Stimmungsmache im Netz

Hetze auf Tagesbefehl

Eine Computertaste mit der Aufschrift "hass" und dem Schatten eines Paragraphen-Zeichens darüber
Hasskommentare werden von rechten Gruppen gezielt organisiert © imago / Christian Ohde
Jens Jessen und Falk Steiner im Gespräch mit Anke Schaefer  · 21.02.2018
Rechte Gruppen machen im Netz gezielt Stimmung und das sogar in organisierter Form. Unser Studiogast, der "Zeit"-Journalist Jens Jessen sprach darüber mit unserem Internet-Experten Falk Steiner.
Für viele Hass-Kommentare im Internet ist Experten zufolge eine verschwindend kleine Minderheit der Nutzer verantwortlich, wie eine Studie zeigt, über die NDR und Süddeutsche Zeitung heute berichten.
Bei Hass-Kommentaren auf Facebook geht demnach die Hälfte der Likes - also Klicks, die Zustimmung signalisieren - auf nur fünf Prozent der Accounts zurück. In dieser lautstarken Minderheit gebe es außerdem einen extrem aktiven Kern.
Jens Jessen
Unser Studiogast, der "Zeit"-Journalist Jens Jessen© picture-alliance/ dpa / Steffen Kugler
Unser Studiogast, der "Zeit"-Journalist Jens Jessen, hält Auswirkungen auf das Ergebnis der Bundestagswahl 2017 für möglich:
"Wenn man unterstellt, dass es viele Leute gibt, die mit AfD-Inhalten schon sympathisiert haben, aber vielleicht noch nicht bereit waren, dort ihr Kreuz zu machen."
Dennoch würde er davor warnen, solchen Aktionen im Netz zu viel Einfluss zuzubilligen:
"Das kann auch verlockend sein, weil man dann denkt, die Leute sind eher verwirrt als böse."
Seiner Erfahrung nach seien die meisten AfD-Wähler leider sehr überzeugt von ihrer Partei und benötigten nicht unbedingt einen solchen Anstoß.

Militärisch organisierte rechte Aktivisten

"Man muss sich das ganze als ziemlich schlagkräftige Aktivistengruppe vorstellen", sagte der Internet-Experte und Hauptstadtjournalist Falk Steiner im Deutschlandfunk Kultur. Die "Gruppe Reconquista Germanica" sei fast schon militärisch durchorganisiert und es gebe eine gegenläufige Aktivistengruppe, die sich dort eingeschlichen habe und nun nach und nach die Materialien aus internen Zirkeln öffentlich mache. Ihr Name ist "Alt-Right-Leaks".
Sie lege offen, dass die "Gruppe Reconquista Germanica" mit einer klaren Befehlsstruktur und auf Tagesbefehl arbeite. Da werde dann der Auftrag erteilt, Stimmung zu machen, beispielsweise gegen einen Artikel von Jessen in der "Zeit". Auf diese Weise würden möglichst viele Nutzer und deren Konten dazu benutzt, um dort entsprechend zu kommentieren.
"Das ist so ein bisschen die Vorgehensweise des Ganzen und das führt dann auch zu dem, was dann auch Wissenschaftler meinen, herausgefunden zu haben", sagte Steiner.
Falk Steiner
Falk Steiner ist Internet-Experte und Hauptstadtkorrespondent bei Deutschlandfunk Kultur © Deutschlandradio / Bettina Straub

Handbuch für Störmanöver

Die derzeit diskutierte Studie behaupte, dass insgesamt fünf Prozent der Internet-Nutzer für 50 Prozent der entsprechenden Beiträge verantwortlich seien und ein Prozent der Nutzer verantworte sogar 25 Prozent.
"Das deutet schon darauf hin, dass es dort einen hochaktiven Kern gibt innerhalb dieser Medien-Aktivistengruppe von Rechts."
Sie verwendeten auch ein Handbuch, das beispielsweise empfehle, sich auf gemeinsame Schlagworte zu einigen.
Ein weiterer Tipp sei, sich zu bestimmten Uhrzeiten zu verabreden, denn in der Nacht seien die Redaktionen meist spärlich besetzt, um die Kommentarspalten der Medien zu pflegen.
"Da kann man gar nicht mehr entsprechend hinterherputzen hinter dem, was dort hineingekübelt wird."
Jessen zeigte sich in diesem Punkt skeptisch, denn Medien, die solche Kommentarspalten anböten, wüssten darüber Bescheid. "Da gibt es auch schon Nacht- und Frühmorgens-Kommandos", sagte er. "Das ist schon bekannt." Er wisse allerdings nicht, wie gut die Personaldecke, beispielsweise bei "Zeit"-Online für solche Fälle sei.

Social Bots haben eher geringen Einfluss - Der Datenjournalist Michael Kreil sagte in "Studio 9", dass es keine Studie gebe, die die Auswirkungen von Social Bots belege. Sie könnten höchstens die Anzahl der Follower künstlich erhöhen: "Aber dass sich Bots tatsächlich in Diskussionen einmischen, sowas habe ich noch nicht gesehen. Dass künstliche Intelligenzen anfangen, mit uns zu diskutieren, das halte ich derzeit auch nicht für machbar."
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Die ganze Sendung mit unserem Studiogast, dem "Zeit"-Journalisten Jens Jessen, hören Sie hier:
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Jens Jessen ist Redakteur der Wochenzeitung "Die Zeit" im Feuilleton, das er von 2000 bis 2014 auch leitete. Zuvor war er Feuilletonchef bei der "Berliner Zeitung" und Redakteur im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Begonnen hatte der Autor und Publizist seine Laufbahn von 1984 bis 1988 als Verlagslektor in Stuttgart und Zürich. 2012 erschien im Carl Hanser Verlag Jessens Roman "Im falschen Bett".

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