Soziologie

Von der skeptischen zur überforderten Generation?

Eine Mutter im Business-Anzug mit ihrem Baby auf dem Arm, in der Hand eine Kaffeetasse.
Kinder und Karriere: Die heute 30- bis 40-Jährigen wollen alles unter einen Hut bringen. Das führt zu Stress. © dpa / picture alliance / Lehtikuva Elina Simonen
Von Anja Arp · 03.11.2014
Die Kindheit und Jugend der Nachkriegsgeneration war vor allem von Unsicherheit geprägt. Pragmatismus bestimmte dagegen das Leben der heute 30- bis 40-Jährigen. Und was zeichnet die jüngste Generation aus? Unsere Autorin hat Antworten gesammelt.
"Ich bin im Februar 1936 in Bechen geboren. Das ist ungefähr acht Kilometer von Bergisch Gladbach entfernt. Mein Vater war Maurer, später Polier, meine Mutter Hausfrau."
Theo Röhrig - skeptische Generation.
"Ich bin Diplom-Sozialwissenschaftlerin, Jahrgang 1974, habe zwei Kinder, acht und drei Jahre alt und arbeite derzeit bei Gesundheit Berlin-Brandenburg e.V."
Nancy Ehlert - überforderte Generation.
"Ich bin die Paula, ich bin 19 Jahre alt, meine Eltern sind Doris und Rudi und ich gehe zur Schule in Köln."
Paula - Generation Y.
Es ist die Zeit der Tütenlampen und der Nierentische. Und es ist die Zeit von Konrad Adenauer und Ludwig Erhard. In den 50er-Jahren steigt das Bruttosozialprodukt stetig an, während die Arbeitslosenzahlen sinken. Das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit hat Hochkonjunktur. Und viele legen, wie Theo Röhrig, in dieser Zeit den Grundstein für ihre Karriere. Der Soziologe Helmut Schelsky untersucht diese Generation und schreibt einen Bestseller über sie. Bis in den Bundestag hinein löst das Buch Debatten aus. 1957 erscheint "Die skeptische Generation":
"Das Wort von der skeptischen Generation habe ich erst später über das Buch geschrieben. Ich hätte auch – was damals noch nicht so populär war – etwa den Begriff Ohne-mich-Generation oder irgendwas nehmen können. Bloß das ist nicht so griffig."
... erklärt der Soziologe 1980 in einem Fernsehinterview der ZDF-Reihe Zeugen des Jahrhunderts.
"Die Haupt-These war ja 'ohne mich'. Das heißt, mit uns nicht noch mal dasselbe. Das war die Grundthese."
Diese Generation, die in den 30er-Jahren geboren wurde, hat noch die Schrecken der Nazi-Herrschaft zu spüren bekommen.
Theo Röhrig: "Mein Vater war ein relativ frommer Mann und als der Rektor, früher hieß der Hauptlehrer, verabschiedet wurde, zog der durch alle Klassen und verabschiedete sich und brüllte: Die schwarzen Verbrecher aufstehen. Ich bekam eine Ohrfeige und stand neben vier, fünf anderen da. Und erklärte uns denn, wenn wir den Endsieg in der Tasche haben – wohl gemerkt 1944 – dann werden wir euch die Hammelbeine langziehen."
Heute ist Theo Röhrig fast 80 Jahre alt. Der Krieg hat seine Kindheit geprägt.
"Man hörte nachts diese Bombenangriffe, der Boden zitterte, die Häuser wackelten. Wir verbrachten ganze Nächte im Bunker – meine Mutter mit ihren drei Kindern. Und hatten natürlich auch Probleme mit der Verpflegung. Das heißt also, wir gingen – mein Bruder und ich, wir hamsterten da in der Umgebung und päppelten so die Verpflegung etwas auf. Bucheckern wurden gesammelt, Ähren wurden gelesen, Kartoffel-Äcker, die es hier in der Umgebung gab durchgeackert. Es war eine schwierige Zeit."
Eine Kindheit, von Unsicherheit geprägt
Die Kinder- und Jugendzeit der Nachkriegsgeneration ist von großer Unsicherheit gekennzeichnet. Doch dann wächst diese Generation in eine mit den Kriegszeiten vergleichsweise sehr sichere Erwachsenenwelt hinein. Aus dem Volksschüler Theo Röhrig wird zunächst einmal ein Chemie-Laborant in Köln bei Klöckner-Humbold Deutz, kurz KHD.
