Sterbehilfe

"Das ist kein Dammbruch"

Urban Wiesing im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 28.08.2014
Unter strengen Auflagen sollte ein Freitod mit ärztlicher Hilfe künftig erlaubt sein, sagt Urban Wiesing. Wir dürften die Betroffen nicht alleine lassen, so der Medizinethiker.
Liane von Billerbeck: Tod und Sterben sind für viele Menschen noch immer ein Tabuthema. Das Thema Sterbehilfe spaltet das Land: Die einen wollen Sterbehilfe ganz verbieten, wie Gesundheitsminister Hermann Gröhe, die anderen fordern eine liberale Regelung. Im Herbst jedenfalls sollen die Abgeordneten im Bundestag frei darüber entscheiden, wie die Sterbehilfe gesetzlich geregelt werden soll. Vier Wissenschaftler haben jetzt einen weiteren Gesetzesvorschlag formuliert, ein Palliativmediziner, ein Medizinrechtler und zwei Medizinethiker. Professor Urban Wiesing ist einer von ihnen, er leitet das Institut für Ethik und Geschichte der Medizin an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, hat diesen Gesetzesentwurf mitverantwortet und ist jetzt am Telefon. Herr Professor Wiesing, ich grüße Sie!
Urban Wiesing: Guten Morgen!
von Billerbeck: Sie wollen Hilfe beim Suizid verbieten und unter Strafe stellen. Da sind Sie auf der Linie von Gesundheitsminister Gröhe. Worin unterscheidet sich Ihr Vorschlag?
Wiesing: Dadurch, dass wir zwei wichtige Ausnahmen erlauben, nämlich erstens: Es soll weiterhin so sein, dass Angehörige und nahestehende Personen Hilfe beim Suizid leisten können. Und zweitens, und das ist wohl das Wichtige, dass es Ärzten unter strengen Bedingungen erlaubt sein soll, Beihilfe zum Suizid zu leisten.
Ärzte müssen auf Schmerztherapie und Möglichkeiten der Palliativmedizin hinweisen
von Billerbeck: Aber nun soll ja ein Arzt bekanntlich Leben schützen und retten. In welchem Fall wollen Sie ihm denn durch Ihren Gesetzesentwurf ermöglichen, dass er beim Sterben hilft oder – wie es bei Ihnen heißt – beim Suizid assistiert?
Wiesing: Nun, vor allen Dingen: Ärzte sollen helfen. Und wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir mittlerweile in einer Gesellschaft leben, wo die Bürger unterschiedliche Auffassungen davon haben, was in einer Situation, wo sie unerträglich leiden, wo sie nur noch Leiden vor sich haben, wo sie in absehbarer Zeit sterben werden, da haben sie eben unterschiedliche Vorstellungen davon, was Hilfe ist. Und manche Bürger, sogar die Mehrheit der Bürger, versteht dann unter Hilfe, dass ihnen in Extremsituationen unter strengen Bedingungen ein Arzt eben beim Suizid hilft. Die Bedingungen, die wir vorgesehen haben, ist eine unheilbare Erkrankung, die in absehbarer Zeit zum Tode führt, ein klarer Wille, ein frei verantwortlicher Wille, ein Gespräch, das lebensorientiert ist, wo vor allen Dingen auf die palliativmedizinischen Maßnahmen, auf die Schmerztherapie hingewiesen wird, ein zweiter Arzt, der das Ganze kontrolliert, ein zweiter unabhängiger Arzt, und eine Bedenkzeit von mindestens zehn Tagen zwischen dem Wunsch und dem Gespräch über die Beihilfe zum Suizid und der Durchführung.
von Billerbeck: Nun sind das alles Vorschläge, und wenn man die Heftigkeit der Debatte sich vor Augen führt, dann fragt man sich immer: Um wie viele Menschen geht es eigentlich? Wie viele würde so eine Regelung betreffen?
Zwischen 800 und 2000 Fällen pro Jahr
Wiesing: Also wir haben uns ja sehr genau die internationalen Studien angeschaut und vor allen Dingen eben die Länder, in denen das in ähnlicher Weise praktiziert wird, wie wir es vorschlagen, es ist vor allen Dingen Oregon in den USA. Wir haben in diesen Ländern zwischen ein und drei Promille der Sterbenden, die letztlich darauf zurückgreifen. Das würde für die Bundesrepublik Deutschland bedeuten bei 800.000 Toten pro Jahr zwischen 800 und etwas über 2000 Fälle pro Jahr. Es ist wenig, das ist vor allen Dingen kein Dammbruch, wie immer wieder gesagt wird, aber andererseits glauben wir, es ist eine so hohe Zahl, dass wir diese Menschen nicht alleine lassen sollten.
