Stationen der Wirtschaftsgeschichte

Rezensiert von Philip Kovce · 13.01.2013
Sylvia Nasar stellt in ihrem Buch Stationen der Wirtschaftsgeschichte dar - mit Biografien wichtiger Ökonomen. Karen Ilse Horn interviewt zehn Wirtschaftsnobelpreisträger und zeigt, wie sie vom zeitgeschichtlichen Hintergrund geprägt waren.
Zeiten, in denen ökonomische Fragen an der Tagesordnung sind, sind Zeiten, in denen es nicht rund läuft. Wen interessiert schon die graue Theorie, wenn die Praxis einwandfrei funktioniert? Krisen schärfen folglich das Bewusstsein für das Gewöhnliche, das plötzlich ungewöhnlich stockt.

Seit geraumer Zeit kann man sich dem kaum entziehen: Immobilienkrise, Finanzkrise, Eurokrise - die Variationen über das Thema sind vielfältig. Nun liegen zwei Bücher vor, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und dennoch vieles gemeinsam haben: Beide stammen aus der Feder von Autorinnen, die in Deutschland geboren sind und auf Englisch schreiben; beide sind ihren Eltern gewidmet; und beide fokussieren Ökonomen und ihre Theorien, die uns mehr oder weniger offensichtlich beeinflussen.

Sylvia Nasar, langjährige Korrespondentin der "New York Times", erzählt in einem 600-Seiten-Wälzer von der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung, die in London Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Ausgang nahm und auch die Wirtschaftswissenschaft umkrempelte.

"Vor 1870 war es in der Nationalökonomie im Wesentlichen um das gegangen, was nicht machbar war. Nach 1870 ging es im Wesentlichen nur noch um das Machbare."

Ein Wandel, den sie darauf zurückführt, dass Aufklärung und industrielle Revolution zusammenwirkten.

"Man hatte das Gefühl, dass mit einem Mal alles in Fluss geriet, was im Laufe von Äonen festgelegt und eingefroren worden war. Nun stellte sich nicht mehr die Frage, ob sich die Umstände jemals ändern könnten, sondern nur noch, wie schnell und zu welchem Preis sie dies tun würden."

Der Fortschritt in der ökonomischen Theorie interessiert auch Karen Ilse Horn, ebenfalls Journalistin und bis 2007 Wirtschaftsredakteurin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

"Das Rad des Fortschritts dreht sich auch in den Geisteswissenschaften, in den Sozialwissenschaften und als Teil davon in den Wirtschaftswissenschaften. Immer wieder kommen frische ( ... ) Theorien auf, die unseren Erklärungsbedarf angesichts der Komplexität der modernen Verhältnisse bedienen. ( ... ) Aber woher stammen diese neuen Ideen? Wie kommt ihr jeweiliger Erfinder auf sie? Was bringt sie in die Welt?"

So ähnlich die Fragen der Autorinnen, so unterschiedlich sind die Wege, die sie auf der Suche nach Antworten einschlagen. Während Horn zehn Wirtschaftsnobelpreisträger interviewt, schildert Nasar die Biografien wichtiger Ökonomen, wobei sie keine Mühe scheut, ausgiebig zeitgeschichtliche Hintergründe zu berücksichtigen.

So vorzugehen erscheint fruchtbar. Ein Beispiel: Wenn man weiß, dass Friedrich August von Hayek, in Wien geborener Großcousin Ludwig Wittgensteins, mit 18 als k.u.k.-Unteroffizier im Ersten Weltkrieg diente; wenn man weiß, wie er danach erst planwirtschaftlichen Vorstellungen anhing, diese jedoch zugunsten der liberalen Ideen seines Lehrers Ludwig von Mises aufgab; wenn man weiß, dass Hayek mit seinem Buch "Der Weg zur Knechtschaft" 1943 die Gefahren des NS-Leviathans vorführte – erst wenn man das alles weiß, versteht man, dass es Hayek ein ernstes Anliegen war, vor staatlicher Übermacht zu warnen.

Spätestens mit seiner 1960 veröffentlichten "Verfassung der Freiheit" wurde Hayek zum Idol einer neoliberalen Politikwende - nicht von ungefähr, wenn man seinem britischen Kontrahenten John Maynard Keynes glaubt.