"Insofern war der Start als Chemie-Laborant eigentlich, gab mir das etwas Auftrieb. Nur, das wurde arg gedämpft, nachdem ich die ersten Stunden in der Berufsschule verbracht hatte. Das Gros der Klasse waren Abiturienten, Leute mit mittlerer Reife. Wir waren zu zwei Volksschülern. Schwierig."
Doch Theo setzt sich durch.
"Ich habe jeden Tag bis zur Prüfung trotz aller Sperenzien, die wir als Jugendliche gemacht haben, habe ich gelernt. Ich habe die Prüfung mit 1,1, gemacht. Das sah also alles sehr positiv aus."
Theo Röhrig lernt weiter, besucht die Akademie für Verwaltungswirtschaft in Köln. Später wird er Bezirkssekretär der IG Metall und zieht für die SPD in den Landtag von Nordrhein-Westfalen ein. 1958 lernt Theo seine Frau Eva kennen, die sich ebenfalls in der SPD engagiert. Sie bekommen zwei Söhne:
"Das hat aber ein paar Jahre gedauert. Die kamen nicht sofort. Das wollten wir aber auch nicht. Der Älteste, der ist also - wir haben '60 geheiratet, und der ist '63 geboren. Also gut, also mehr als drei Jahre später. Und der jüngere, der ist dann noch mal einige Jahre später geboren."
Das Familienbild dieser Generation war noch ganz unerschüttert. Der Krieg war überstanden, die Emanzipationsbewegung in weiter Ferne - ebenso wie die großen Krisen. Diese Generation hatte zwar einen außerordentlich unsicheren Start. Dafür aber auch sehr viel Erfolg im Wirtschaftswunder. Die Städte wurden wieder aufgebaut, Wohnraum und Infrastruktur geschaffen. Es gab wieder alles zu kaufen, was das Herz begehrte. Der Weg in eine erfolgreiche Zukunft stand vielen offen. Kurzum: Gute Bedingungen für das Erwachsenwerden und die Familiengründung. Das sieht für spätere Generationen, etwa für die heute 30- bis 40 Jährigen ganz anders aus.
Hans Bertram: "Die überforderte Generation, wenn man da auch mal so ein Geburtsjahr einfach jetzt so hinsetzt, irgendwo so zwischen 1970 und 1980, ist eigentlich eine Generation, die aufgewachsen ist und deren Kindheit eigentlich sehr glücklich war. Weil eigentlich die ökonomischen Umstände relativ gut waren. Die Arbeitslosigkeit war nie so hoch, wie in den 30er-Jahren. Das heißt, die konnten eigentlich sehr optimistisch in die Zukunft gucken. Und zum Zweiten muss man natürlich auch sagen, dass diese Generation unglaublich davon profitiert hat, dass die Bildungssysteme erweitert wurden, das heißt, man konnte plötzlich studieren. Häufig sind in dieser Generation diejenigen Kinder, die ersten Kinder, die überhaupt studiert haben. Das heißt, das Leben stand eigentlich für diese Generation ziemlich offen."

Hans Bertram, Leiter des Bereichs Mikrosoziologie der Humboldt-Universität zu Berlin
Hans Bertram, Leiter des Bereichs Mikrosoziologie der Humboldt-Universität zu Berlin© dpa / picture alliance / Britta Pedersen
Professor Hans Bertram, Leiter des Bereichs Mikrosoziologie der Humboldt-Universität zu Berlin, konstatiert in seinem neuen Buch über diese überforderte Generation:
"Wenn man jetzt aber die als 30- bis 40-Jährigen sich anschaut, stellt man plötzlich fest, dass die teilweise viel größere Schwierigkeiten haben, sich im Leben und in der Gesellschaft zu etablieren, als die skeptische Generation, die eigentlich eine ganz furchtbare Kindheit gehabt hat."
