Stevie Wonder wird 70

Eine tiefe Verbeugung

07:15 Minuten
Stevie Wonder mit bunter Jacke auf der Bühne im Hyde Park in London im Jahr 2019.
Inzwischen ist Stevie Wonder vor allem bei Charity-Konzerten und als Aktivist zu hören - hier beim "Barclaycard Presents British Summer Time" im Hyde Park in London, 2019. © Getty Images / Lester Cohen
Von Laf Überland · 13.05.2020
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Enorme Musikalität, verwinkelte Rhythmen, eingängige Melodien: Stevie Wonder fiel schon sehr früh als großes Musiktalent auf. Mit seinen Songs schuf er eine ganz neue Musiksprache, und er wurde auch politisch. Nun wird Stevie Wonder 70 Jahre alt.
Blind, schwarz und arm – das war die Ausgangssituation für Stevland Hardaway Judkins Morris aus einem Kaff in Michigan. Nach seiner Frühgeburt erblindet, wuchs er dennoch fast so auf wie andere Kids: "Ich spielte, fuhr Fahrrad und kletterte auf Bäume", sagte er einmal. Dann zog seine Familie nach Detroit, in die Stadt der großen Autofirmen. Keine Bäume zum Klettern, keine ruhigen Straßen für blinde Radfahrer. Also steckte Stevie seine Ohren tief in die Musik.
In der Kirche sang er im Gospelchor, im Nachbarhaus klimperte er auf dem Klavier und zu Hause trommelte er auf Bongos, Tischen und auf Fensterbänken. Nebenbei saß er dann dauernd mit der Mundharmonika vor dem Radio und begleitete die Blues- und Jazzmusiker, die darin spielten.

Ich nenne dich mein Wunder

Und irgendjemand schleppte den äußerst begabten elfjährigen Stevie Morris zum Chef der örtlichen Plattenfirma Tamla Motown, und der sagte ihm: Meine Leute hier meinen, du seist ein Genie. Ich nenne dich mein Wunder. Mein kleines Wunder: Little Stevie Wonder.
Als das Wunder älter wurde, haute es die Leute dann mit den Songs vom Hocker, die es für andere schrieb und mit denen es schnell einer der besten Schreiber der Firma wurde: Songs für die "Four Tops" und die "Spinners" – die Smokey-Robinson-Mega-Hit-Melodie "Tears of a Clown" verfasste Stevie mit 16. Dann handelte er einen neuen Vertrag aus mit Freiheiten, wie sie noch kein Künstler gekriegt hatte. Und als er dann alles selber schreiben, singen, Instrumente spielen und selbst produzieren durfte, kam dann eine bis dahin noch nicht mal auch nur angedachte Musik heraus.
Stevie Wonder hatte alles: schiere Musikalität, sängerische Größe, verwinkelte Rhythmen, eingängige Melodien, er spielte einfühlsam alle möglichen Instrumente und war ein raffinierter Produzent. Er entwickelte eine völlig eigene Musiksprache: weich wie Butter, blue wie eine Gospelpredigt, süß wie Karamelcreme und funkig heiß wie ein Backofen. Und dann führte er die Höllenmaschine in den Soul ein: den Synthesizer, der ihm die Kontrolle über alle Sounds und Töne gab. Und wenn die aus den Tasten purzelten, dann legte er den Kopf schief und lauschte ihnen lächelnd hinterher, während er fröhlich Sozialkritik und Liebeslieder vermischte, Jazz mit Gospel, Broadway mit Afrika, Pop mit Funk.
Mit drei Alben hatte Wonder zwischen 1972 und 1976 die Latte so hoch gelegt, wie er konnte: mit "Talking Book", "Inner Visions" und mit dem Album "Songs in the Key of Life" definierte er geradezu die afroamerikanische Musik der Zeit – wie ein Kompendium von Duke Ellington über Schmuse-R’n’B bis Funkrock. Und allein auf letzterem Album waren mehr Melodien, als manche Musiker während ihrer gesamten Karriere hinkriegen.

Methode fürs Glück: Kinder

Und danach hatte er anscheinend seinen kreativen Überdruck rausgepowert, aber in seinen Adern flossen dermaßen konzentriert Soul und R&B, dass er in späteren Jahren sogar extrem erfolgreiche Schöner-Wohnen-Musik aus dem Ärmel schüttelte, bei der man sich manchmal einen Zuckerschock holte, die man aber nie schlecht, allenfalls langweilig nennen konnte.
Inzwischen scheint ihn das Plattenmachen nicht mehr zu interessieren. Er singt gelegentlich mit anderen Leuten, beteiligt sich an Charity-Konzerten und greift als Aktivist zum Mikrofon – oder wenn Rapper ihn um Gesangseinlagen bitten. Und verbringt ansonsten seine Zeit lieber mit Meditation – und mit seinen Kindern. Das älteste ist zwar 34, aber das jüngste gerade fünf - Nummer neun. "Das ist Stevies Methode für sein Glück", sagt mal ein Freund: Kinder!
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