Wenn wir mal in die Geschichte reinschauen: Ende des 19. Jahrhunderts sind die Briten durch das Empire überall auf der Welt zu finden. Oft haben sie einen Ball dabei und bringen ihre Sportarten da mit hin. Ob es nun der Fußball ist oder Cricket - dadurch, dass ich mit den Einheimischen über das Spiel ins Gespräch komme, baue ich eine Ebene auf, die tatsächlich dann auf politischer Ebene ausgenutzt werden kann.
Sportliches Erbe der Briten
Jede der im Land verteilten Garnisonen hatte ihre eigene Rugby- oder Fußballmannschaft. © imago stock&people
Von Besatzern zu Sportfreunden
23:11 Minuten
Netball, Rugby, Cricket: Mehr als 70 Jahre waren britische Streitkräfte hierzulande - sie kamen als Befreier und haben hier in Vereinen auch das Spektrum an Sportarten erweitert. Mancherorts werden sie bis heute vermisst, auch im Sport.
8. Mai 1945: Winston Churchill, der damalige britische Premierminister, verkündet die bedingungslose Kapitulation Nazi-Deutschlands und damit das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. Die Alliierten hatten Deutschland befreit und teilten es in der Folge in vier Besatzungszonen auf. Die der Briten umfasste den Nordwesten, die heutigen Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.
Mag damals jemand gedacht haben, dass in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die Worte aus Kriegszeiten von Prinzessin Elisabeth, der späteren Queen, mit Leben gefüllt werden könnten?
„Wir alle, jeder Einzelne von uns, wissen, dass am Ende alles gut wird. Möge Gott uns behüten und uns Sieg und Frieden bringen. Wenn der Frieden dann kommt, denkt dran, es liegt an uns, den Kindern von heute, dass die Welt von morgen eine bessere und glücklichere wird.“
Die Rolle des Sports
Hätte sich damals jemand vorstellen können, dass aus Befreiern und Besatzern einmal Freunde und Nachbarn würden, die man nach mehr als 70 Jahren dann ungern und wehmütig und mit Paraden im großen Rahmen verabschieden würde?
Der Sport hat daran einen nicht unwesentlichen Anteil. Schon sehr bald nach Kriegsende gab es ein erstes vorsichtiges Abtasten, berichtet die Historikerin Bettina Blum von der Uni Paderborn:
„Aus Detmold wissen wir, dass es ein Fußballspiel zwischen einer deutschen Sportgruppe und einer Soldatenmannschaft am 9. Dezember 1945 gab. Handschriftlich wurde dann drunter geschrieben, dass die Briten dann zwei zu eins gewannen. Was ich ganz spannend fand: Dass bei manchen Zeitzeugen diese Erinnerung als Kind auf dem Fußballplatz mit Briten was mitbekommen. Und das Fairplay steht eben groß im Vordergrund.“
Der Sport als Exportschlager
Sport als Exportschlager - das hat kaum eine Nation in einem Maße praktiziert wie die Briten. Oftmals kam man aber im Wortsinn erst über den Kampf ins Spiel und zu der Erkenntnis, dass man mit Bällen mehr erreicht als mit Kanonenkugeln, so Cyprian Piskurek vom Lehrstuhl für britische Kultur an der TU in Dortmund.
So geschehen auch in Deutschland. Nach Kriegsende wurden Sportstätten beschlagnahmt. Der Fußball aber brach das Eis.
„Der Fußball hat dadurch, dass die Deutschen ihn auch sehr gut kannten, eine sehr viel geringere Hemmschwelle gehabt. Ich sehe dann die andere Nationalität da auf dem Platz spielen. Da kann ich sofort mitmachen, wenn sie mich dazulassen, wenn sie gegen mich spielen wollen.“
Der Sport verbindet durch seine Konvention
So paradox ist der Sport: Es braucht einerseits ein gewisses Maß an Abgrenzung, um einen Gegner zu haben. Andererseits verbindet der Sport durch seine Konvention.
Und das wurde immer schneller und immer öfter der Fall. Denn damals wie heute waren und sind Soldaten eben immer auch Sportler.
Mike Whitehurst, Pressesprecher der britischen Streitkräfte:
„Sport hat eine sehr hohe Stellung in der britischen Armee. Das dient auch dazu, der körperlichen Fitness beizutragen. Ich weiß, jeden Mittwoch ist Sportnachmittag - und die Jungs spielen Fußball, Cricket, Rugby oder was auch immer. Wenn man als Engländer gegen einen Deutschen spielt, hat das eine gewisse Brisanz. Aber es ging nicht richtig hart zur Sache. Warum denn auch? Das musste nicht sein. Freundschaftsspiele bleiben genau das: Freundschaftsspiele.“
Ab 1955 wurden die Briten Teil der NATO-Truppen
1955 wurden die Briten von Besatzern zu einem Teil der in Deutschland stationierten NATO-Truppen. Der Rhein galt als eine mögliche Verteidigungslinie, daher verlegten die Briten ihr Hauptquartier von Bad Oeynhausen und Bad Eilsen nach Mönchengladbach-Rheindahlen.
