Spraydose statt Schusswaffe

Von Mona Sarkis · 28.10.2012
In Ägypten erscheint Graffiti noch in seiner ursprünglichsten Form: Jugendliche artikulieren mit Parolen und Zeichnungen ihren Unmut im Stadtbild. Einige bedienen sich dabei sogar der altägyptischen Wandmalerei. Nicht immer geht es dabei nur um Politik.
Es ist ziemlich genau ein Jahr her: Im November 2011 zogen die Ägypter wieder auf die Straßen. Sie wollten endlich den Militärrat loswerden und eine demokratisch gewählte Zivilregierung haben. Schauplatz der blutigen Proteste war abermals der Tahrir-Platz in Kairo. Aber auch jene Straße, die direkt auf diesen Platz einmündet.

Alaa Awwad: "Die Straße Muhammad Mahmoud ist die Straße der Revolution. Man hat ihr viele Namen gegeben - die Straße der Freiheit, die Straße des Todes, weil hier so viele starben. Aber für mich ist sie die Straße des Lebens, denn hier wurde – und wird - der Wandel geboren."

Alaa Awwad ist Dozent für Schöne Künste an der Universität Luxor und Graffiti-Künstler. Als die Aufstände erneut ausbrachen und die Straße Muhammad Mahmoud mehr und mehr zum Ort des Widerstands wurde, nahm Alaa Urlaub, zog von Luxor nach Kairo und begann seine wütenden Botschaften auf die Wände dieser Straße zu malen.

Alaa Awwad: "Eigentlich wollte ich nur ein paar Tage bleiben, aber dann wurden es zwei Monate. Es gab einfach so vieles, das ich anprangern wollte. Die Militärregierung. Die sozialen Missstände. Aber auch die Islamisten und Salafisten, die die Frauen wieder hinter den Herd zurückscheuchen wollten. Dabei haben die Frauen während der Revolution doch an vorderster Front mitgekämpft."

Grund genug für Alaa Awwad, den Ägypterinnen öffentlich Tribut zu zollen. Er malt eine Gruppe Frauen, die auf eine Leiter zumarschiert. Einige haben diese Leiter – die für ihn die Revolution symbolisiert – bereits erklommen.

Alaa bediente sich der altägyptischen Wandmalerei, um zu betonen, dass die Frau in Ägyptens Geschichte traditionell eine wichtige Rolle spielte – wohingegen der frauenfeindliche Salafismus nur eine junge Erscheinung ist.

Mona Abaza: "Die Straße Muhammad Mahmoud ist wie ein Barometer für die Revolution. Ob es nun um die Rolle der Frau geht - oder um all diese "Führer”, die das Land jetzt lenken wollen und dabei genauso totalitär vorgehen wie Ex-Diktator Mubarak. Entsprechend gnadenlos haben die Graffiti-Künstler sie karikiert. Sie haben den Kopf eines Politikers gezeichnet, der sich aber aus zwei oder mehreren Gesichtshälften zusammensetzt. Zuerst sah man halb Tantawi, halb Mubarak. Dann halb Tantawi, halb Mubarak, halb Mussa. Dann halb Tantawi, halb Mubarak, halb Mussa, halb Shaqfi. Dann halb Tantawi, halb Mubarak, halb Mussa, halb..."

Mona Abaza lacht. Die Soziologieprofessorin von der American University of Cairo verfolgt seit einem Jahr gebannt die Entwicklung der Graffitikunst in der Straße. Fast täglich, sagt sie, gibt es Neues zu entdecken:

"Beispielsweise wusste ich gar nicht, dass sich Islamisten auch mit Graffiti beschäftigen. Aber als kürzlich dieser unsägliche Film herauskam, der den Propheten Mohammad verschmäht, sprühten die Islamisten zwei, drei Wochen lang auf die Wände – und zwar bewusst auf Englisch: "I love my prophet”."

Für die Soziologin sind die Graffitis in der Straße Muhammad Mahmoud eine bemerkenswerte Interaktion zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen und ihren politischen Positionen. Aber nicht immer geht es nur um Politik.

Mona Abaza: "Natürlich geht es auch um Kunst. Alaa Awwad und andere Graffiti-Aktivisten in der Straße stritten darüber, ob die Arbeiten dauerhaft erhalten bleiben sollen. Alaa wollte seine Arbeiten mit einer Lasur versiegeln. Die anderen waren dagegen. Für sie ist Graffiti kein Medium für die Ewigkeit. Außerdem konterten sie, dass die Revolution ja noch lange nicht zu Ende ist - also muss der öffentliche Raum weiterhin allen Ägyptern die Möglichkeit bieten, sich zu äußern. Der Dialog soll weitergehen. Der Streit war recht heftig, und manche Aktivisten übermalten auch demonstrativ die Arbeiten von Alaa."

Den Behörden sind die ganzen Debatten und Dialoge freilich mehr als nur ein Dorn im Auge. Nichts wäre ihnen lieber, als dass wieder das Schweigen ausbräche, das unter Diktator Mubarak so schön gepflegt wurde. Weil das aber nicht geht, sagt Mona Abaza...

"... rücken sie laufend an, um die Wände zu übertünchen. Sie können sich nicht vorstellen, wie viel Geld schon für weiße Farbe ausgegeben wurde! Und kaum rücken die Malermeister im Staatsauftrag ab – kommen die Graffiti-Künstler auch schon wieder zurück."

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