Städtische Auftragsvergabe

Berlin will keine Pflastersteine aus Kinderarbeit

07:54 Minuten
Bauarbeiter beim Verlegen von Kleinsteinpflaster in Berlin.
Pflasterarbeiten in Berlin: Künftig sollen die Steine nur noch aus fairer Produktion kommen. © picture alliance/dpa/Karl-Heinz Spremberg
Von Josephine Schulz · 24.07.2019
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Mehrere Milliarden Euro gibt Berlin pro Jahr für Baumaterial, Arbeitskleidung und Computer aus. Dabei wird vor allem auf den Preis geschaut. Dass Natursteine auch aus Entwicklungsländern kommen, hat bisher kaum eine Rolle gespielt. Das soll sich ändern.
"Die kommen alle aus China hier, wir können ja nochmal in den anderen Raum gehen. Hier haben wir beispielsweise deutsche Kalksteine, spanische, portugiesische Granite."
Geschäftsführer Frank Dickmann führt durch die Innenräume seiner Firma Besco. Die Wände sind mit quadratischen Steinplatten in unterschiedlichsten Farben gepflastert. Darüber hängen großformatige Fotos verschiedener Stadtplätze und Gebäude in Deutschland.
"Oder hier ist die Fassade vom Bundesministerium für Verbraucherschutz, so 'ne 3D-Fassade."
Das Berliner Unternehmen importiert Natursteine aus aller Welt, ein Großteil kommt aus China. Solche Baumaterialen werden in Schwellen- und Entwicklungsländern oft unter unwürdigen Bedingungen abgebaut. Besco aber wirbt mit fair gehandelten Steinen:
"Weil wir selbst einfach nicht damit leben können und leben wollen, dass wir andere Menschen ausbeuten. Das wollen wir nicht. Wir sind alle Familienväter, das ist unser eigener Anspruch.", so Geschäftsführer Frank Dickmann.
Das Unternehmen hat eigene Mitarbeiter in Asien. Die gehen in den Fabriken ein und aus, überwachen die Qualität der Steine und achten darauf, dass zum Beispiel Schutzkleidung getragen wird – und natürlich keine Kinderarbeit stattfindet.
Allerdings, so sagt Dickmann: "Es ist für uns nachvollziehbar, dass möglicherweise ein öffentlicher Auftraggeber das nicht glauben kann. Und aus diesem Grund arbeiten wir seit 2009 mit Win-Win Fairstone zusammen." Eine Fairtrade-Organisation, die Steinbrüche und Fabriken kontrolliert und die Steine dann mit einem Label zertifiziert.

Kaffee, Schutzkleidung, Bauaufträge

Immer mehr Konsumenten achten beim Einkauf auf Bio- und Fairtrade-Siegel. Ein besonders großer und gewichtiger Käufer will sich da jetzt anschließen. Das Land Berlin.
Hier gibt die öffentliche Hand im Jahr rund fünf Milliarden Euro aus. Das fängt beim Kaffee an, der in der Verwaltung getrunken wird, geht über Schutzkleidung für Feuerwehrleute bis hin zu millionenschweren Bauaufträgen.
Das Foto zeigt die Berliner Feuerwehr im Einsatz. Einsatzkräfte löschen einen Wohnungsbrand in der Schillerpromenade.
Berliner Feuerwehr im Einsatz: Auch Uniformen können auf fairer Produktion stammen.© dpa / picture alliance / Jörg Carstensen
Wie ausgewählt wird, welcher Anbieter bei öffentlichen Aufträgen zum Zuge kommt, regelt das Vergaberecht. Bisher entscheidet da vor allem der Preis. Das soll sich nun ändern. Berlin will soziale und ökologische Kriterien im Landesvergaberecht stärken.
Das heißt auch: Keine Produkte aus dem Ausland, die mit Kinder- oder Zwangsarbeit hergestellt werden. Anstelle von Lippenbekenntnissen sollen dafür handfeste Beweise vorgelegt werden. Die Meinungen zu dem Gesetzentwurf gehen weit auseinander. Henrik Vagt von der IHK-Berlin sorgt sich um die wirtschaftliche Entwicklung.
"Es ist nachvollziehbar, dass diese Kriterien angefordert werden, es ist auch richtig, dass öffentliches Geld in Bereichen eingesetzt wird, wo man sicher sein kann, dass menschenwürdige Arbeit geleistet werden kann und wo keine übermäßigen CO2 Emissionen entstehen. Worauf man aber achten muss ist, dass diese Kriterien am Ende auch eingehalten werden können bzw. nachgewiesen werden können."

