Stonewall-Proteste vor 50 Jahren

Die Geburtsstunde der LGBT-Bewegung

An einem Stahlzaun sind Regenbogenflaggen befestigt. In der Unschärfe laufen Frauen vorbei. Eine trägt eine pinke Frisur.
Sich küssende Männer oder Frauen galten Ende der 60er-Jahre noch als öffentliches Ärgernis, ebenso all jene, die Kleidung trugen, die nicht ihrem Geschlecht entsprach. © Imago / UPI Photo / John Angelillo
Von Jürgen Bräunlein · 27.06.2019
Es war eine Polizeirazzia zu viel: Am 27. Juni 1969 reichte es den Schwulen und Lesben im New Yorker "Stonewall Inn". Ihr gewaltsamer Aufstand ging in die Geschichte ein als Beginn der modernen Schwulen- und Lesbenbewegung.
"In dieser Nacht haben wir unseren Platz in der Geschichte gefunden. Nicht als schmutziger Witz, ärztliche Studienobjekte oder Freaks - sondern als Gemeinschaft."
So Joan Nestle, lesbische Aktivistin, über den gewalttätigen Aufstand von Schwulen und Lesben bei einer Polizeirazzia im "Stonewall Inn" in der Nacht vom 27. Juni auf den 28. Juni 1969.
Doch der Nachmittag davor stand noch im Zeichen friedlichen Gedenkens. Hollywoodstar Judy Garland, mit 47 an einer Überdosis Schlaftabletten gestorben, wurde in New York zu Grabe getragen, gefolgt von mehr als 20.000 ihrer Fans.
Darunter viele Schwule, Lesben, Transsexuelle und Transvestiten. Judy Garland war ihre Ikone, "Over the Rainbow" die Hymne ihrer Hoffnungen. Denn Homosexualität wurde damals noch in allen Bundesstaaten der USA, außer Illinois, kriminalisiert.

Starke Diskriminierung von Schwulen und Lesben

"Schwul zu sein galt als so bizarr, etwas wie Nekrophilie oder als wenn man Heroin an Kinder geben wollte. So extrem war das Bild von Homosexuellen", erinnert sich Schwulenaktivist David Carter.
Sich küssende Männer oder Frauen galten als öffentliches Ärgernis, ebenso all jene, die Kleidung trugen, die nicht ihrem Geschlecht entsprach, etwa Drag Queens. Sie wurden schikaniert, auf offener Straße zusammengeschlagen und grundlos verhaftet.
Ihr Leben spielte sich im Verborgenen ab, auf privaten Partys und in dunklen Bars wie dem "Stonewall Inn", einer populären Homosexuellenbar in der Christopher Street im New Yorker Stadtteil Greenwich Village.

"Vor allem das Bewusstsein änderte sich"

Dorthin strömte die schwul-lesbische Community nach Judy Garlands Beerdigung, um all ihren Frust und ihre Trauer loszuwerden. Alkohol wurde ausgeschenkt, obwohl es verboten war.
Hier war man unter sich, doch regelmäßig tauchte die Polizei auf. Wie auch an diesem Wochenende. Um 1.20 Uhr früh betrat Deputy Inspector Symour Pine mit drei Polizisten die Bar. Pine war in Greenwich Village für den Bereich öffentliche Moral zuständig und führte eine seiner Razzien durch.
Doch diesmal widersetzten sich die Schikanierten, wehrten sich gegen eine Verhaftung. Unterdessen kamen draußen immer mehr Menschen zusammen, beschimpften und beleidigten die Polizisten.
Mülleimer, Pflastersteine und brennende Gegenstände wurden geworfen. Die Situation eskalierte. David Carter erinnert sich:
"Das war einzigartig, die Proteste dauerten sechs Tage. Also lange. Tausende beteiligten sich, es ging gewalttätig zu. Zeitweise waren die Polizisten auf dem Rückzug. Die Medien berichteten. Vor allem aber das Bewusstsein änderte sich."

Friedlicher Marsch zum ersten Jahrestag

13 Menschen wurden verhaftet, vier Polizisten verletzt. Doch endlich wurde öffentlich wahrgenommen, wie sehr Schwule, Lesben und Transgender-Menschen von den Behörden, den Regierungen und der Gesellschaft diskriminiert wurden.
Dabei blieb es nicht. Die politischen Aktivisten gründeten "The Gay Liberation Front", die erste Schwulen- und Lesbengruppe, die das Tabuwort "gay" im Namen trug. Und am 28. Juni 1970 - ein Jahr nach dem Stonewall-Aufstand - kamen im New Yorker West Village 4000 Homosexuelle zusammen, um an den Tag zu erinnern. Laut, bunt, fröhlich war der Marsch - doch nicht gewalttätig.
Damit war die jährlich wiederkehrende Veranstaltung für die Rechte der Schwulen geboren: der Christopher Street Day, kurz: CSD genannt. In vielen Städten in den USA und Europa findet er seitdem statt, in Deutschland zum ersten Mal 1979 in Berlin. Während Homosexuelle heute in Amerika und Europa in den meisten gesellschaftlichen Bereichen gleichberechtigt sind, sieht die Situation weltweit anders aus. Allein in 13 Ländern Afrikas und Asiens - darunter der Iran und Saudi-Arabien - droht Homosexuellen immer noch die Todesstrafe. Das ist auch ein Grund, warum Barack Obama 2016, als er noch amerikanischer Präsident war, das "Stonewall Inn" zum Nationaldenkmal erklärt hat. Als Erinnerung daran, dass hier die Protestbewegung von Schwulen und Lesben ihren Anfang nahm und der Kampf um Gleichberechtigung noch lange nicht zu Ende ist.
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