Strategien für Weltflüchtige

Sellerieschneiden und Abzählreime

Eine Bio-Sellerieknolle mit Supermarktetikett
Versuchen Sie mal, diese Sellerieknolle in akkurate Würfel zu schneiden! © picture alliance / dpa / Heiko Wolfraum
Von Patrick Wellinski · 29.07.2016
Unser Autor Patrick Wellinski hat einige Tipps für Menschen, die Weltflucht betreiben wollen, aber nicht wissen, wie. Er empfiehlt japanische Koch-Shows im Internet, Abzählreime und in akkurate Würfel geschnittenen Sellerie.
Die italienische Politologin Francesca Bigotti hat mal geschrieben: Essen sei wie Denken, Kochen wie Schreiben. Ich mache beides gerne, vor allem gucke ich aber gerne Menschen beim Kochen zu. Im Internet natürlich.
(Ausschnitt Video)
Dieses Video eines chinesischen Kochs gehört zu meinen Highlights. Er demonstriert, wie man Sellerie schneidet. Sellerie, sagt er, ist recht schwer zu schneiden, weil man keine schönen Würfel hinbekommt.
Da sind auch Noriko und Yuko. Die beiden japanischen Hausfrauen, die erklären wie man Ramen-Suppe kocht.

Anime-Figuren aus Reis

Es hat etwas unglaublich Beruhigendes, Leuten beim Kochen zuzusehen. Das Messer gleitet schön sachte durch den Sellerie, immer und immer wieder. Oder die Ramennudeln drehen sich entspannt in der Dashi-Brühe. Alles easy…
Dann ist da noch die Sache mit dem Reis. Eine japanische Mutter packt für ihre Kinder Bento-Boxen und formt den Reis zu bekannten Animefiguren. Reine Kunst, reiner Zen.

Gleiches gilt auch für Filmchen über Menschen, die essen. Wie zum Beispiel Matt Preston, der australische Gastrokritiker:

"Delicious!"
All das: meditativer Zeitvertreib. Sehr beruhigend. Eine Schallmauer gegen den brüllenden Alltag und die brodelnde Welt. Aber auch ein kleiner Funken – naiver – Hoffnung, dass sich die Menschen quer durch alle Kulturen und Religionen irgendwie auf dem kulinarischen Level begegnen könnten. Zufrieden, entspannt und ohne gleich die Messer zu wetzen – außer (natürlich) um den Sellerie zurecht zu schneiden.

72-mal "Around the World"

Noch ein Eskapismus-Tipp. Diesmal aus Polen.
Mein guter Bekannter und Reporter Mariusz verrät seine Weltflucht-Strategie via Facebook-Nachricht:
"Immer, wenn ich denke, dass die Welt schlecht ist, dass alle Menschen egoistisch und interessengetrieben handeln; dass niemand mehr etwas einfach so 'macht'; dass alles immer einen Grund und ein Ziel haben muss; immer wenn ich denke, dass es keine Rettung mehr gibt, dass jede Idee gleich von Nein-Sagern torpediert wird; immer dann höre ich Daft Punks 'Around the world'."
"Und zähle die 'Around the Worlds'. Es sind wohl 72. Aber ich komme immer auf eine andere Zahl."

Ein Abzählreim als Welflucht. Eskapismus halt. Niemand kann etwas gegen Eskapismus haben – außer vielleicht Gefängniswärter.
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