Straßenfestival

Aufstand der Ungläubigen

Von Martin Sander · 30.03.2014
Etwa zehn Prozent der Polen glauben nicht an einen Gott. Diese Minderheit fühlt sich zunehmend bedrängt, von der Politik und der katholischen Kirche. Mit Straßentheater, Filmen und Diskussionen haben sie in Warschau auf sich aufmerksam gemacht.
Die Frühlingssonne scheint auf den Ringplatz der Warschauer Altstadt. Zwischen Straßencafés, Pferdekutschen, Touristengruppen und einer Schar von ein paar Hundert Demonstranten findet gerade eine historische Inszenierung statt. Gespielt wird die Hinrichtung von Kazimierz Łyszczyński, der hier vor 325 Jahren, am 30. März 1689 geköpft wurde, weil er nicht an Gott glauben mochte. Łyszczyński, zeitweilig Angehöriger des Jesuitenordens, ein polnischer Adliger, Politiker und Richter in der Ära von Polenkönig Jan Sobieski, hatte in seiner Streitschrift „De non existentia Dei“ behauptet, Gott sei vom Menschen erschaffen worden und nicht umgekehrt. Łyszczyński wurde denunziert. Die Inquisition trat auf den Plan.
Die Darstellung von Łyszczyńskis Hinrichtung am Ende einer Demonstration durch die Warschauer Innenstadt war ein Höhepunkt der "Tage des polnischen Atheismus", die an diesem Wochenende erstmals stattfanden. Nicht nur mit Straßentheater, auch mit einem Film- und Debattenprogramm wollten mehrere Verbände im Umfeld der linksliberalen und kirchenkritischen Partei "Deine Bewegung" auf die Lage aller Polen aufmerksam machen, denen der Glaube an Gott fernliegt. Jan Hartman, immerhin Absolvent der Katholischen Universität Lublin, inzwischen Professor für Ethik und Philosophie in Krakau, war beim Straßentheater in die Rolle Łyszczyńskis geschlüpft:
Nationalkonservative: "Zieht doch nach Russland!"
"Wir Atheisten bilden etwa zehn Prozent, verstreut über die ganze polnische Gesellschaft. Und von Zeit zu Zeit haben wir das Bedürfnis, uns selbst und der Gesellschaft zu versichern, dass wir da sind, dass wir eine Identität besitzen und die gleichen Rechte haben wie die Gläubigen verschiedener Konfessionen. Auch wollen wir unsere Regierung daran erinnern, dass es ihre Aufgabe ist, Gläubige und Nichtgläubige mit der gleichen Wertschätzung zu behandeln - was nicht immer der Fall ist."
Gegen die "Tage des Atheismus" empören sich Polens Nationalkonservative. Zu ihnen gehört Tomasz Terlikowski, Chef des rechtskatholischen Internetportals "Fronda". Terlikowski sprach von den 100 Millionen Opfern atheistischer Ideologien im 20. Jahrhundert, und setzte die Atheisten gleich mit den polnischen Kommunisten. In die gleiche Kerbe schlug Krystyna Pawłowicz, Abgeordnete der Kaczyński-Partei "Recht und Gerechtigkeit". Sie forderte die Teilnehmer der "Tage des Atheismus" auf, nach Weißrussland zu ziehen - oder gleich zu Putin nach Russland. Diese Form der Hatz auf Ungläubige hängt auch mit der kommunistischen Vergangenheit Polens zusammen. Damals wurde die katholische Kirche von den Machthabern mit politischen Repressionen bedacht.
"Teilweise ist es sicher so, dass man Atheismus mit dem damaligen Regime in Verbindung bringt - und ihn daher wie alles, was zu diesem Regime gehörte, verurteilt. Deshalb fürchten sich Atheisten oft davor, sich zu ihren Überzeugungen zu bekennen",
sagt Wanda Nowicka. In den achtziger Jahren gehörte sie zur antikommunistischen Opposition. Heute amtiert sie als stellvertretende Parlamentspräsidentin, inzwischen fraktionslos, aber vorgeschlagen von der Partei "Deine Bewegung".
Viele Gesetze zugunsten Gläubiger
Mit den „Tagen des Atheismus“ kämpfen Polens Ungläubige um ihren Platz in der Gesellschaft. Sie wollen in einem Staat leben, in dem Kirche und Staat getrennt sind, wie es die Verfassung des Landes garantiert. Nina Sankari vom "Verband polnischer Atheisten" sieht die Freiheit der Nicht-Gläubigen zunehmend eingeschränkt.
"Nach 1989 wurden systematisch Gesetze eingeführt, die das Gebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates verletzen. 1993 wurde das Recht auf Abtreibung abgeschafft, das zuvor 36 Jahre lang gegolten hatte. Es wurde ein Gesetz zur Respektierung christlicher Werte in den Medien verabschiedet, ferner ein Gesetz, nach dem der Staat katholische Geistliche im Militär, der Grenzpolizei, der Feuerwehr und beim Zoll finanziert. Schließlich wurde Religion als Pflichtfach in der Schule etabliert."
Polens Nationalkonservative fanden schon den Umstand absurd, dass die Atheisten für ihre Veranstaltungen Räume der Stadt Warschau anmieten durften. Zu einer Gegendemonstration rafften sie sich dann aber - trotz aller Ankündigungen - doch nicht auf. Der 1689 als Ketzer enthauptete Kazimierz Łyszczyński konnte fast ungestört geehrt werden. Allein ein junger Mann, der herbeilief und sofort wieder das Weite suchte, warf eine Plastikflasche mit Wasser in den Umzug. Den Ungläubigen war das nur ein Schmunzeln wert.
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