Stachlig wie eine Kaktee

Von Katja Bigalke |
Die mexikanische Kabarettistin Astrid Hadad vereint großartige Eigenschaften ihres Landes: sie ist so stachlig wie eine Kaktee, so explosiv wie der Popocatepetl und so pathetisch wie die Kitsch-Ikonen der Jungfrau von Guadelupe. Mit phantasievollen Kostümen und ebensolchen Liedern nimmt sie den mexikanischen Machismo aufs Korn und präsentiert zugleich ein pralles Mexiko der Gegenwart.
Erster Auftritt von Astrid Hadad: "Cantando en el Bano" - "singend im Badezimmer", heißt das Lied. Die kleine Sängerin: lange, schwarze Haare, feuerrote Lippen, dunkel geschminkte Augen, hüpft auf sehr hohen Absätzen über die Bühne. Ihr ausladendes Kleid türmt sich unterhalb des Korsetts zu einer großen schaumigen Badewanne auf. Aus Stoff natürlich: die Geburt der Venus. Aus den Geschlechtsorganen des Uranus - in eine Badewanne:

"Ich hatte mir überlegt, dass die Venus einem Bottich entsteigt. Deshalb haben wir dieses Kostüm entworfen. Das kann man dann später in eine Blume verwandeln."

Astrid Hadad - nun im umgeklappten Blumendress - begrüßt ihr Publikum. "Oh Diosas" heißt der Abend. Je nachdem, wie man es ausspricht, bedeutet das "Oh, Göttinnen", oder "die Verhassten". Hadad liebt solche zweideutigen Wortspiele, vor allem wenn es um Frauen, ihr Lieblingsthema, geht.

"Der Abend handelt davon, dass die Männer die Göttinnen umgebracht haben und seitdem befinden wir uns in einem Kriegszustand. Man versucht uns glauben zu machen, die Frau sei frei hier in Mexiko. Das ist aber eine Lüge - man braucht sich nur die Politik anzuschauen, da hat es nie eine jemals an die Macht geschafft."

Adios, Epoche Frida Kahlo: Die starke Künstlerin, die zum Sinnbild für weibliche Verletzlichkeit und schönen Schmerz wurde, verkörpert nicht das Frauenbild, das Hadad vorschwebt. Ihr Thema ist die Lust und der Humor. Sie spielt mit den mexikanischen Rollenklischees von Mann und Frau, macht sich lustig über angeblich starke Männer, die die Geographie des weiblichen Körpers nicht kennen und bedauert die unbefriedigte mexikanische Frau. In ihrem pompös-anzüglichen Kleid aus etlichen großen und kleinen Brustattrappen, besingt sie - höchst ironisch - die erfolglose Suche nach dem G-Punkt.

Hadad im Outfit der Landwirtschaft: große Maiskolben baumeln herab, genetisch verändert, sagt sie, ohne Geschmack. Hadad mit der Jungfrau von Guadelupe auf der Brust, Hadad als Santa Muerte - dem Schutzheiligen der Toten, oder als postmoderne Azteken-Diva. Die aufwändigen, gemäldegleichen Kostüme der Performance-Künstlerin umreißen ihr Programm: die Fetische Mexikos werden hinterfragt, in einen neuen Kontext gestellt.

"Das ist wie eine Revision unserer Vergangenheit und unserer Gegenwart. Ich benutze sowohl präkolumbianische als auch moderne Symbole, um eine neue Vision zu geben von dem, was Mexiko ist. Ich möchte aus diesem folkloristischen Kanon aussteigen, aus dieser manipulierten Verherrlichung der mexikanischen Nation. Das sind immer diese komischen Werte, 'Wir sind die größten' und so, obwohl das eigentlich gar nicht so typisch für Mexiko ist. Die Mexikaner sind ja eigentlich extrem defätistisch."

Astrid Hadad gehört zu einer Generation an Bühnenfrauen, die es sich erlaubt, politisch zu werden. Das sei Teil ihrer Biografie, sagt die drahtige Frau, die seit ihrem 39. Lebensjahr ihr Alter verschweigt: Die Tochter zweier Libanesen wuchs in der mexikanischen Provinz auf: sehr katholisch, immer mit Ausblick auf die Ehe. Das Studium der Politikwissenschaften in Mexiko City ermöglichte die Flucht aus der Familienenge. Erst danach kam Salsa, Rumba, Cha-Cha-Cha und - in den Neunzigern - die Gründung ihres eigenen Kabaretts.

"Das Kabarett gibt mir die Möglichkeit, verschiedene Disziplinen zu vereinigen: Kostümgestaltung, Gesang, Tanz, Theater und auch die Kritik. Ich kann nicht anders - das hab ich von meinem Studium: ich muss immer alles kritisieren."

Als subversiven Neo-Kitsch bezeichnet Hadad ihren Stil, als "Heavy Nopal" - nach dem Namen einer stacheligen Kakteen-Art. Für ihre widerspenstige Haltung hat sie sich längst ein Auftrittsverbot im mexikanischen Kulturtempel, dem Palacio Bellas Artes eingehandelt. Ihre Arbeit würde Mexiko entwürdigen, hieß es. Und auch das mexikanische Publikum konnte sich erst nach den Erfolgen im Ausland davon überzeugen lassen, dass man durchaus über Mexiko lachen darf, ohne gleich ein ganzes Land zu degradieren.

"Ich mache meine Arbeit mit einer großen Liebe zu Mexiko. Und nur weil ich nicht die Tequilaflasche hervorzaubere und mit klassischer Ranchero Musik auftrete, passt das denen nicht. Ich stell mich ja nicht hin und pinkele auf die Nationalflagge."

Hadads Arbeit spiegelt ein Mexiko der Gegenwart. Lebendig, und voller großartiger Schätze. Dank der durchgeknallten Sängerin bekommt man Rancheroweisen aus den zwanziger Jahren zu hören, die nur noch in Hadads Arrangements überleben konnten. Und ihre Kostüme sind die liebevolle Hommage an ein Land voller Farben und Genüsse. Ohne ein bisschen Ironie wäre so viel Hingabe kaum auszuhalten.

"Wir Mexikaner: Unsere Vergangenheit war schlimm, die Gegenwart ist chaotisch und wir haben leider keine Zukunft. Deswegen haben wir auch diese intensive Beziehung zur Liebe und zum Tod. Wir Mexikaner sind die Cucarachas der Welt. Und darauf bin ich sehr stolz. Weil: wenn die Welt zusammenbricht, werden wir die einzigen sein, die sich zu retten wissen."
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