Dennoch ist die skeptische Generation eigentlich in allen Lebensbereichen überaus erfolgreich. Davon ist auch die Politik dieser Zeit geprägt, erklärt Hans Bertram:
"Die skeptische Generation war sicherlich vorzüglich, was die Außenpolitik beispielsweise anging. Denken sie einmal an Helmut Kohl oder Gorbatschow. Das sind alles Mitglieder dieser Generation, die um 1930 geboren wurden oder der amerikanische Außenminister James Baker damals. Das heißt, sie haben im Grunde genommen auf den Wandel der Welt relativ gut reagiert. Nur in dem private Leben, das, was in der Bundesrepublik als privates Leben zu organisieren war, haben sie im Grunde genommen ihre Lebensperspektive in allen Lebensbereichen durchgesetzt. Und daran hat die überforderte Generation heute zu knabbern."
Arbeitslosenzahlen steigen, es mangelt an Lehrstellen
Zum Beispiel Nancy Ehlert. Sie war 15 Jahre alt, als die Mauer fiel. Ihre Jugend fällt also in eine Zeit, in der sich für viele Ostdeutsche ganz neue Möglichkeiten auftun. Gleichzeitig brechen gewohnte Sicherheiten weg. Nicht nur im Osten steigen die Arbeitslosenzahlen und mangelt es an Lehrstellen. Sich an den Erfahrungen der Eltern zu orientieren, ist schwierig. Wie viele junge Menschen, die in der ehemaligen DDR aufgewachsen sind, ist Nancy Ehlert sehr früh zu Hause ausgezogen. Sie hat dann in Berlin studiert. Heute arbeitet sie Vollzeit als Soziologin und hat zwei Kinder. Die 40-Jährige fühlt sich ganz und gar der überforderten Generation zugehörig:
"Ich würde mich in jedem Fall dazu rechnen. Einfach aufgrund der Tatsache, dass ich im Nachgang alles in die Zeit zwischen 30 und 40 hinein gepackt habe, was Kinder und Karriere angeht. Also Karriere im Sinne von vollzeitiger Berufstätigkeit und zwei Kinder, die sozusagen auch in dem Zeitraum zur Welt gekommen sind. Und vieles zwischen 20 und 30 aufgeschoben habe. Und mich da eher dem Studium und dem selbsterfahrenen Reisen und so weiter gewidmet habe."
Offenbar ist es leichter, mit einer unsicheren Kindheit in eine sichere Erwachsenenwelt hineinzuwachsen als umgekehrt:
"Ja, das gilt dann, wenn im Grunde genommen klare Vorstellungen da sind, wie die Erwachsenenwelt zu strukturieren ist. Wenn Sie mal sich vorstellen, Sie sind meinetwegen 1945 15 Jahre alt oder 16 Jahre alt. Dann machen Sie unter ganz bescheuerten Umständen - anders kann man es wirklich nicht sagen - versuchen Sie, ihre Lehre zu machen. Aber nach dem Koreakrieg gab es ja einen enormen Aufstieg in der Bundesrepublik. Und das galt übrigens auch für die DDR. Und das Zweite, was man nicht vergessen darf, es gab sozusagen eine klare Struktur der Industriegesellschaft. Das heißt, man wusste, wenn man in einen Job kam, dann konnte man den auch relativ lange ausüben."
Die Zeiten sind eindeutig vorbei. Die Lebenswelt von heute ist für junge Menschen, die in den Beruf einsteigen wollen vor allem eines: unsicher.
"Während die heutige Generation im Grunde genommen, wenn sie auch gut qualifiziert ist, plötzlich mit dem Problem konfrontiert ist, dass sie sich ihren Lebensweg selbst neu aussuchen und strukturieren muss. Manche Soziologen sprechen von Bastelbiografie, um das deutlich zu machen. Aber das bedeutet plötzlich, man muss im Grunde genommen ein Leben konstruieren, das in dieser Weise – jedenfalls in den Vorgenerationen – nicht gelebt wurde."
Seit Schelskys skeptischer Nachkriegs-Generation unterscheiden Soziologen Generationen in 15-Jahres-Schritten. Der skeptischen Generation folgen erst einmal die berühmt-berüchtigten Halbstarken der 50er-Jahre. Sie wollen vor allem aus dem klischierten Rollenverhalten der Nachkriegszeit ausbrechen. Ganz nach dem Muster: Jugend stört die Ordnung.
