Strahlende Freundschaft

Von Ulrich Baron |
Die deutsche Wismut AG verhalf der Sowjetunion zur Nuklearmacht. Denn hier förderten Deutsche und Russen Uranerz. Die Autoren untersuchen Sozial- und Umweltpolitik der AG und analysieren die Auswirkungen auf die deutsch-russische Freundschaft.
Ohne die ostdeutsche Wismut AG wäre die Weltgeschichte nach 1945 anders verlaufen, denn das von ihr in Sachsen und Thüringen geförderte Uranerz war der wichtigste Rohstoff für den Aufstieg der UdSSR zur Nuklearmacht. Von 1946 bis 1990 produzierten über eine halbe Million Deutsche und Tausende von sowjetischen Spezialisten in den 1954 zur Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut vereinigten Bergwerken insgesamt 231 000 Tonnen Uran. Zunächst ohnehin weitgehend als Reparation in die UdSSR geliefert, war dieser Export für die DDR ein Verlustgeschäft, das die Gesundheit Tausender Bergarbeiter schädigte und eine ruinierte Landschaft hinterließ:

„Wismut – hinter diesem harmlos klingenden Namen verbarg sich der weltweit größte Bergbaubetrieb zur Förderung von Uranerzen und Produktion von chemischem Urankonzentrat. Auch wenn die USA, Kanada und die Sowjetunion zwischen 1945 und 1990 jeweils noch etwas mehr Uran förderten als die DDR, gab es doch selbst in diesen großen Ländern keinen einzelnen Uranbergbaubetrieb der die Dimensionen der ,Wismut’ hinsichtlich der Menge des geförderten Urans und der Mitarbeiterzahl erreichte.“

Schon im Frühjahr 2007 hat der Wirtschaftshistoriker Rainer Karlsch unter dem Titel „Uran für Moskau“ eine kurze Geschichte der Wismut veröffentlicht. Nun hat er mit seinem Fachkollegen Rudolf Boch ein zweibändiges Werk herausgegeben, das neben Studien deutscher und russischer Wissenschaftler auch einen Dokumentarband umfasst.

Karlsch zieht zudem einen Vergleich des Uranbergbaus in Ost und West, der vorschneller Schwarzweißmalerei einen Riegel vorschiebt. Der fahrlässige Umgang mit den Hinterlassenschaften des Uranbergbaus sei „für die Branche weltweit typisch“, und Manuel Schramm findet in seiner Gegenüberstellung des Strahlenschutzes in DDR und Bundesrepublik die salomonischen Worte, dass ein besserer Strahlenschutz „in beiden deutschen Staaten möglich“ gewesen wäre. Neben Studien zum „Stellenwert des Uranbergbaus in Politik und Wirtschaft“ finden sich hier Beiträge zur Sozial- und Alltagsgeschichte. Eine Analyse der betrieblichen Sozialpolitik in der Wismut AG unter dem vielsagenden Titel „Gutes Geld für gute Arbeit“.

Sowie, anhand von Interviews mit Zeitzeuginnen, welchen Einfluss die Frauen-Erwerbsarbeit bei der Wismut auf die Emanzipation ihrer Gesprächspartnerinnen hatte. So entsteht das komplexe, durch zahlreiche Quellen, Zitate und Statistiken untermauerte Bild eines Unternehmens, das sich nicht allein wegen des rigiden Sicherheitsregimes, das den strategisch wichtigen Rohstoff Uran umgab, zum Staat im Staate entwickelte. Zumindest in der frühen Besatzungszeit hätte sich daraus gar ein ostdeutscher Gulag entwickelt können.

Zum ersten Generaldirektor der Wismut war 1947 mit Generalmajor Michail Malzew ein Mann berufen worden, der im Beitrag über das Sicherheitsregime bei der Wismut als verlässlichen „Organisator des stalinistischen Repressionssystems“ vorgestellt wird. Doch anders als in den übrigen Ländern des künftigen Ostblocks, hätten die Kumpel in Ostdeutschland von der Sonderrolle ihres geteilten Landes profitiert:

„Ließen sich Errichtung und Betrieb der sogenannten Speziallager zur Unterbringung verurteilter und nicht verurteilter Deutscher unter den Augen der westlichen Alliierten als Maßnahmen der Entnazifizierung rechtfertigen, so galt das offenbar nicht mehr für die Beschäftigten eines kompletten Industriezweiges.“

Gleichwohl wurden Anfang der 1950er Jahre Dutzende deutscher Wismut-Arbeiter in Moskau wegen angeblicher Spionage verurteilt und erschossen. Und bei der Umwandlung des zunächst unter dem Decknamen „Truppenteil Feldpost 27304“ firmierenden Komplexes in die Wismut AG wurden weder Arbeiter noch Bevölkerung geschont. So enthält der Materialienband einen sowjetischen Geheimbefehl, der im August 1949 anordnete, es seien

„…für neue Arbeiter-Umsiedler zum ersten Oktober des Jahres 10 000 Familienwohnungen im Umkreis von 50 km um den Arbeitsort durch die Verdichtung der einheimischen Bevölkerung bereitzustellen.“

Im Klartext hieß das umgehende Zwangsumsiedlung und Zwangseinweisung. Welche Folgen solche in der Fülle des Materials fast untergehenden Anweisungen für die Betroffenen hatten, können die auf historische Dokumente gestützten Beiträge des Bandes nur andeuten. Die Kultur- und Sportpolitik der SED bemühte sich teils sehr erfolgreich um Kompensation und Image-Pflege für die Wismut.

Überhaupt weist dieses umfangreiche Werk in vielerlei Hinsicht über seinen Gegenstand hinaus. Manche offiziellen Schreiben enthüllen zwischen den Zeilen, was die Propaganda zur deutsch-sowjetischen Freundschaft verschwieg. Schon in „Uran für Moskau“ hat Rainer Karlsch gezeigt, dass die Wismut die paradoxe Schöpfung einer staatlich gelenkten Wirtschaft war – ein hocheffizientes Zuschussobjekt, dessen Aufbau, Betrieb und Abwicklung nach der Wiedervereinigung eine hohe zweistellige Milliardensumme verschlungen hat.

Nun kann man im Detail nachlesen, wie zunächst Zehntausende von Arbeitern und dann Wohnungen, Gelder und Waren zu ihrer Ent- und Belohnung angefordert und zugewiesen wurden, ohne dass von einer Kostenkalkulation auch nur die Rede war. Bei so viel wunderbarer Planwirtschaft war es 1951 selbst einem dialektisch geschulten Kopf wie Walter Ulbricht nicht klar, woher er die 200.000 Quadratmeter feinster Kammgarnstoffe nehmen sollte, die für den weiteren Betrieb des Bergbaus offenbar zwingend erforderlich waren.

Mit brüderlich-sozialistischen Taktgefühl ließ er in einem Brief an den stellvertretenden Vorsitzenden der sowjetischen Kontrollkommission Bogdan Kobulow seine Zweifel daran durchblicken, dass die leitenden Wismut-Angestellten den Stoff für „50 000 Anzüge erster Qualität“ allein für sich benötigten. Via Wismut wurde wohl nicht nur Uran für Moskau beschafft.

Rudolf Boch, Rainer Karlsch (Hg.): „Uranbergbau im Kalten Krieg. Die Wismut im sowjetischen Atomkomplex“
Ch. Links Verlag
Mehr zum Thema