Sprache und Ausgrenzung

Die Juden im Duden und anderswo

Eine Hand hält eine Kette mit Davidstern-Anhänger
Alle Einträge überarbeiten, die das Judentum betreffen: Das empfiehlt Sharon Adler der Duden-Redaktion. © Unsplash / Benny Rotlevy
Ein Standpunkt von Sharon Adler · 03.03.2022
"Jüdische Mitbürger", "Menschen jüdischen Glaubens", "jüdischer Abstammung" oder "Herkunft". Die Publizistin Sharon Adler kennt den verklemmten Erfindungsreichtum nichtjüdischer Deutscher bei der Vermeidung des Wortes „Jude“ aus eigener Erfahrung.
Da wird herumgeeiert, was das Zeug hält: "Sie sind ... Jude?" "Nein", entgegne ich in den allermeisten Fällen darauf und lasse mein Gegenüber gerne auch mal eine Weile zappeln. "Bin ich nicht. Ich bin Jüdin. Das dürfen Sie übrigens gern aussprechen. Es ist kein Schimpfwort!"
Dass das nicht allen so klar ist, machte vor Kurzem ein Eintrag im Duden zum Begriff "Jude“ - versehen mit einem "besonderen Hinweis"- deutlich. Darin hieß es:
"Gelegentlich wird die Bezeichnung Jude, Jüdin wegen der Erinnerung an den nationalsozialistischen Sprachgebrauch als diskriminierend empfunden. In diesen Fällen werden dann meist Formulierungen wie jüdische Menschen, jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger oder Menschen jüdischen Glaubens gewählt."
Autsch. Das tut weh. Macht wütend und ratlos.

Ausgrenzende Klischees, verzerrte Realitäten

Das offensichtliche Problem, das viele nichtjüdische Deutsche allem Anschein damit haben, Jude/Jüdin unbefangen auszusprechen, zeigt vor allem auch eines: die Wahrnehmung und Einordnung von Juden, Jüdinnen allein als Opfer und im Kontext der Shoah und Antisemitismus. Die traurige Tatsache, dass die meisten Menschen Juden, geschweige denn Jüdinnen, wohl nur aus Geschichtsbüchern kennen.
Über Juden/Jüdinnen wird meist nur im Kontext von Holocaust-Gedenktagen berichtet, oder dann, wenn es um den Nahostkonflikt, weniger um Israel selbst geht.
Und es sind nicht nur Worte, sondern auch Bilder, die Klischees befeuern und verzerrte Realitäten kreieren, die dafür sorgen, dass Juden und Jüdinnen als etwas Exotischesund Fremdes wahrgenommen werden, als "die anderen", die in "einer unbekannten Welt nebenan" leben, wie unlängst das Cover eines der größten deutschen Magazine suggerierte.

Betulich, schamhaft, verklemmt

Wenn sich schon der Gebrauch des Wortes Jude als Schimpfwort von einigen nur schwer identifizieren lässt, ist der gutmeinende Rat auf das Vermeiden der Bezeichnung Jude/Jüdin (noch) schwerer zu fassen. Dieses Betuliche, Schamhafte, Verklemmte.
Diese Vermeidung und Umschreibung macht ganz nebenbei deren Lebensrealitäten sichtbar und offenbart das Ausgrenzen einer Gruppe durch Sprache. Othering nennt man das. „Othering“ bezeichnet im Kontext von Antisemitismus das Ausgrenzen von Jüdinnen/Juden als „Außenseiter_innen", als "nicht-dazugehörig".
Sprache ist Kultur, Sprache spiegelt die Gesellschaft. Und das verschämte Umschreiben von Jude/Jüdin macht eben den unentspannten Umgang und klischeebeladenen Blick sichtbar.
Ich persönlich jedenfalls käme nicht auf die Idee, "christliche Mitbürger", "Menschen christlichen Glaubens", "Menschen christlicher Abstammung" oder "Menschen christlicher Herkunft" zu sagen.
Die Duden-Redaktion hat inzwischen auf die Kritik der jüdischen Community reagiert. Nun lautet der geänderte Eintrag: "Wegen des antisemitischen Gebrauchs in Geschichte und Gegenwart, besonders in der Zeit des Nationalsozialismus, werden die Wörter Jude/Jüdin seit Jahrzehnten von der Sprachgemeinschaft diskutiert. Gleichzeitig werden die Wörter weithin völlig selbstverständlich verwendet und nicht als problematisch empfunden."

Nicht über uns, sondern mit uns

Das ist leider auch nicht viel besser, lieber Duden. Und noch ein Hinweis an die Duden-Redaktion: Im Alphabet vor "Jude" findet sich leider unter anderem der Begriff "Judaslohn". Der ist zwar als "abwertend" gekennzeichnet, wird jedoch laut Duden wie folgt erläutert: "Bezahlung, Lohn für eine verräterische o.ä. Tat". Noch Fragen?
Meine Empfehlung lautet daher: Die Überarbeitung aller Einträge, die Judentum, Juden, Jüdinnen betreffen, gern auch unter Einbeziehung von heute lebenden Juden, Jüdinnen. Denn dann wird auch nicht über, sondern mit uns an einer Sache gearbeitet und gleich bekommt das "Mit" eine ganz andere Bedeutung.
Ich jedenfalls empfinde es weder als problematisch noch als diskriminierend, als Jüdin angesprochen zu werden. Im Gegenteil.

Sharon Adler, 1962 in Berlin-West geboren und in Berlin, Nordrhein-Westfalen, Holland und Israel aufgewachsen, ist Fotografin, Publizistin, Moderatorin, Herausgeberin von AVIVA-Berlin und Vorstandsvorsitzende der Stiftung Zurückgeben.

Porträt Sharon Adler im hellblauen Mantel vor einer Bücherwand.
© Mara Noomi Adler
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