Das gilt auch später für die 68er mit ihrem fundamentalen politischen Protest. Sie fragen ihre Eltern: Was habt ihr im Dritten Reich gemacht? Sie stellen die Schuldfrage und machen radikal Schluss mit Traditionen. Das Private wird politisch. Damit verhalten sie sich weitaus jugendkonformer als ihre skeptischen Vorgänger:
Schelsky: "Wenn wir einmal zurück blicken, sind Jugendgenerationen eigentlich immer romantisch, emotionell gewesen. Dass die Jugendgeneration unmittelbar nach dem Krieg nüchtern war, sachlich, abwehrend – ohne uns – das ist eine große Ausnahme in der Geschichte. Und ohne den Krieg und seine Folgen, ohne Nationalsozialismus gar nicht zu denken."
Auf die skeptischen Nachkriegsgeneration und die hoch politisierte Studentenbewegung folgen weitere Jugendgenerationen, denen häufig ein Stempel aufgedrückt wird - etwa die Baby-Boomer. Wer 1964 also auf dem Höhepunkt des Booms zur Welt kam, konnte sich auf ungewöhnlich viele Gleichaltrige freuen oder eben auch nicht. 1,3 Millionen Menschen wurden geboren – so viele wie nie zuvor. Überall muss diese Generation zusammenrücken: In der Schule, in der Ausbildung und später im Job – denn die Konkurrenz schläft nicht. Erste Vorboten der Massenarbeitslosigkeit zeichnen sich bereits ab.
Es folgt die Generation Golf, die in den 80er-Jahren in Westdeutschland aufwächst und die, wie die amerikanische Generation X von Douglas Coupland, mehr eine literarische Zuschreibung ist. Der Feuilletonist und Golffahrer Florian Illies hat über das Lebensgefühl dieser Generation ein Buch geschrieben und damit für viel Aufsehen gesorgt:
"Die 80er-Jahre waren das langweiligste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Nicole sang von ein bisschen Frieden, Helmut Kohl nahm mal ein bisschen ab und mal ein bisschen zu, Kaffee hieß plötzlich Cappuccino und Raider Twix, aber sonst änderte sich nichts. Noch ahnte man nicht, dass man einer Generation angehörte, für die sich leider das ganze Leben, selbst an Montagen, anfühlte wie die träge Bewegungslosigkeit eines Sonntagnachmittags. Ja noch ahnte man nicht einmal, dass man einer Generation angehörte."
Über Langeweile und Bewegungslosigkeit kann die überforderte Generation, der heute 30- bis 40-Jährigen nicht klagen. Für diese vergleichsweise angepasste Generation, ist es vielmehr schwierig, ihren eigenen Lebensweg in der vermeintliche Fülle der Möglichkeiten zu finden:
Bertram: "Und jetzt muss man einfach sagen, man kann sich nicht einmal an den eigenen Eltern orientieren. Weil man weiß, die eigene Lebenserwartung ist 90 Jahre. Und man ist noch relativ lange relativ gesund. Das heißt, beispielsweise, die Entscheidung zur Mutterrolle bedeutet eben nicht, dass man sein Leben lang Mutter sein kann, in Anführungsstrichen. Sondern es ist plötzlich eine Phase im Leben. Während noch in der Muttergeneration und der Großmuttergeneration die Entscheidung für Kinder eigentlich bedeutete, dass man sein Leben auch um diese Rolle hin organisierte. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass plötzlich die jetzige Generation etwas neu erfinden muss, was die Vorgeneration ihnen nicht als Vorstellung überhaupt entwickelt hat."
Hans Bertram nimmt für sich nicht in Anspruch den Begriff der "überforderten Generation" erfunden zu haben – geprägt hat er ihn auf jeden Fall. Für den Soziologen muss diese Generation vor allem zwei Probleme lösen:
"Das Eine ist, dass man von ihnen erwartet, dass sie relativ hohe Qualifikationen in die Berufswelt einbringen. Und gleichzeitig erwartet man von ihnen aber auch, dass sie für die ältere Generation eine stabile Basis darstellen, damit die ältere Generation in relativem Wohlstand alt werden kann. Und diese beiden Voraussetzungen werden die nachwachsenden Generationen auch bringen. Nur die Frage ist, ob sie dann noch in der Lage sein werden, für sich selbst und ihr Alter vorzusorgen. Das stelle ich doch ernsthaft in Frage. Als Frage, weil ich glaube, das schaffen sie nicht mehr."
