Streit um ukrainischen Nationalisten

Ärger am Grab von Stepan Bandera

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Steinernes Kreuz: Darunter ein mit Blumen und blaugelben Fahnen geschmücktes Grab.
Hier geschmückt mit ukrainischen Flaggen: das Grab von Stepan Bandera in München. © picture alliance / Photoshot / Rene Ruprecht
Von Susanne Lettenbauer · 01.08.2022
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Immer wieder wird das Grab des ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera auf einem Münchner Friedhof geschändet. Denn Bandera ist umstritten: Die einen betrachten ihn als ukrainischen Freiheitskämpfer, die anderen als Massenmörder und Faschisten.
Der Weg zum Grabfeld Nr. 43 führt vorbei an verwitterten Grabsteinen, frischen Blumen neben flackernden Grabkerzen. Das massive, helle Marmorkreuz ist schon von weitem durch die Bäume zu sehen. Es ist von hohen Bauzäunen umgeben, Zettel in ukrainischer Sprache erklären, dass dieses Grabkreuz derzeit saniert wird. Zwei Tage zuvor hatten Unbekannte das Kreuz mit lila Farbe beschmiert – Hakenkreuze, Anarchozeichen und das Wort „Faschist“. Die Täter sind bis heute unbekannt.
„Man fällt immer wieder aus allen Wolken. Ich verstehe es nicht, weil ich glaube, eine Totenruhe hat jeder verdient, egal, ob man ihn gut findet, ob man ihn schlecht findet. Störung der Totenruhe ist ein Verbrechen, dass für mich auf niedrigster Stufe steht. Da kann ich überhaupt kein Verständnis für aufbringen“, sagt ein Enkel von Bandera (*). Er kennt das Prozedere, wenn die Polizei anruft und mitteilt, dass das Grab seines Großvaters sei trotz verstärkter Polizeistreife wieder geschändet oder das Grabkreuz umgeworfen wurde.

Freiheitskämpfer oder Faschist?

Sein Großvater war Stepan Bandera, ukrainischer Nationalistenführer, heute wieder Symbolfigur für den Freiheitskampf der Ukraine, wie seit fast 100 Jahren. Deshalb legen täglich geflüchtete Ukrainer und Ukrainerinnen Blumen an seinem Grab nieder, gelbblaue Fähnchen stecken in der Erde, neben schwarzroten Flaggen der umstrittenen rechtsradikalen Ukrainischen Aufständischen Armee. Dann wieder Fahrkarten, Münzen, Gummibärchen.
Da mische er sich nicht ein, betont Banderas Enkel. „Ich denke, dass ist ein Ort, der nicht uns als Familie gehört, niemandem persönlich“, sagt er.  „Es ist eine Pilgerstätte, kann man sagen, und die Leute haben eine Recht darauf, im Rahmen des Erlaubten etwas Persönliches zu hinterlassen. und die rotschwarze Flagge ist meines Wissens nicht verboten. Sie mag umstritten sein und andere entfernen sie immer wieder, aber alles andere lasse ich.“

Flughafen sollte nach Banderas benannt werden

Irgendwie sei er doch stolz, dass ukrainische Politiker immer wieder Kränze am Grab niederlegen, wie der bisherige ukrainische Botschafter Andrij Melnyk, der mittlerweile aus Berlin nach Kiew abberufen wurde. In der Ukraine werden Lieder über Bandera gesungen, der hier in München auf dem Friedhof liegt. Es gab Pläne, den Kiewer Flughafen nach ihm zu benennen.
Seit 1959 liegen seine Überreste in München, auf dem Waldfriedhof. Nahezu unbemerkt. Gepflegt von seinem Enkel. Gelder aus Kiew bekäme er dafür nicht. „Die einzige Möglichkeit wäre wahrscheinlich, einen Streifenwagen hinzustellen, der rund um die Uhr hier steht, auch nachts, denn ich glaube, bis jetzt waren alle Beschädigungen in der Nacht. Sonst natürlich die Möglichkeit, diesen Ort zu überwachen. Aber da sagen die Polizeibehörden, dass es da datenschutzrechtliche Probleme gibt.“