von Billerbeck: Wie wollen Sie denn nun aber Missbrauch verhindern? Es wäre ja nicht das erste Mal, das Angehörige versuchen sich, ich sage mal so drastisch, eines lästigen, anstrengenden, pflegebedürftigen Verwandten zu entledigen. Beihilfe zur Selbsttötung wird ja praktiziert, darauf hat auch einer ihrer Kollegen, der am Gesetzesentwurf beteiligt war, hingewiesen – aber eben im Geheimen. Kann das durch die von Ihnen vorgeschlagenen gesetzlichen Regelungen verhindert werden?
Missbrauch lässt sich nicht verhindern
Wiesing: Also wir glauben nicht, dass das vollständig verhindert werden kann. Das wäre unrealistisch. So was kann man nicht ganz aus der Welt schaffen. Aber im Augenblick haben wir ja gar keine Vorsichtsmaßnahmen, um Missbrauch zu verhindern. In dem Fall, den wir vorschlagen, sind ja immerhin zwei Ärzte daran beteiligt. Und wenn diese Ärzte einen Anhalt dafür haben, dass hier Druck ausgeübt wird, dass hier irgendwelche Menschen das wollen, dass es gar nicht der wirkliche, freie Wille des Betroffenen ist, dann werden sie es eben nicht machen. Und insofern glauben wir, dass unser Entwurf erheblich besser ist als die jetzige Situation, die ja keinerlei Vorsichtsmaßnahmen gegen Missbrauch hat.
von Billerbeck: Nun haben Sie auch gesagt, Sie wollen auch an die Palliativmedizin erinnern, wollen darauf hinweisen, dass diese Medizin viele Möglichkeiten hat. Heißt das, Sie wollen auch die Bedingungen verbessern für ein, in Anführungsstrichen, gutes Sterben?
Wiesing: Ja, auf jeden Fall. Also was wir nicht wollen, ist das, was wir leider Gottes wieder in der politischen Diskussion sehr häufig sehen: ein Entweder-oder, nach dem Motto, jetzt macht bessere Palliativmedizin, dann kommen diese Fälle nicht vor. Alle guten Studien sagen: Ja, wir können die Zahl der Anfragen nach Suiziden durch gute Palliativmedizin senken, aber eben nicht auf null. Es werden immer Fälle bleiben, wo Patienten das für sich wünschen und zwar mit gutem Grund wünschen. Deswegen kein Entweder-oder, sondern beides: Wir empfehlen, ein solches Gesetz mit einer Initiative zu verbinden, Initiative Palliativmedizin in Deutschland. Wir haben in den letzten Jahren Gutes geschafft in Deutschland, aber man kann ja mal schauen: Wo können wir es noch besser machen? Und es gibt sicherlich noch Verbesserungsmöglichkeiten, und wir plädieren dafür, beides zu tun: Palliativmedizin, Schmerztherapie verbessern, aber gleichzeitig den Patienten, die es ernsthaft freiverantwortlich wollen, einen seriösen und kompetenten Ansprechpartner zu geben.
von Billerbeck: Die Palliativmedizin ist sicher in den großen Städten schon recht gut entwickelt, aber auf dem flachen Land ist da noch einiges zu tun. Wie soll sich das ändern?
Wiesing: Ja, das wäre etwas, was man im Rahmen einer solchen Initiative machen kann, dass man mal guckt: Wo fehlt es, wo ist Bedarf und wie kann man das ändern? Das führt auch dazu oder das wird auch dazu führen, dass man dort Geld in die Hand nehmen muss. Da kommt man dann wohl nicht umhin.
von Billerbeck: Wie sehen Sie denn die Chancen für Ihren Gesetzentwurf?
Kritik von Kirchen und CDU, positive Rückmeldungen von SPD-Abgeordneten
Wiesing: Das kann ich schlecht einschätzen. Wir haben positive Rückmeldungen beispielsweise von SPD-Abgeordneten, wir haben kritische Rückmeldungen von Kirchen und von CDU-Abgeordneten. Das kann im Augenblick niemand einschätzen. Die Diskussion beginnt, sie wird auch noch eine Weile dauern.
von Billerbeck: Professor Urban Wiesing war das, der Tübinger Medizinethiker hat zusammen mit drei Kollegen aus Lausanne, München und Heidelberg einen Gesetzesvorschlag zur Regelung des assistierten Suizids eingebracht. Danke Ihnen für das Gespräch!
Wiesing: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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