Nancy Ehlert hat sich während ihrer Jugend und als junge Erwachsene ausgelebt. Sie ist zum Beispiel viel gereist. In dieser Zeit hat sie aber auch auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nachgeholt und anschließend studiert. Viele wichtige Entscheidungen in ihrem Leben hat sie aber erst vergleichsweise spät, zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr getroffen. Mit Mitte 30 hat sie ihre beiden Kinder bekommen. Die Sozialwissenschaftlerin steckt voll im Job und lebt inzwischen in einer Pendler-Familie, weil ihr Mann eine Professur in Nürnberg-Erlangen bekommen hat. Außerdem engagiert sie sich sowohl in der Kita als auch in der Schule ihrer Kinder in Berlin:
"Ich versuche mich da auch ehrenamtlich sehr zu engagieren, was Elternvertretung angeht. Und habe aber immer noch den Anspruch, einfach Vollzeit erwerbstätig zu sein und mich da auch immer weiterzubilden und mich da auch voll einzubringen. Und trotzdem aber sozusagen auch noch ein erfülltes Freizeitleben zu haben und einen engagierten Freundeskreis. Also so diese ganze Bandbreite eben der Entsprechungen, die man so, die man versucht, Genüge zu leisten."
Ein Leben kurz vor dem Burn out
Das hört sich wirklich nach viel Anstrengung und Überforderung an. Kein Wunder, dass Nancy Ehlert sich häufig am Rande zum Burn out fühlt. Dennoch ist sie sich sicher, dass ihre Kinder nicht unter ihrem Stress leiden. Mit ihrem Mann im fernen Nürnberg sieht das allerdings anders aus:
"Ja, das ist natürlich ein schwieriges Thema. Weil das ist letztlich das, was dann auf der Strecke bleibt. Das muss man schon sehen. Das ist eigentlich dann eher so ein i-Tüpfelchen, was man dann aber auch gerne mal ausradiert. Weil es einfach doch im ersten Moment immer um die Kinder geht. Gerade wenn man dann zwei Kinder hat. Das ist auch noch Mal eine ganz andere Konstellation. Und da spart man die Zeiten doch am ehesten weg und arbeitet dann halt abends mal eher, als sich dann mit dem Partner mit einem Glas Wein hinzusetzen oder so."
Wenn Nancy Ehlert sich im Freundeskreis unter Gleichaltrigen umschaut, dann fühlen sich vor allem Frauen häufig schlichtweg überfordert, weil sie in allen Lebensbereichen perfekt funktionieren wollen:
"Natürlich, gerade bei den hoch ausgebildeten Frauen ist immer auch der Ansatz, noch mehr zu arbeiten, mehr zu leisten. Aber auch bei den Männern vollzieht sich da natürlich ein Wandel hin: Einerseits die Ernährer-Rolle zu übernehmen, andererseits aber auch die Vaterrolle ernst zu nehmen. Und die Erziehungskompetenz zu stärken."
Offenbar muss diese Generation damit leben, dass sie mit vielen unsicheren Vorzeichen starten muss und dass sie nie das erreichen kann, was die skeptische Generation erreicht hat. Denn die heute 30- bis 40-Jährigen haben zwar zum Beispiel in Sachen Berufstätigkeit von Frauen viel geschafft. Doch die skeptische Nachkriegsgeneration war beim Geld verdienen und Karriere machen einfach unschlagbar.
Bertram: "Man kann das ja empirisch sehr schön zeigen, dass selbst wenn Sie eine hohe Qualifikation haben, bis Sie sich mal in einen Beruf hinein gefunden haben ... - Beispielsweise nehmen sie alleine Ihr Berufsfeld als Journalist. Dann müssen sie einfach davon ausgehen, dass Sie ziemlich viel Projektarbeit machen müssen. Ziemlich viele Teilzeitstellen absolviert haben, an verschiedenen Stellen gearbeitet haben, bis Sie mal endlich irgendwo einen Fuß in die Tür bekommen haben. Und das können Sie auch nur, indem sie möglichst viel geleistet haben. Sodass Sie eine sichere Lebensperspektive eigentlich erst mit Mitte 30 entwickeln können. Das war bei der älteren Generation ganz anders. Bei der skeptischen Generation mit 23 haben die meisten geheiratet. Weil sie dann wussten, sie sind dann als Facharbeiter oder ähnliches beschäftigt, haben ein bestimmtes Einkommen und können daraus ihr Leben gestalten. Das kann die heutige Generation nicht mehr."

