Politologe Lukas Haffert

Der Konflikt zwischen Stadt und Land wächst

29:46 Minuten
Blick von einem Weinberg aus durch Baumzweige auf eine Großstadt.
Am deutlichsten zeigt sich der Unterschied zwischen Stadt und Land an den Wahlergebnissen, erklärt der Wirtschafts- und Politikwissenschaftler Lukas Haffert. © imago images / viennaslide
Moderation: Thorsten Jantschek · 17.09.2022
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Die unterschiedlichen Lebenswelten in der Stadt und auf dem Land drücken sich auch immer mehr in Wahlergebnissen aus. So sind die urbanen „Grünen“ in den Metropolen stark, die AfD eher auf dem Land. Und der Politologe Lukas Haffert sieht wachsendes Konfliktpotenzial.
Das „Globale Dorf“, das war die Verheißung des Internetzeitalters: Soweit die Breitbandkabel reichen, so die These, soweit reichen auch die digitalen Metropolen – und die Gräben zwischen ländlicher Peripherie und urbanen Zentren sollten der Vergangenheit angehören.
Der in Zürich lehrende Wirtschafts- und Politikwissenschaftler Lukas Haffert beobachtet jedoch genau das Gegenteil, einen wieder wachsenden Konflikt zwischen Stadt und Land. „Am direktesten sieht man das, wenn man auf die Wahlergebnisse schaut“, so Haffert.
„Mit der AfD haben wir zumindest in Ostdeutschland sehr klar eine Partei, die ihre Wähler im ländlichen Raum findet. Und auf der anderen Seite des politischen Spektrums sehen wir noch sehr, sehr viel stärker mit den Grünen eine Partei, die ihre Wähler überwiegend in großen Städten, in Uni-Städten hat."

In den Städten wohnen die Kreativen

Anhand der Daten der Künstlersozialkasse, also der Sozialversicherung für Künstler, Publizisten und Kreative, kann Haffert die Verteilung dieser Berufsgruppe mit den Wahlergebnissen von Grünen und AfD in Beziehung setzen. Es ist wenig überraschend, dass die Konzentration der kreativen Berufe in den Städten (und dort in bestimmten Stadtteilen) am größten ist, und dass an diesen Orten die „Grünen“ besonders stark sind.
Extrem überrascht war Politikwissenschaftler Haffert von der Spannbreite der Ergebnisse, dass es mit den Grünen eine Partei gib, "die in einigen Wahlkreisen in Deutschland über 30 Prozent der Stimmen erzielt, und in anderen Wahlkreisen in Deutschland vier, sechs, acht Prozent. Das ist eine Spreizung. Das kennen wir eigentlich so von anderen Parteien nicht."

Welche Rolle spielt die „Neue Mittelschicht“

Dabei spielt der urbane Lebensstil der sogenannten „Neuen Mittelschicht“ eine besondere Rolle, ihre universalistische Weltsicht und Werte, ihre globale Aufgeschlossenheit und ihr digitalaffiner Alltag. Diese Mittelschicht ist derzeit dominant in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie sind Modernisierungsgewinner, denen natürlich auch Modernisierungsverlierer gegenüberstehen. Diese finden sich sehr häufig auch im ländlichen Raum.
Ein „Problem dieser Räume ist natürlich die Abwanderung der potenziellen Gewinner“, so Haffer: „Die gut Ausgebildeten, die jungen Leute, insbesondere die jungen Frauen, die verlassen diese Regionen. Da gehen sozusagen die Gewinner in die Städte. Und wer dann zurückbleibt, jetzt in der Extremsituation, ist dann Verlierer. Und es kommt noch hinzu, dass die Gewinner dann verschwinden und das ist dann ein weiteres Zum-Verlierer-Gemacht-Werden.“

Es braucht ein identitätsstiftendes "Wir"-Gefühl

Für Lukas Haffert ist diese soziologische Entwicklung deshalb politisch brisant, weil sie – wie sich an den Wahlergebnissen zeigt, politisch folgenreich ist. Um politisch folgenreich zu sein, muss es so etwas geben, wie ein Stadt- und ein Landbewusstsein, eine Einstellung, ein identitätsstiftendes „Wir“-Gefühl. 
„Das kann man sehen an Umfragedaten“, so Haffert, „dass die Identifikation mit der eigenen Art von Region stark zunimmt und auch, dass die Abgrenzung zur anderen Art von Region stärker wird. Diese Identifizierung ist aber natürlich nicht die gleiche. Sondern woran denken Leute auf dem Land, wenn die sich mit dem Land identifizieren? Dann denken die: Wir auf dem Land sind bodenständig. Wir sind hart arbeitend. Wir sind normale Leute.
Städter identifizieren sich eher dann als weltoffen, kulturell interessiert, kosmopolitisch. – Da hängt eben ein Bündel von Gruppeneigenschaften dran, von denen man denkt, dass diese sozusagen in dieser geografischen Zugehörigkeit zum Ausdruck kommen. Insofern gewinnt das an Bedeutung."

Die Bedeutung der Metropole Berlin

Wesentlich zur Vertiefung des Grabens von Stadt und Land hat die Entwicklung von Berlin zur politischen, kulturellen und – zumindest was die Digitalökonomie betrifft – wirtschaftlichen Metropole beigetragen.
Wobei einerseits, vor allem durch das direkte politische Zentrum Berlin, zu dem auch die ganzen politiknahen Verbände, aber auch die Vielzahl von nicht gewählten Politikmacherinnen und -machern in den Ministerien, Parteizentralen und Abgeordnetenbüros dazu beitragen, städtische Fragestellungen zu priorisieren und damit die Politagenda zuungunsten des ländlichen Raums zu dominieren.
„Der andere Punkt“, so Haffert, „warum Berlin interessant ist und hier eine Rolle spielt, ist, (..) wie häufig doch Berlin benutzt wird als ein rhetorisches Instrument, um genau diesen Konflikt relevant zu machen.“ So mag es nicht verwundern, dass die Sorge besteht, das ganze Land solle so werden, wie Berlin schon ist. Was für Lukas Haffert jedoch weder soziologisch erwartbar noch politisch wünschenswert ist.
Der Beitrag wurde erstmals am 9. April 2022 gesendet

Lukas Haffert ist Oberassistent am Lehrstuhl für vergleichende politische Ökonomie der Universität Zürich, hat Volkswirtschaftslehre in Münster und St. Gallen studiert und an verschiedenen Forschungseinrichtungen in Deutschland und im Ausland gearbeitet: als Promotionsstipendiat am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, als Max Weber Fellow am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz und als John F. Kennedy Memorial Fellow am Center for European Studies der Harvard University. Seit 2018 ist er Mitglied der Jungen Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina.

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