"Die Gedanken der Ökonomen und Staatsphilosophen, sowohl wenn sie im Recht als wenn sie im Unrecht sind, (sind) einflussreicher, als gemeinhin angenommen wird. Die Welt wird in der Tat durch nicht viel anderes beherrscht. Praktiker, die sich ganz frei von intellektuellen Einflüssen glauben, sind gewöhnlich die Sklaven irgendeines verblichenen Ökonomen."

Nicht mit verblichenen, sondern mit vitalen Nobelpreisträgern hat sich Karen Ilse Horn unterhalten – angefangen beim inzwischen gestorbenen Paul Samuelson, der den Preis 1970 erhielt, bis hin zu Edmund Phelps, 2006 geehrt. Auch der bis dato einzige deutsche Laureat, Reinhard Selten, ist in der Auswahl zu finden.

Horns Gesprächspartner sind ebenso herausragende wie unterschiedliche Wissenschaftler. Gemeinsam waren ihnen zu Karrierebeginn mathematisches Talent und eine Portion Idealismus, die Welt zumindest ein bisschen zu verbessern. Steigbügelhalter gieriger Finanzspekulanten wollte jedenfalls keiner werden.

Was bleibt schließlich von den beiden Büchern? Von Sylvia Nasar lernt man, dass die Geschichte der Ökonomie zugleich eine Geschichte ihrer Metropolen ist. Sei es das London von Marx, Engels, Marshall und Keynes, sei es das Wien von Schumpeter und Hayek oder das Chicago, das Milton Friedman und Paul Samuelson prägte - immer sind es die Städte, deren wirtschaftliches Treiben auf die Ökonomen einwirkt.

Außerdem lernt man durch Nasars belletristisches Sachbuch, dass lange Zeit nicht galt, was Karen Ilse Horn lapidar feststellt:

"Man mag bedauern, was auf dem Weg dahin verloren gegangen ist – aber es lässt sich die Tatsache nicht leugnen, dass auf dem Markt der Ideen die formalisierte Theorie den Sieg davongetragen hat."

Dass stimmt aus heutiger Sicht zweifellos - nichts desto weniger reicht die formalisierte Theorie nicht aus, um ökonomisches Handeln zu ergründen. Die Gespräche, die Horn führt, zeigen es ebenso wie die Geschichten, die Nazar erzählt: Wirtschaftliches Handeln ist stets eingebettet in ein Geflecht politischer, kultureller sowie individueller Aktionen und Reaktionen, die es allesamt zu würdigen gilt.

""Der Einfluss des Nationalökonomen, auf den es hauptsächlich ankommt, ist ein Einfluss auf Laien: auf Politiker, Journalisten, Beamte und die Öffentlichkeit im Allgemeinen","

... schrieb Hayek. In Zeiten, in denen ökonomisches Wissen in der Schule oft fehlt und in den Universitäten oft verfehlt wird, helfen Sylvia Nasar und Karen Ilse Horn, nicht "Sklave" der Ökonomen zu werden, wie Keynes es formulierte. Es zählt mithin zu den lehrreichen Folgen der Krise, dass solche Bücher geschrieben werden, die uns die Geschichte der politischen Ökonomie erschließen.


Sylvia Nasar: Markt und Moral
Die großen Ökonomen und ihre Ideen

Deutsch von Yvonne Badal
Bertelsmann Verlag München, Okt. 2012

und

Karen Ilse Horn
Die Stimme der Ökonomen

Wirtschaftsnobelpreisträger im Gespräch
Carl Hanser Verlag München, Sep. 2012
Cover: "Markt und Moral: Die großen Ökonomen und ihre Ideen" von Sylvia Nasar
Cover: "Markt und Moral: Die großen Ökonomen und ihre Ideen" von Sylvia Nasar© C. Bertelsmann Verlag
Cover: "Die Stimme der Ökonomen: Wirtschaftsnobelpreisträger im Gespräch" von Karen Horn
Cover: "Die Stimme der Ökonomen: Wirtschaftsnobel-preisträger im Gespräch" von Karen Horn© Carl Hanser Verlag