Steigende Studentenzahlen

Studium ist nicht der Königsweg zu beruflichem Erfolg

Studenten sitzen in einem Hörsaal bei der Erstsemesterbegrüßung der Universität Koblenz-Landau im April 2014 im Hörsaal.
Ein Studium ist nicht automatisch der Königsweg zu beruflichem Erfolg, mahnt Julian Nida-Rümelin. © dpa / picture-alliance / Thomas Frey
Moderation: Liane von Billerbeck  · 27.11.2014
Dass allein ein Studium als Weg zu beruflichem Erfolg propagiert wird, hält der Philosophie-Professor Julian Nida-Rümelin für einen "Irrweg". Deutschland gefährde so sein Erfolgsmodell des dualen Systems beruflicher Bildung.
Deutschland gefährde sein Erfolgsmodell der beruflichen Bildung, wenn inzwischen nur noch fast 30 Prozent eines Jahrgangs diesen Weg einschlügen, sagte der Wissenschaftler an der Ludwig-Maximilians Universität in München im Deutschlandradio Kultur.
Dabei beneide die ganze Welt die Bundesrepublik um diese Stärke des deutschen Bildungssystems. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gibt es derzeit 2,7 Millionen Studierende und damit 81.500 mehr als im Vorjahr.
Handwerker und Techniker verdienen mehr
"Wir sind gegenwärtig auf einem Irrweg, der auch ausgelöst ist durch eine, nennen wir es mal deutlich, Dauerpropaganda, die immer noch anhält", sagte Nida-Rümelin. Er halte es für gefährlich, zu behaupten, dass Studierte später mehr verdienten. Dabei verdienten Absolventen geistes- und sozialwissenschaftlicher Studiengänge in Deutschland durchschnittlich weniger als Handwerker und Techniker ohne Studium.
Nur zwei Studiengänge hätten zeitweise für ein anderes Bild gesorgt: Informatik und Ingenieurswissenschaften. "Da kann man sagen, da gab es einen Mangel", sagte Nida-Rümelin. Das könne aber nicht für andere Absolventen verallgemeinert werden. "Das ist eine gefährliche und irreführende Propaganda."

