Streit über die Theaterkritik

Feudales Verhalten an den Bühnen

12:19 Minuten
Der Theaterkritiker Friedrich Luft am Schreibtisch, Berlin 1911.
Seit den Zeiten des Berliner Theaterkritikers Friedrich Luft hat sich der Beruf sehr verändert und an Ansehen verloren. © picture-alliance / akg-images
Tobi Müller im Gespräch mit Susanne Burkhardt  · 30.10.2021
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Im Streit über die Theaterkritik beobachtet der Journalist Tobi Müller, dass Kritikern heute verachtend begegnet werde. Mit den Äußerungen der Hamburger Intendantin Karin Beier über "Scheiße am Ärmel der Kunst" sei ein neues Niveau erreicht.
Die Intendantin des Hamburger Schauspielhauses, Karin Beier, sagte neulich in unserem Programm, sie lese keine Kritiken mehr. Die Theater und Kritiker begegneten sich nicht auf demselben Niveau – und schlechte Kritiken klebten an einem wie "Scheiße am Ärmel der Kunst".
Die Reaktion kam prompt: Theaterkritiker Jan Küveler entgegnete Beier in der Zeitung "Die Welt", es "liege nahe, dass Beier das Spiel der Demokratiezersetzung" betreibe – weil sie das Prinzip des beobachtenden Journalismus ablehnt".

Schlagabtausch neuer Qualität

Theaterkritiker Tobi Müller findet es ebenfalls auffallend, wie verachtend, voller Hass und gleichzeitig überschätzend Theaterleute der Kritik begegnen. "Das hat eine neue Qualität", sagt er. Dass Beier das jetzt offenbar sagen dürfe, habe mit "einem neuen Verhältnis zwischen den Theatern und der Kritik zu tun". Und mit einer Abwertung der Kritik durch die Medien.
So würden besonders in der Provinz zunehmend die Theaterkritiken in den Lokalzeitungen fehlen, die eigentlich wichtig waren. Hinzu komme eine finanzielle Abwertung der Kritik: "Ein Theaterkritiker verdient heute die Hälfte von dem, was er vor 20 Jahren verdient hat", sagt Müller.

Feudales Verhalten der Theater

Dass die Theaterkritik eine immer geringere Rolle spiele, verleite offenbar einige dazu sich "feudaler zu verhalten", beobachtet Müller.
Auch die Behauptung, Theaterleute würden keine Kritiken mehr lesen, zieht er in Zweifel. "Das höre ich seit 30 Jahren, lustig ist dann allerdings, dass die vielen Leute, die keine Kritiken mehr lesen, genau wissen, wie es um die Theaterkritik bestellt ist. Da besteht eine gewisse Diskrepanz." Theaterkritiker dürften aber selbst nicht zu dünnhäutig sein – schließlich teilten auch sie ordentlich aus.

Kein Markt mehr für Kritik

Die Zukunft der Theaterkritik sieht der Journalist eher düster: "Ich glaube wir werden mit KritikerInnen zu tun haben, die nicht mehr ein ganzes Leben mit Theaterkritik bestreiten – die sich vielfältiger aufstellen."
Die Position des Theaterkritikers sei im "freien Fall", es gebe auf Dauer keinen Markt mehr dafür. "Da sehe ich eine Schreibe aufkommen, die vorsichtiger rangeht, das Urteil ein bisschen vorsichtiger, näher an der Produktion. Für die Texte ist das eher gut, dass die Entmachtung stattgefunden hat".
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