"Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud"

Von Sigried Wesener · 22.06.2010
Auf dieses Buch haben ihre Leser lange gewartet, dieser Roman wird wohl die literarische Sensation des Frühsommers. Nach dem "Medea"-Roman (1996) und dem großangelegten Tagebuch "Ein Tag im Jahr" (2003) verspricht "Stadt der Engel" noch einmal ein großes Prosawerk von Christa Wolf, in dem die Autorin das Themenspektrum ihres Schreibens aufscheinen lässt.
Ausgangspunkt ist ihr Aufenthalt 1992 im kalifornischen Santa Monica auf Einladung des Getty Center. Eine emotional hoch aufgeladene Anwesenheit. Gerade noch als kritische Stimme aus dem Osten gefeiert und hofiert, wurde die Autorin von "Nachdenken über Christa T." und "Kassandra" in den deutschen Feuilletons plötzlich als Staatsdichterin apostrophiert. Die schmale "Täterakte" und die Veröffentlichung von "Was bleibt" stachelten einen Literaturstreit an, der die in 42 Aktenbänden gesammelten Spitzelberichte über die Autorin zudeckte.

In Gesprächen im kalifornischen "Exil" erlebt sie immer wieder, dass "die ganze deutsche Geschichte aufkommt und mitspricht", und notiert "dass auch wir, die wir anfangs in stolzer Unerfahrenheit so sicher waren, bestimmt waren, in den Untergang jenes Experiments mit hineingerissen zu werden, an dessen Verwirklichung wir schon lange nicht mehr glaubten." Wie Bertolt Brecht, auf dessen Spuren sie in der Umgebung von Los Angeles trifft, mag sie die Nachsicht der Nachgeboren nicht einfordern.

In ihrem neuen Roman lässt sich die Erzählerin ganz auf ihre amerikanischen Nachbarn ein, trifft gar auf einen, der im Besitz des Mantels von Dr. Freud gewesen sein will und liefert den Existenzbericht eines Lebens, dass durch Faschismus und Krieg, durch den Verlust heimatlicher Orte und die deutsche Teilung geprägt wurde, als eine, die dabei gewesen ist: "Du hast es überlebt, es hat dich nicht kaputtgemacht. Du kannst davon berichten". Sie hat es getan.
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