Stahlmagnat ohne Skrupel

Rezensiert von Jan Schleusener · 27.09.2009
Der Name Friedrich Flick steht bis heute für rücksichtloses Gewinnstreben und bewundernswerte Schaffenskraft. Der Band "Flick. Der Konzern, die Familie, die Macht" beleuchtet das Stahlimperium und dessen Gründer.
Friedrich Flick hat es den Historikern nicht leicht gemacht. Von Anfang an war er darum bemüht, Spuren zu verwischen und keine Anhaltspunkte für Nachforschungen zu geben. Einem Journalisten, der ihn Anfang der 20er-Jahre in einer Reihe von Presseartikeln zunächst als ruchlosen Unternehmer darstellte, kaufte er das Material einfach ab. Auch später tat er alles dafür, brisante Unternehmensakten verschwinden zu lassen, und hinterließ auch im privaten Bereich kaum Spuren.

Der schwierigen Ausgangslage zum Trotz fanden die im Jenaer Flick-Projekt versammelten Historiker mehr als 200.000 Dokumente und führten die zersplitterte Überlieferung in einem eigenen Forschungsarchiv zusammen. Dass die vier Autoren fleißig recherchiert haben, steht außer Frage. Akribisch analysieren sie die oft wechselnden Beteiligungen, die Unternehmenszukäufe und -verkäufe. Trotzdem bleiben wichtige Fragen offen. Kaum etwas erfährt man über Flicks Privatleben, wenig auch nur über sein Verhältnis zu den Mächtigen, seinen Freunden und Geschäftspartnern.

Klar wird aber, dass der Stahlunternehmer, dessen Karriere seit 1915 steil nach oben ging, von Anfang an kaum Skrupel kannte, wenn es um die Verwirklichung seiner geschäftlichen Ziele ging. Bereits 1932 sorgte er für einen handfesten Skandal, als ruchbar wurde, dass er der Reichsregierung heimlich die Aktienmehrheit der Gelsenkirchener Bergwerks-AG zu einem stark überteuerten Preis verkauft hatte. Zuvor hatte sich Flick die Parteien durch großzügige Wahlkampfspenden gefügig gemacht. Zu der sogenannten Gelsenberg-Affäre, die politisch hohe Wellen schlug, schreiben die Autoren:

"Es war ein durch und durch anrüchiges Geschäft, nach seiner Konzeption ebenso wie in der Umsetzung. In Zeiten äußerster wirtschaftlicher Not hatte die Regierung Brüning an ihrer Deflationspolitik festgehalten. Wenn der Staat in dieser Situation einen einzelnen Unternehmer stützte, war das mehr als skandalös."

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ließ Flick der NSDAP hohe Geldsummen zukommen – eine Investition, die sich auszahlen sollte: Die Zeit der Hitler-Diktatur war für Flick eine Phase großer geschäftlicher Erfolge. Der Stahlmagnat profitierte stark von Aufrüstung und Krieg und nutzte die rassistische Diskriminierung und wirtschaftliche Ausschaltung der Juden für geschäftliche Zwecke aus. Bei der Aneignung jüdischen Eigentums profitierte Flick von seinen guten Kontakten zum Vierjahresplanbeauftragten Hermann Göring, wobei er, wie im Falle der Waffenfabrik Simson, nicht direkt mit den jüdischen Eigentümern in Kontakt trat. Der Staat enteignete das Unternehmen, und Flick kaufte es dem Staat ab.

"Friedrich Flicks Vorsprung gegenüber der Konkurrenz erklärt sich aus seiner Bereitschaft, die Dienste fragwürdiger Vermittler bedenkenlos in Anspruch zu nehmen, den Kontakt zu hochrangigen politischen Funktionären persönlich herzustellen und auch das eigene "Image" sorgsamer zu pflegen als andere – jedenfalls sofern dies von taktischem Nutzen war."

Flick, seit 1938 Wehrwirtschaftsführer, beschäftigte im Krieg Zehntausende von Zwangsarbeitern, die zu menschenunwürdigen Bedingungen für den Erfolg des Konzerns und den Sieg Hitler-Deutschlands schufteten. Viele überlebten diese Tortur nicht. Während das Dritte Reich in den letzten Kriegsjahren immer stärker in die Defensive geriet, galt für Flick weiter die Devise pecunia non olet: Geld stinkt nicht. Er raffte zusammen, was er kriegen konnte, und nahm den Übergang in eine neue politische Ordnung nur als "vorübergehende Störung" wahr.

"Flexibilität und schnelle Anpassung waren stets ein Charakteristikum Flicks und seiner Konzernführung gewesen. Bis zum Zusammenbruch des Dritten Reiches hatte sich die eigentümliche, historisch gewachsene Kombination aus personaler Autorität, vertraglich kodifizierten Unternehmensbeziehungen und zentraler Finanzkontrolle als äußerst effektives, ebenso stabiles wie flexibles Steuerungsmodell erwiesen."

Zwar musste Flick nach dem Zusammenbruch des Hitler-Regimes zunächst eine Zwangspause einlegen, sich dem alliierten Tribunal und der Entnazifizierung stellen, doch eine Läuterung bewirkte dies bei ihm nicht. Ungeachtet seiner Verurteilung in den Nürnberger Industriellenprozessen im Jahr 1947 startete Flick – von der Entnazifizierungskammer offiziell als entlastet eingestuft – seine dritte Karriere. Die von den Alliierten durchgesetzte Entflechtung währte nur kurze Zeit. Er wurde größter Aktionär bei Daimler-Benz und besaß Anteile an vielen großen Unternehmen. Ende der 60er-Jahre war er der reichste Mann Deutschlands. Bereits hoch betagt, bestimmte er seinen jüngsten Sohn Friedrich Karl zu seinem Nachfolger. Sein ältester Sohn, Otto Ernst, klagte dagegen. Genüsslich weidete sich die Öffentlichkeit am Rechtsstreit Flick gegen Flick. Für die Autoren des Bandes war die erbitterte gerichtliche Auseinandersetzung

"... letztlich nur Ausdruck und Folge der nie gelösten inneren Widersprüche eines als Familienkonzern gedachten Unternehmenskonzepts, das ausschließlich auf den Firmengründer zugeschnitten war. Friedrich Flick wollte ein dynastisches, über Generationen von der Familie geführtes Eigentum schaffen – aber er konnte nicht loslassen."

Friedrich Karl Flick, der neue Chef im Hause, knüpfte nicht an die wirtschaftlichen Erfolge seines Vaters an. Als Mitte der 80er-Jahre die Spendenpraxis des Hauses Flick aufflog und dazu führte, dass unter anderem Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde, gab er auf und verkaufte. Es war dies das Ende eines Konzerns, dessen Name bis heute für rücksichtsloses Gewinnstreben steht – über alle politischen Systemwechsel hinweg. Gleichzeitig symbolisiert der Name "Flick" aber auch Pioniergeist, bewundernswerte Schaffenskraft und westdeutsches Wirtschaftswunder. Diese Ambivalenz macht den "Mythos Flick" aus. Der vorliegende Band kann dabei helfen, ihn besser zu verstehen.

Norbert Frei / Ralf Ahrens / Jörg Osterloh / Tim Schanetzky: Flick. Der Konzern, die Familie, die Macht
Karl Blessing Verlag, München 2009
912 Seiten mit 74 Abbildungen, 34,95 Euro
"Flick. Der Konzern, die Familie, die Macht"
"Flick. Der Konzern, die Familie, die Macht"© Karl Blessing Verlag