Extrem komplex und bürokratisch

Der Hintergrund: Öffentliche Auftragsvergabe ist eine extrem komplexe und bürokratische Angelegenheit.
"Die Beteiligung an einer öffentlichen Ausschreibung kostet ein Berliner Unternehmen im Schnitt 4000 Euro. Unternehmen berichten uns, dass sie für einen Auftrag mit einem Volumen von vielleicht 30.000 Euro ungefähr 600 Seiten an Unterlagen beibringen müssen", erklärt Vagt.
Detaillierte Beschreibungen jedes einzelnen zu liefernden Produktes werden angefordert, Referenzen aus vorherigen Aufträgen, Pläne zur Frauenförderung und so weiter. Das schreckt Unternehmen ab. In einer Umfrage sagten 72 Prozent der Unternehmen der IHK in Berlin, dass sie sich überhaupt nicht an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen.
Und das macht sich bemerkbar. So musste erst kürzlich ein Auftrag für 27 Kitas aus Holz zurückgezogen werden, weil sich kein einziger Bieter fand. Kitas, die Berlin dringend gebraucht hätte.
Juliane Kühnrich von der NGO Weed und Mitglied im Fairgabe-Bündnis will das als Grund für laschere Nachhaltigkeitskriterien nicht gelten lassen:
"Auf jeden Fall können die geforderten Kriterien erfüllt werden, die sind nicht zu hoch gegriffen. Es ist für die Unternehmen vielleicht mehr Aufwand, aber es ist nicht unmöglich, die Siegel zu bekommen."

NGOs wollen noch strengere Gesetze

Das Fairgabe-Bündnis setzt sich seit langem dafür ein, dass Berlin fair und ökologisch einkauft. Der Gesetzentwurf geht den NGOs nicht weit genug. Zumal Berlin seit vergangenem Jahr auch den Titel Fairtrade-Stadt trägt.
Wirtschaftssentatorin Ramona Pop von den Grünen sagte bei der Titelübergabe: "Wir wollen und können in Berlin bewirken, dass Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern verbessert werden."
Zwar gehört die öffentliche Auftragsvergabe nicht zu den Kriterien für eine Fairtrade-Stadt, "aber wir finden, die öffentliche Hand sollte eigentlich die Vorbildwirkung haben und konsequent faire Produkte einkaufen, das wo es möglich ist", so Juliane Kühnrich.
Dass es in vielen Bereichen möglich ist, zeigen Pilotausschreibungen und andere Städte. Dortmund zum Beispiel kauft die Arbeitskleidung für städtische Arbeiter aus fairer Produktion.
Neben der Frage, wie streng die Nachweispflichten für Unternehmen sein sollen, gibt es in Berlin auch Streit um die sogenannten Öffnungsklauseln im Gesetzentwurf. Die sollen der Verwaltung erlauben, in ihren Anforderungen über die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation hinauszugehen.
Anstatt nur Kinder- und Zwangsarbeit auszuschließen, müssten Bieter dann zum Beispiel auch Gesundheitsschutz für Arbeiter im Ausland nachweisen. Für die IHK ist das ein rotes Tuch, für Juliane Kühnrich dagegen ein wichtiges Instrument, um die Unternehmen zu einem Umdenken zu drängen:
"Die neuen gesetzlichen Bedingungen, die geben quasi auch den Unternehmen eine Chance, die faire Produkte im Sortiment führen und die jetzt stärker auch bevorzugt werden können bei Ausschreibungen. Was natürlich für andere Unternehmen auch ein Anreiz sein kann, selber diese Kriterien einzuhalten, die das bisher jetzt noch nicht machen."

Der Nachweis ist nicht das Problem

Das Unternehmen Besco hat zahlreiche öffentliche Aufträge umgesetzt und kennt den enormen bürokratischen Aufwand. Menschenwürdige Arbeitsbedingungen in der Lieferkette und entsprechende Nachweise zu fordern, sei aber nicht das Problem. Im Gegenteil. Frank Dickmann:
"Wir fordern schon seit vielen Jahren, dass es europaweit Festlegungen gibt, ähnlich wie wir das aus dem Fahrzeugbereich mit dem TÜV kennen, dass also die öffentliche Hand ganz deutlich sagt, was ihr wichtig ist, was eingehalten werden muss und in welcher Form das nachgewiesen werden muss."
Die Probleme liegen oft vielmehr in der praktischen Umsetzung: Zig Vergabestellen in Berlin machen ihr eigenes Ding. Offiziell gibt es in den Senatsverwaltungen 137 Vergabestellen, in den Bezirken noch einmal 62. In der Praxis werden Aufträge in der Verwaltung aber auch dezentral von einzelnen Abteilungen vergeben.
Für Unternehmen ist es wenig durchschaubar, aus welchen Gründen manchmal Nachweise gefordert werden, an anderer Stelle wieder nicht. Manche Vorgaben, so hört man bei Besco, seien dann bei der Auftragsvergabe plötzlich doch nicht mehr so wichtig.
Ein großes Kuddelmuddel. Das Fairgabe-Bündnis fordert deshalb, dass eine zentrale Kompetenzstelle für faire und ökologische Auftragsvergabe eingerichtet wird. Denn die Erfahrung zeigt: Wenn es keine Veränderungen in der Praxis gibt, werden Gesetze schnell zu Papiertigern.
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