Steven Bloom: "Mendel Kabakov und das Jahr des Affen"

Ein jüdischer Blick auf 1968

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Das Cover des Buches "Mendel Kabakov und das Jahr des Affen" von Steven Bloom
In seinem Roman "Mendel Kabakov und das Jahr des Affen" zeichnet Steven Bloom ein Bild des Umbruchsjahres 1968 in den USA. © Wallstein Verlag / Deutschlandradio
Von Hans von Trotha  · 20.08.2019
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New York, 1968: Ein jüdischer Historiker, frisch verwitwet, blickt zurück auf sein Leben. Die junge Generation rebelliert derweil gegen die Verhältnisse. In "Mendel Kabakov und das Jahr des Affen" verwebt Steven Bloom beides zu einem intensiven Roman.
Nach dem chinesischen Kalender ist 1968 ein Jahr des Affen, für die USA ist es ein Jahr voller Umbrüche, für Mendel Kabakov ein Jahr des Haderns, hat er doch im Vorjahr seine Frau Sonja verloren. Da sitzt der alte Mendel, Professor für amerikanische Geschichte, analysiert, was um ihn herum geschieht, und ist als mehrfacher Großvater auch immer wieder davon betroffen. Doch bleibt er auf Distanz. "Als Kind hatte ich gelernt, meine Sinne abzuschalten", erinnert er sich. "Wie mein Vater zog ich Bücher der Welt um mich herum vor."
Mendel betrachtet die Geschichte – die eigene, die seiner Familie, seines Heimatlandes. Das ist sein Beruf. Und sein Leben. So hat er es immer gemacht. "Der gütige alte Professor. Diese Rolle spielte ich bereits in jungen Jahren." Er hat ein Buch geschrieben: Die Amerikaner und der Krieg. Darin hat er kontrafaktische Thesen durchgespielt wie diese: "Ohne Einmischung der Amerikaner hätte der Erste Weltkrieg vermutlich mit einem Patt geendet. Wäre es so gekommen, behauptete ich, wäre die Gefahr, dass die Welt nur eine Generation später einen Zweiten Weltkrieg erleben muss, gar nicht entstanden." Es hätte alles auch anders kommen können.

Ein historischer Roman über einen Historiker

Nimmt man das alte Historiker-Ideal: Erzählen, wie es eigentlich gewesen ist, ernst, bleibt einem eigentlich nur, einen Roman zu schreiben. Nur so kann man sich ganz an einen Moment zurückversetzen, ohne dass das Wissen um die Folgen den Blick lenkt. Genau das tut Steven Bloom. Er versetzt uns ins Jahr 1968 und von dort aus mit der Figur des alten Mendel Kabakov weiter zurück in dessen jüdisch orthodoxe New Yorker Kindheit, zu seinem Einsatz im Ersten Weltkrieg, der Begegnung mit der blinden Sonja, mit der er die Liebe zu Büchern teilt und die ihn die Liebe zu Menschen lehrt.
Ein historischer Roman, aber auch ein Historiker-Roman, eine Geschichte von der Geschichte und davon, wie sie konstruiert wird, am Beispiel Amerikas, Mendels Lehr- und Forschungsgebiet, aber auch seiner Lebenswirklichkeit im Jahr des Affen 1968, in dem Studenten, Homosexuelle, Frauen und Schwarzen aufstehen gegen die Verhältnisse.
Die Pille sorgt für sexuelle Befreiung, Martin Luther King wird ermordet, Amnesty International gegründet, es wird viel über Israel diskutiert, aber "es war vierzehn Jahre zu spät, darüber zu diskutieren, ob es einen Staat Israel geben sollte oder nicht". Den Blaumann nennt man jetzt Jeans, Nixon und Kennedy machen Wahlkampf, und über allem schwebt Vietnam. Wir, sagt Mendels Sohn, "werfen gerade Napalmbomben auf Kinder und stecken Dörfer mit Zippo-Feuerzeugen in Brand. In solchen Zeiten kann man nicht weitermachen wie immer."
Mit Steven Bloom und Mendel Kabakov schauen wir in die Geschichte. Und die Geschichte schaut zurück – kein großes Historienbild, eher ein Pastell, eine Zeichnung, wobei sich Mendels Habitus der Distanz auch im Text niederschlägt. Dennoch entsteht ein aufschlussreicher, stimmungsvoller, intensiver Blick auf '68 und auf die alten USA. "Wir können aus der Vergangenheit lernen", zitiert Mendel den Politiker Barry Goldwater, "aber wir können nicht in ihr leben oder zu ihr zurückkehren." Es sei denn für die 200 Seiten eines Romans, der davon erzählt.

Steven Bloom: "Mendel Kabakov und das Jahr des Affen"
Aus dem amerikanischen Englisch von Silvia Morwetz
Wallstein Verlag, Göttingen 2019
208 Seiten, 20 Euro

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