Bandera setzte auf eine Zusammenarbeit mit Hitler

Im israelischen Yad Vashem, der wichtigsten jüdischen Holocaust-Gedenkstätte, gilt Bandera, der Bandenführer, als Massenmörder von Hunderttausenden Juden, Polen, Frauen, Kindern. Ukrainische Kämpfer bildeten 1941 in seinem Namen das Bataillon „Nachtigall“, beteiligten sich an Progromen. Bandera setzte fanatisch auf eine Zusammenarbeit mit Hitler, um seinen Traum eines ukrainischen Staates zu verwirklichen. „Das ist für mich Propaganda“, sagt sein Enkel.
Stepan Bandera wurde im Oktober 1959 vor seiner Wohnungstür in der Münchner Maxvorstadt erschossen. Westdeutsche und ostdeutsche Geheimdienste beschuldigten sich gegenseitig der Tat.
Als Täter wurde der Russe Bogdan Staschinski verurteilt, der zwei Jahre später 1961 in den Westen überlief und den Mord an Bandera in dieser Archivaufnahme gesteht:
„Am 15. Oktober bin ich in sein Haus gegangen und habe auf ihn gewartet. Ein paar Minuten später ist er auch gekommen, und da ging ich ihm entgegen. In dem Moment, als er den Schlüssel herausgezogen hat, habe ich mit der rechten Hand die Waffe gehoben und habe abgedrückt. Später wurde mir in Karlshorst eröffnet, dass ich auf Beschluss des obersten Sowjets mit dem Kampforden des roten Banners für diese Tat ausgezeichnet worden war.“
Das sei heute alles gar nicht mehr vorstellbar, sagt Orest Fil. Er leitet das heute noch immer – wie schon die Organisation ukrainischer Nationalisten OUN – in der Zeppelinstr. 67 ansässige „Institut für ukrainische Bildungspolitik“.
Dass es die Nachfolgeorganisation Banderas sei, verneint der 67-Jährige strikt. Auch mit dem KUN, dem 1992 in Kiew gegründeten „Kongress ukrainischer Nationalisten“ habe er nichts zu tun. „Es gibt keine Nachfolgeorganisation von Bandera hier in München. Es gibt einen Verein, der sich gegründet hat, um historische Plätze und historische Sachen praktisch hier zu verwalten. Am Anfang war es noch so, dass man eine politische Bildung gemacht hat und hat auch politische Schriften herausgegeben und hat die ukrainischen Emigranten, den Jungen, die es interessiert hat, weitergebildet, von der Sicht der Ukraine heraus, wie das Ganze war.“

Grab bleibt vorerst im Münchener Exil

Nach der Wende und Unabhängigkeit 1991 seien die meisten Ukrainer entweder in die Heimat zurückgekehrt oder schon vorher ausgewandert Richtung Amerika. Das Grab eines anderen ukrainischen Nationalistenführers, eines Konkurrenten Banderas, Lew Rebet, wurde nach der Wende nach Lwiw überführt. Nur Banderas Grab blieb im Münchener Exil.
Eine Rückführung sei vorerst nicht geplant, die Lage in der Ukraine sei zu instabil, sagt Banderas Enkel. „Das Thema kommt immer wieder auf. Es sind in der Ukraine auch schon Denkmäler beschädigt und gesprengt worden. Die politische Lage war bisher noch nie so stabil, dass wir uns gedacht haben, er wird es hier ruhiger haben als dort – und jetzt zu Kriegszeiten werden wir es sowieso nicht machen. Mittel- oder langfristig wäre es auch in seinem Sinne irgendwann. Aber dazu muss die politische Lage stabil sein und man muss davon ausgehen, dass er dort in Ruhe gelassen wird.“
Als im Oktober 1959 der ermordete 50-jährige Bandera begraben wurde, folgten seinem Sarg gut 1500 Trauergäste. Rund 20.000 Exilukrainer lebten damals in München. An dem Grab von Stepan Bandera zeige sich die kontroverse Diskussion um seine Person und Bedeutung, sagt die Historikerin Kateryna Kobchenko, gebürtig aus Kiew.

Ein fanatischer Revolutionär

Bandera sei kein Theoretiker des ukrainischen Nationalismus gewesen, sondern ein fanatischer Revolutionär mit dem Ziel eines homogenen Nationalstaates – kompromisslos bis zum Schluss, sagt die Historikerin. „Einerseits ist diese Figur wirklich kontrovers, muss man sagen, sodass es auch in der Ukraine noch keine einhellige Meinung zu ihm gibt. Das heißt, dass es nicht eindeutig ist, dass er ein Nationalheld ist, für den Großteil der Bevölkerung schon, aber nicht für alle. Das ist ja auch ein Teil der ukrainischen Geschichte, die Migrationsgeschichte, deshalb meinen sie, dass das Grab dort bleibt, wo er ermordet wurde, das ist auch ein Symbol.“
Bis dahin bleibt es auf dem Grabfeld 43 rund um das helle Marmorkreuz mit den schwarzroten Fähnchen und blaugelben Fahnen kontrovers und wirkt, wenn die Besucher wieder weg sind, recht einsam.
(*) Redaktioneller Hinweis: Der Name ist der Redaktion bekannt.
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