältnis zwischen produktiven und unproduktiven Kräften in der gesamten Wirtschaft und im Überbau zu beseitigen".
"Es gab ein Recht, aber auch eine Pflicht zur Arbeit. Es durfte Arbeitslosigkeit nicht geben. Es gab auch viel Langeweile, viel Verschwendung, viel Frustration darüber, einfach nur rumzusitzen. Und das Interessante ist, deshalb haben viele Betriebe 1989/90 selber schon begonnen, bevor die Treuhand überhaupt aktiv wurde, Belegschaften abzubauen."


Das Hauptproblem war, dass zu viele Werktätige viel zu teuer unattraktive Güter herstellten, erinnert Detlef Scheunert.
"Ein Kali-Werk in Sachsen-Anhalt produzierte eine Tonne Kali für 720-730 D-Mark. Der Weltmarktpreis war 240. Als dann die Treuhand kam und sagte, wir müssen diese Zeche schließen, haben die Arbeiter gesagt: "Ja, das war alles nur eine Bereinigung zugunsten der Wessis. Die Treuhand, das sind alles korrupte Verbrecher." Und diese Komplexität hat der einzelne Arbeiter gar nicht verstanden und Politiker wollten sie nicht sehen. Und Leute, die darauf hingewiesen haben, die hat man einfach niedergeschrien."
Detlev Rohwedder, Präsident der Treuhandanstalt, im Kreise von Vorstandsmitgliedern, bei einer Pressekonferenz am 27.11.1990.
Detlev Rohwedder, Präsident der Treuhandanstalt, im Kreise von Vorstandsmitgliedern, bei einer Pressekonferenz am 27.11.1990.© picture alliance/dpa/Thomas Lehmann

Ursprüngliche Idee der Treuhand ging nicht auf

Die Treuhand gibt es seit 25 Jahren nicht mehr. Ihre ursprüngliche Idee, das Volkseigentum an die DDR-Bürger zu verteilen, ging nicht auf, denn statt Vermögen hätten vor allem Schulden vergeben werden müssen. Die summierten sich 1994 auf 270 Milliarden D-Mark. Dagegen haben die Transferleistungen von West nach Ost netto über anderthalb Billionen Euro betragen.
Offen ist, ob ein nächster Treuhand-Untersuchungsausschuss kommt und dann noch Neues bringt. Sowohl im Bundestag als auch in Landtagen gab es bereits einige, die viele Fälle dokumentierten, in denen die Treuhand nicht korrekt gearbeitet hat. Doch dass sie, wie Petra Köpping schreibt, im geheimen Auftrag lästige Ostkonkurrenz beseitigen sollte, hat keiner der Ausschüsse der Treuhand vorgeworfen. Für den Publizisten Norbert Pötzl, der Anfang der 1990er-Jahre das Berliner Spiegel-Büro leitete und schon damals über die Treuhand schrieb, steht fest:
"Es muss wissenschaftlich aufgearbeitet werden. Dieses wiederum in einen politischen Streit hineinzuziehen, ist überhaupt nicht dienlich. Es reißt eben wieder die alten Gräben auf."
Dietmar Bartsch von der Linken hält dem entgegen:
"Ich glaube, dass es auch ein Beitrag ist, um auch emotional die deutsche Einheit noch mehr herzustellen. Ich will auch gar keine Negativdiskussion."
Genau die aber hat er bekommen. Doch die Treuhandmythen würden durch ständige Wiederholung auch nicht wahrer, sagt Richard Schröder.
"Das ist wie ein Wander-Märchen: Die Geschichte, der Westdeutsche kommt und kauft das Ost-Unternehmen, um es platt zu machen, um sich damit Konkurrenz vom Halse zu halten. Ich sage dazu: Liebe Leute, wie stellt ihr euch denn einen Kapitalisten vor? Wenn der eine Fabrik kauft, die Gewinn macht, dann lässt er sie auf vollen Touren laufen, um zu kassieren und macht sie nicht kaputt."
Unbestritten ist, dass die Deutschen östlich der Elbe nach dem Zweiten Weltkrieg das schlechtere Los gezogen hatten als die Landsleute westlich. Doch die Unterschiede verschwimmen, findet Gerhard Kellner, der in seiner Werkstatt Eisenbahnen aus allen Teilen Deutschlands repariert.
"Die Ossi- und Wessi-Geschichte: Ich habe sehr viele Westdeutsche kennengelernt, die genauso kollegial waren wie wir. Und natürlich habe ich auch ein paar kennengelernt, die waren knallharte Kapitalisten. Aber auch viele Ostdeutsche, die innerhalb von einem Jahr den Kapitalismus mit dem Löffel gefressen haben. Also hüben wie drüben."
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