Staatsschauspiel Dresden

Aufstieg und Fall der Lehman Brothers

Geschäftssitz der Bank "Lehman Brothers" im Jahr 2008 - die Insolvenz brachte die weltweiten Finanzmärkte an ihre Grenzen.
Geschäftssitz der Bank "Lehman Brothers" im Jahr 2008 - die Insolvenz brachte die weltweiten Finanzmärkte an ihre Grenzen. © dpa / picture alliance / Justin Lane
Von Michael Laages · 06.06.2015
Regisseur Stefan Bachmann bringt die Geschichte hinter dem insolventen US-Bankhaus "Lehman Brothers" auf die Theaterbühne. Man erfährt viel über die Familie Lehman - aber nicht, warum es zum Crash gekommen ist, kritisiert Michael Laages.
Ja, das passt – so wie das Bankhaus der Lehman Brothers 2008 vor allem deshalb in Scherben fiel, weil die Trader, die modernen Computer-Händler, über Jahre hin freihändig und verantwortungslos mit Aktien spekuliert hatten, ganz ohne Rücksicht auf deren wirklichen Wert, so trägt auch das Stück, das nun die Geschichte von "Aufstieg und Fall einer Dynastie" erzählt, deutliche Anzeichen von Spekulation. Denn natürlich wird jetzt in Dresden niemand ins Theater gehen und nicht vor allem mehr Aufklärung darüber erwarten, warum es zum Crash gekommen ist – genau diese Erwartung aber erfüllt das voluminöse Stück von Stefano Massini nicht.
Der Autor blättert eher eine Familien-Saga auf. Vier Söhne hat der Viehhändler Lehmann aus Rimpar bei Würzburg; und nur der älteste kann daheim den Handel übernehmen. Drei müssen in die Fremde, nach Amerika – Chaim ist der erste.
Als fliegender Händler schlägt Henry sich durch, bis es zum Baumwollhandel in Montgomery in Alabama reicht; die Brüder Mendel ("Emanuel" in Amerika) und Mayer (der den Namen behält) folgen bald. Der erste Teil, bis zu Henrys frühem Tod, markiert – typisch Amerika - die Fabel vom Aufstieg: von der Baumwolle über Kaffee, Kohle und Erdöl bis zur Entscheidung, 1880 eine Bank zu gründen.
Teil 2 treibt die Geschichte bis zum Oktober 1929 – noch immer, so scheint es, machen Väter und Erben der Dynastie alles richtig; und nur wer genau hinhört, bemerkt etwa in der Immer-größer-immer-mehr-Terminologie von Emanuels Sohn Philip schon Keime jenes Wahnsinns aus Gier und Grenzenlosigkeit, der zur Zerstörung führen muss: erstmals am "Schwarzen Freitag".
Terminologie des Wahnsinns
Der Krieg bringt das System wieder auf die Beine, und der Boom der Unterhaltungsindustrie, mit Hollywood-Filmen und Fernsehgeräten, in deren Produktion die neuen, jungen Lehmans investieren. Und als nach kurzfristigen Depressionen in der Neuzeit Kaufen pur (und ohne wirklichen Nutzen) als Marketing-Rezept der Glückseligkeit ausgerufen wird, braucht es nur noch die überdrehten Trader, um alle Blasen zum Platzen zu bringen.
Vom Holzschnitt ist das nicht sehr weit entfernt; und generell bleibt Massinis Erzählung vor allem Papier. Selten kommt das (ausschließlich männliche) Ensemble ernstlich ins Spielen; und wenn Massinis Sprache auch durchweg meist sehr poetische Wege geht, mit vielen, wohl platzierten Impressionen der alten jüdischen Kultur, die die Lehmans sich lange erhalten in der Fremde, so pappt eben doch nur Anekdote an Anekdote. Und wo nicht wirklich viel zu spielen ist, kommt auch niemand den Gefährdungen in Bankers Psyche nahe, den Abgründen, die sich ja nicht erst im Finale öffnen.
Wie maschinell all das zuläuft aufs unausweichliche Ende, zeigt im Grunde nur Olaf Altmanns brachiale Szenerie: mit einem bühnenhohen und senkrecht gestellten Rad, in dem drei Hämmer sich drehen. Die Spieluhr mag das sein zu Beginn, als Chaim Lehmann aus Rimpar bei Würzburg ankommt in Amerika; dies aber ist auch das Rad, auf das die zivilisierte Welt geflochten wird, bis sie zerbricht.
Ohne dieses Rad handelte Stefano Massinis Familiengeschichte in Dresden nur von einem in jeder Hinsicht biederen Denver Clan; deutsch-jüdisch-amerikanisch. Zu erwarten war mehr – auch weil die Geld-Welt immer noch ziemlich "typisch Lehman" ist, auch wenn sie nicht mehr so heißt.
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