Das Gespräch im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Es ist ja eigentlich eine gute Nachricht, könnte man meinen: In Deutschland gibt es derzeit so viele Studenten wie noch nie, knapp 2,7 Millionen sind im laufenden Semester an deutschen Hochschulen und Universitäten eingeschrieben, so hat es das Statistische Bundesamt gezählt. Das sind 81.500 Studenten mehr als im vorigen Wintersemester. Was sich so gut anhört, das kritisiert der Münchner Philosoph Julian Nida-Rümelin. Er lehrt dort seit 2004 an der Ludwig-Maximilians-Universität, Sie kennen ihn sicher noch als Kulturstaatsminister im ersten Kabinett von Gerhard Schröder. Er war auch von 2009 bis 2013 Mitglied des Parteivorstands der SPD und der Grundwertekommission. Guten Morgen, Herr Nida-Rümelin!
Julian Nida-Rümelin: Ja, guten Morgen!
von Billerbeck: Warum, bitte schön, warnen Sie vor einem Akademisierungswahn?
Nida-Rümelin: Auffällig ist, dass Deutschland, auch Österreich und die Schweiz die drei westlichen Industrieländer sind mit der niedrigsten Jugendarbeitslosigkeit. Zugleich sind das die drei Länder, die über alle Jahrgänge hinweg, die im Beruf stehen, also, sagen wir mal, so 25- bis 64-Jährige, eine relativ niedrige Akademikerquote haben. Die liegt in Deutschland unterdessen bei 16 Prozent, die lag niedriger, aber so was ändert sich ja langsam, nicht plötzlich von einem Jahr auf das nächste. Sie liegt in Österreich und in der Schweiz noch niedriger.
Und da gibt es einen Zusammenhang, der ist ganz offenkundig, und dieser Zusammenhang heißt: Wir haben ein System beruflicher Bildung, um das uns die Welt beneidet. Das heißt, wir haben die Möglichkeit, dass auch diejenigen, die – sagen wir mal jetzt etwas klischeehaft – sich mit der Interpretation von Kafka-Gedichten oder höherer Mathematik oder auch Fremdsprachen nicht so leicht tun, dass die einen Weg in den Beruf, und nicht irgendeinen Weg in den Beruf finden, sondern einen, mit dem sie möglicherweise sehr erfolgreich sind, mit dem sie auch selbstständig werden können, zum Beispiel wenn sie eine Meisterprüfung ablegen. Und wenn dieses Erfolgsmodell des deutschen, auch Schweizer, österreichischen Bildungssystems, wenn dieses Erfolgsmodell ruiniert wird und wenn wir 25 Prozent eines Jahrgangs oder auch 30 Prozent eines Jahrgangs nur noch haben, diejenigen, die auf dem normalen Weg – wie manche das propagieren – gescheitert sind, nämlich der normale Weg ist dann Abitur und Studium, und der nicht normale Weg, na ja, gut, der steht dann für die offen, die das nun partout nicht schaffen, dann beschädigen wir die einzige wirklich international auffällige Stärke des deutschen Bildungssystems.
von Billerbeck: Das ist schon interessant, dass ein Philosoph zu einer Verteidigungsrede des dualen Systems ansetzt! Aber man fragt sich natürlich: Warum raten Sie jungen Menschen von einem Studium ab? Es gibt ja durchaus auch Gründe, die dafür sprechen. Also vom höheren Gehalt bis zur niedrigeren Gefahr, arbeitslos zu werden ect.
Kritik an "Dauerpropaganda"
Nida-Rümelin: Also, ich rate nicht generell ab, um Gottes Willen. Ich bin gegen frühe Selektion, ich bin dagegen, dass neunjährige Kinder in drei Typen von Schulen eingeteilt werden, ich bin für bessere Durchlässigkeit des Bildungssystems, für den Zugang zum Hochschulstudium für alle, die dafür geeignet sind, und nicht nur für die, die aus Akademikerhaushalten kommen oder aus Familien mit höherem Einkommen. Ich habe sogar in einem Büchlein, was vor diesem "Akademisierungswahn" im letzten Jahr erschienen ist, gesagt, wir sollten generell umstellen von Selektion auf Differenzierung, wir sollten im Bildungssystem den Menschen Möglichkeiten geben, ihren Weg, ihr eigenes zu finden und nicht in erster Linie wie eine große Selektionsmaschine das Ganze verstehen, so wie das die OECD tut, wer eben oben ankommt, der kriegt dann auch entsprechend höhere Gehälter, und oben heißt dann immer Universitätsstudium, Masterabschluss, Promotion. Wir müssen von diesem Bild wegkommen. Also, ganz entgegen diesem Klischee bin ich für mehrDurchlässigkeit, allgemeine Zugänglichkeit des Studiums, aber auch anderer Abschlüsse, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern.
Ein Porträt von Julian Nida-Rümelin
In seinem neuen Buch kritisiert Philosophieprofessor und Ex-Kulturstaatsminister JulianNida-Rümelin einen Akademisierungswahn in Deutschland.© Picture Alliance / dpa / Horst Galuschka
Nein, der entscheidende Punkt ist: Wir sollten die Breite der Möglichkeiten erhalten. Und wir sind gegenwärtig auf einem Irrweg, der auch ausgelöst ist durch eine, nennen wir es mal deutlich, Dauerpropaganda, die immer noch anhält. Dazu gehört auch die These: Wer studiert hat, verdient eine Millionen Euro mehr pro Leben, Lebensarbeitseinkommen. Das ist hoch gefährlich, diese Propaganda, ich kenne die Zahlen nun zufällig etwas genauer, weil ich mich damit intensiv beschäftigt habe: Die Absolventen geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlicher Studiengänge verdienen in Deutschland im Durchschnitt weniger als Handwerker und Techniker, also ohne Studium, Handwerker und Techniker.
Und dieses ganze Plus, was sich da in der Tat jetzt abgezeichnet hat in den letzten Jahren für Akademiker, ist fast ausschließlich zurückzuführen auf zwei Studiengänge, nämlich Informatik und Ingenieurwissenschaften. Da kann man sagen, da gab es einen Mangel. Die DIW, Deutsches Institut für Wirtschaft, hat errechnet, dass dieser Mangel nicht anhalten wird, aber darüber kann man meinetwegen noch streiten. Da gab es einen Mangel. Aber das kann man nicht verallgemeinern und sagen: Studiert und dann verdient ihr viel mehr, als wenn ihr nicht studiert. Das ist eine gefährliche und irreführende Propaganda.
von Billerbeck: Da haben Sie jetzt also mit einem Mythos aufgeräumt. Trotzdem ist es ja so, dass wir einen großen technologischen Wandel erleben, das merken wir alle in allen Berufen, es gibt immer kürzere Zyklen, in denen sich Innovationen durchsetzen, und es gibt - vor allem auch das – eine zunehmende Internationalisierung. Müsste das nicht eigentlich den Trend zur Akademisierung fördern? Was ist denn daran falsch?
Mechatronikermeister ist kreativ tätig
Nida-Rümelin: Nein, das halte ich für eine Fehleinschätzung. Die Vorstellung ist dann die, dass nur die akademischen Berufe, nur diejenigen, die studiert haben, die Flexibilität haben – solche Sprüche hört man immer wieder –, repetitive Tätigkeiten gehen zurück ... Ja, um Himmels Willen, jetzt lasst mal die Kirche im Dorf! Also, ich meine, der Gymnasiallehrer, dessen Beruf sehr wichtig ist und den ich sehr schätze, der ist ziemlich repetitiv tätig, weil er Jahr für Jahr dieselben Currikula pro Jahrgang arbeiten muss. Ein Mechatronikermeister, der ist möglicherweise mit immer wieder neuen Modellen aus der, wie soll ich sagen, Technologieschmiede großer Kfz-Unternehmen beschäftigt und muss sich immer wieder darauf einstellen, muss sie sogar selber entwickeln, der ist hoch kreativ tätig und nicht repetitiv. Also, diesen Quatsch sollten wir wirklich lassen. Ich meine, ein Webdesigner, der ist auch nur repetitiv tätig, na gut, also, komische Vorstellung dieses Berufs! Die meisten, die diesen Beruf ergreifen, haben nicht studiert. Also, das sind Klischees, von denen sollten wir uns lösen!
von Billerbeck: Also: Ein Hoch auf das duale Bildungssystem in Deutschland, das sang gerade der Münchner Philosoph Julian Nida-Rümelin. Er lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität, und falls Sie das noch mal genauer nachlesen wollen: Sein Essay "Der Akademisierungswahn" ist als Buch bei der Edition Körber erschienen. Herr Nida-Rümelin, ganz herzlichen Dank!
Nida-Rümelin: Ja, danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Julian Nida-Rümelin, Akademisierungswahn, Edition Körber-Stiftung, 16 Euro.
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