Der Bielefelder Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann
Der Bielefelder Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann © dpa / picture alliance / Miguel Villagran
Und dann gibt es da noch eine junge Generation, die ganz selbstverständlich mit dem Internet und dem Smartphone aufgewachsen ist. Prof. Klaus Hurrelmann ist ein bekannter Jugendforscher und hat an mehreren Shell-Studien federführend mitgewirkt. Inzwischen lehrt er an der Hertie School of Governance in Berlin. Der Soziologe hat die Generation der 15- bis 30- Jährigen genauer unter die Lupe genommen und hat sie Generation Y getauft:
"Das sind die, die 1985 bis 2000 geboren wurden. Und ihre formative Jugendzeit 2000 bis 2015 hatten. So kommt das zustande, dass wir also von fünf Generationen in der Nachkriegszeit hier auch in Deutschland sprechen können. Dann fällt auf: Ja, sie haben erlebt den Terroranschlag von New York mit diesen enormen verunsichernden Folgen, die ja zu weltweiter Terrorangst daraufhin gekommen ist. Das prägt. Sie haben erlebt Umweltkatastrophen, bis zuletzt Fukushima. Also das bahnbrechende, auch tief verunsichernde Erlebnis, dass bestimmte Technologien nicht beherrschbar sind und echte Lebensbedrohlichkeit entstehen kann. Und sie haben erlebt, eine Wirtschafts-Finanzkrise mit riesigen Arbeitslosigkeiten. Und das ist nun das, was ihnen am allernächsten dann ist und sie ganz besonders beschäftigt. Denn ein großer Teil der jungen Generation konnte nicht in den Ausbildungs- und in den Arbeitsmarkt hinein. War ständig auf der unsicheren Seite. Konnte nicht kalkulieren, ob der Schritt in das Erwachsenenleben hinein wirklich funktionieren würde. Und ist hiermit großgeworden."
Auch für diese jüngste Nachkriegsgeneration gilt: Sie wächst in sehr unsicheren Zeiten auf.
"Das ist heute eine Generation, die hat gelernt, mit Ungewissheit zu leben. Sie weiß nicht genau, wie es weitergeht. Sie kann nichts 100-prozentig durchkalkulieren. Sie muss improvisieren, wenn sie vorwärts kommt. Das ist auch ein Charakteristikum, was auffällt. Sie muss Entscheidungen aufschieben, damit sie keine falschen trifft. Sie muss lernen, sehr flexibel zu disponieren. Und, das fällt dann auch auf, sie setzt auf Sondieren, auf Tasten, auf Erkunden, sozusagen auf Monitoring ihrer Umwelt. Das ist ihr alles zur zweiten Natur geworden."
Und es ist eine Generation, die viel auf Bildung setzt. Es hat noch nie so viele Abiturabschlüsse gegeben und nie war der Ansturm auf die Hochschulen so gewaltig wie heute. Auch ein längerer Auslandsaufenthalt gehört für viele Mitglieder dieser Generation unbedingt dazu.
Generation Y - unbeliebte, junge Revolutionäre
Paula: "Nach England bin ich in der 7. Klasse mit der Schule gegangen. Da haben wir dann in einer Gastfamilie gewohnt, einfach um quasi 'ne andere Kultur kennenzulernen und halt quasi zu sehen, wie Engländer leben und dass wir halt auch mit der Sprache konfrontiert werden, für den Englischunterricht auch."
Mit gerade mal 17 Jahren ist Paula dann für ein Jahr in die USA gegangen:
"Ich bin auf jeden Fall froh, dass ich das gemacht habe, weil man noch mal 'ne ganz andere Kultur weit weg kennengelernt hat. Gesehen hat, wie die Menschen dort leben, die Sprache besser gelernt hat, was mir jetzt auch im Unterricht gut hilft. Und ich bin auf jeden Fall froh, dass ich da gewesen bin, weil man viel mitgenommen hat."
