Sterbehilfe

Zwischen Erlösung und Lebensflucht

Besprochen von Ariadne von Schirach |
Gibt es eine Pflicht, zu leben? Unter welchen Bedingungen ist Sterbehilfe vertretbar? Genau und einfühlsam beschäftigt sich die Philosophin Svenja Flaßpöhler mit Fragen um den frei gewählten Tod. Ihr Buch bietet viele gute Gründe, auch über das Leben nachzudenken.
Hat der Mensch ein Recht auf einen selbstbestimmten Tod? Auf die Beihilfe anderer? Mit diesen Fragen setzt sich die Philosophin Svenja Flaßpöhler in ihrem neuen Buch "Mein Tod gehört mir" nuanciert und feinsinnig auseinander – und zeigt: Schon in der Antike gab es die Überzeugung, dass Selbstmord gerechtfertigt sei, wenn "die Seele durch chronischen Schmerz" in Mitleidenschaft gezogen wird und der Betroffene nicht mehr "er selbst sein könne". Zugleich galt das Leben aber auch als etwas, über das der Einzelne nicht alleine verfügen konnte. Es galt, beim Senat um Erlaubnis zu bitten.
Der Konflikt zwischen dem eigenen Willen und der Tatsache, ein soziales Wesen zu sein, bestimmt die Debatte bis heute. Gibt es eine Pflicht, zu leben, auch wenn es nichts mehr gibt, wofür es sich zu leben lohnt? Diese Frage scheint besonders aktuell in einer Zeit, in der es immer mehr alte, oft vereinsamte Menschen gibt, die Angst davor haben, zum Pflegefall zu werden. Doch wie und unter welchen Bedingungen lässt sich heute ein sozial akzeptierter Selbstmord denken und durchführen? Dafür beschäftigt sich die Philosophin mit der sogenannten Beihilfe zur Selbsttötung, die den Sterbewilligen das nötige Umfeld und die nötigen Mittel, meist Gift, bereitstellt.
Was ist eine "unzumutbare Behinderung" des Weiterlebens?
In Deutschland ist diese Form der Suizidassistenz verboten. In der Schweiz jedoch gibt es die Freitodhilfeorganisationen Dignitas und Exit. Anhand von Briefen Sterbewilliger und den Gutachten der ehrenamtlichen Mitarbeiter geht Svenja Flaßpöhler der Frage nach, was für eine Organisation wie Exit als "unzumutbare Behinderung" des Weiterlebens gilt.
Dazu gehören nicht nur tödliche Krankheiten, sondern auch seelisches Leid – alles getragen von einem vernünftig, klar und autonom geäußerten Todeswunsch. Manches überzeugt: Wer wollte schon einem Todkranken ein selbstbestimmtes Ende verwehren? Andere Fälle lassen Zweifel offen. Unter welchen Umständen ist Suizidbeihilfe wirklich vertretbar?
Im letzten Teil des Buches schildert die Autorin, wie sie selbst zwei Menschen in den Freitod begleitet: einen kranken 83-jährigen Mann und einen 53-Jährigen, der an der unheilbaren Muskelschwäche ALS erkrankt war. In diesen einfühlsam und nachdenklich geschriebenen Berichten konkretisieren sich all die Fragen, die vorher aufgeworfen wurden. Bei dem älteren Mann wird der Tod zum selbstbestimmten Abschied.
Plädoyer für Hilfe im Leben
Anders bei dem damals noch recht gesunden Jüngeren: Da hat der Tod fast etwas von Lebensflucht. Deshalb ist die Philosophin abschließend auch nicht für eine komplette Legalisierung der Freitodhilfe, sondern plädiert dafür, die Suizidassistenz ausgebildeten Ärzten zu überlassen.
In ihrem Fazit legt sie darüber hinaus nahe, sich mehr um jeden Einzelnen zu bemühen, anstatt ihm dabei zu helfen, seinem Dasein ein Ende zu setzen. "Was einzig existiert, sind andere, die uns gute Gründe geben, auf der Welt zu sein." Und so bietet dieses besondere Buch viele gute Gründe, nicht nur über das Sterben, sondern vor allem auch über das Leben nachzudenken.

Svenja Flaßpöhler: "Mein Tod gehört mir. Über selbstbestimmtes Sterben"
Pantheon Verlag, München 2013
160 Seiten, 12,99 Euro

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