Paula geht in die zwölfte Klasse und weiß noch nicht so genau, was sie mal werden will. Aber von dem Jahr in Amerika verspricht sie sich in jedem Fall bessere Startchancen:
"Ich denke mal schon, weil das ja auf dem Lebenslauf auf jeden Fall schon mal ganz gut aussieht. Dann wissen die ja auch, dass man selbständiger ist und so was und man wird dann ja auch im Englischunterricht dann besser, weil man halt selbstbewusster ist zu sprechen und somit dann auch besser mündlich mitmachen kann."
Hurrelmann: "Man will nicht zu denen gehören - die Shell-Jugendstudien haben das sehr deutlich herausgearbeitet - man möchte nicht zu den jungen Leuten gehören, die auf der Strecke bleiben. Das sind ein Fünftel einer Generation lange Zeit gewesen. Sehr, sehr bedrohlich. Das hat auch eine weit über dieses eine Fünftel hinaus die Anderen sehr verunsichert. Und um dagegenhalten zu können, investiert man in gute Bildung und Ausbildung. Und damit, das weiß man, kann man in einer Leistungsgesellschaft persönlich dann punkten, auch wenn die kollektive Situation nicht sehr günstig ist."
Und warum heißt die Generation der heute 15 bis 30 Jährigen Generation Y? Das kommt aus der amerikanischen Forschung, erklärt Klaus Hurrelmann:
"Why, das ist ein Wortspiel, das ist das Why geschriebene englische Warum. Und das soll signalisieren, eine Generation, die alles infrage stellt, weil sie es infrage stellen muss. Weil sie eben keine ganz klare Perspektive hat. Die eine Lebensplanung nicht auf dem Reißbrett machen kann. Es bringt ihr nicht viel. Weil immer wieder neue Ereignisse eintreten können. Die alles infrage stellt. Die auch die Sinnfrage aufwirft. Die sich immer wieder auch Sorgen macht. Ob das, was sie gerade tut, das Richtige ist oder ob sie etwas anderes tun sollte. Also so eine grundsätzliche Sensibilität ist auffällig."
Wer alles hinterfragt und alles genau erklärt bekommen will, der kann darüber schon mal die Handlungsebene vergessen. Angeblich wollen Personaler genau aus diesem Grunde diese Generation nicht so gerne im Betrieb haben. Gleichzeitig, so der Soziologe, ist diese Generation auch extrem pragmatisch - was sie dann wieder mit der skeptischen Generation gemein hat:
"Sie will in den Beruf, sie will in die Gesellschaft. Und ist insofern also durchaus karriereorientiert. Aber immer mit diesem vorsichtigen Gedanken: Es könnte auch schiefgehen. Ich muss eventuell umdisponieren. Und das ist ein Charakteristikum, was sich in den Verhaltensweisen, in der Mentalität niederschlägt."
Die Ausgangssituation ist also relativ schlecht und deshalb agiert diese Generation mit Berechnung. Die Wissenschaftler nennen das auch "Egotaktik". Hurrelmann hat sie deshalb auch "Die heimlichen Revolutionäre" genannt. In den Betrieben ist diese Generation – wie gesagt - nicht immer gerne gesehen:
"Kommt die heute in den Beruf, da haben wir auch die aller ersten Praxisbestätigungen jetzt von Forschungsergebnissen, dann will sie ihre hervorragende Ausbildung ... - wir sprechen jetzt so von etwa 60 Prozent derer, die sehr gut ausgebildet sind und entsprechend auch auftreten können. Übrigens etwas mehr junge Frauen als junge Männer darunter. Kommt diese Generation in den Beruf, dann will sie gestalten. Will sie Einfluss haben. Will sie sich nicht in irgendeine formale Hierarchie einordnen lassen. Sondern sie will eine Aufgabe bekommen. Etwas, was durchaus zu Spannungen in den Betrieben mit den Angehörigen vorheriger Generationen führt, die noch immer das Sagen haben und die wichtigen Positionen besetzen."
Die unbeliebten jungen Revolutionäre wollen ohne Hierarchien möglichst viel bewegen. Vielleicht wird die Generation Y also ähnlich viel schaffen und sich durchsetzen, wie die skeptische Generation nach dem Krieg. Man darf gespannt sein.
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