Das Joint Headquarter - kurz: JHQ - entstand. Bis in die 1980er-Jahre frei zugänglich und eine Anlage mit riesigen Ausmaßen, berichtet Helga Heine, ehemalige Pressesprecherin des JHQ:
„Zwar ist sie insgesamt 400 Hektar groß und hat insgesamt 2000 Gebäude auf diesem Gelände. Und nicht nur das, sondern auch wunderbare Bäume und Straßen, Alleen, alle mit englischen Straßennamen. Das Ganze ist ein völlig autarkes britisches Dorf. Mit allem, was dazu gehört: Mit Sportplätzen, allein 12 Tennisplätze, 13 Sportplätze, ein Swimmingpool, zwei Kinos. Es gab auch einen deutschen Friseur. Man konnte dort alles bekommen, was man braucht - zumindest die Briten, nicht die Deutschen.“
Manche Sportstätten nur für britische Soldaten
Somit war auch der Gedanke, typisch britischen Sport wie Rugby, Cricket oder Polo direkt unter Briten zu lernen, nicht realisierbar.
„Das war leider nicht möglich, da diese Sportstätten den britischen Soldaten vorbehalten waren. Man hat auf persönlichen Ebenen schon mal einen Freund einladen können, aber offiziell war das nicht möglich.“
Jede der im Land verteilten Garnisonen hatte ihre eigene Fußball- oder Rugbymannschaft. Es gab Wettbewerbe untereinander, die Finalkämpfe fanden oftmals auf dem Gelände des Hauptquartiers statt.
Ein zweiter sportlicher Schwerpunkt befand sich am Rande des Truppenübungsplatzes in der Senne, in Bad Lippspringe bei Paderborn. Den heute geschlossenen Flugplatz übernahmen die Briten nach dem Krieg.
Einheimische lernten extravagante Sportarten kennen
Im Laufe der Jahre machten hier auch die Einheimischen Erfahrungen mit Sportarten, die in den Fünfzigern als extravagant galten und die sie sich kaum hätten leisten können, berichtet Historikerin Bettina Blum.
Es hat in Bad Lippspringe einen Fallschirmklub gegeben. Der wurde von der britischen Armee betrieben und war zur Ausbildung von Soldaten gedacht. Gerade an den Wochenenden gab es da aber keine Kurse und von daher gab es die Möglichkeit für die deutsche Bevölkerung, diese Anlagen auch zu nutzen. Viele Leute hier aus der Gegend haben in Bad Lippspringe ihren ersten Fallschirmsprung gemacht.
Der Truppenübungsplatz in Bad Lippspringe läuft bei den Briten übrigens unter dem Namen „Sennelager“, benannt nach dem Stadtteil von Paderborn, in dem sich der Bahnhof für die Logistik befindet und eine Kaserne, in der die heute gerade einmal 200 verbliebenen britischen Soldaten stationiert sind.
An den bereits erwähnten Fallschirmspringerclub – und nicht nur an den - erinnert sich auch Simon Guettier, früherer Moderator bei BFBS, dem Rundfunksender der britischen Streitkräfte.
„Da gibt es viele Geschichten von deutschen Zivilisten, die begeistert waren, ihren ersten Sprung in Sennelager gemacht zu haben. Damals war Sennelager das Zentrum für britischen Sport, während die britischen Truppen in Deutschland waren. Es gab einen Golfklub, den Fallschirmspringerklub, und ich erinnere mich auch an den Angelverein dort mit einem Forellenteich.“
Einen British Army Golf Club gibt es noch heute
Den British Army Golf Club Sennelager gibt es heute noch, er wird als weltweit einziger Golfklub von der Armee geleitet. Sämtliche 18 Löcher liegen im Wald auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes. 1963 wurde er gegründet und hatte nach der Öffnung für Deutsche und für ehemalige Armeeangehörige bis zu 1200 Mitglieder.
Golf ist übrigens eine Sportart, der man als Armeeangehöriger recht leicht außerhalb der Kaserne nachgehen kann. Leichter als Mannschaftssport. Die Fußballer sowie die Rugby-Spielerinnen und -spieler von Paderborn United waren da eine Ausnahme. Sie nahmen am deutschen Spielbetrieb teil, der Verein löste sich 2016 auf.
Zwischen deutschen Vereinen und Soldatenmannschaften der Briten gab es Freundschaftsspiele. Aber britische Spieler in deutschen Vereinen – das war mit dem Armeeleben nur schlecht vereinbar.
Für einen militärischen Einsatz wird in der Regel ein Jahr veranschlagt. Währenddessen ziehen sich die Angehörigen oftmals nach Großbritannien zurück. Von regulären Versetzungen einmal abgesehen, ergäbe da eine Mitgliedschaft in einem deutschen Verein wenig Sinn.
Es gab eine Art sportliche Aufbauhilfe
Dabei legte die britische Armee durchaus wert darauf, dass Soldaten und Angehörige am deutschen Leben außerhalb der Kasernen teilnahmen. Sich Land und Leute ansahen und sich so integrierten.
Mitunter entstand daraus sogar eine Form von sportlicher Aufbauhilfe, berichtet Matt Duff, der 2014, schon während des Abzuges der britischen Truppen den Osnabrück Rugby Club mitgegründet hat.
„Da waren auch welche, die immer noch beim Militär waren, die haben gesagt, Rugby ist eine geile Sache. Da gibt es einen neuen Verein, da kenne ich jemanden. Komm', wir fahren mit fünf Mann oder auch einer ganzen Mannschaft hin. Wir machen Training mit den Jungs, wir helfen denen, wo wir können. Wir helfen aus beim Spiel. Einfach, gerade zu den Anfangszeiten, wo da nicht genug Spieler waren. Oder auch das Equipment, das bei der Armee nicht mehr gebraucht wurde, haben sie einfach mitgebracht.“
"Rugby wird definitiv erhalten bleiben"
In Osnabrück waren bis zu 14.000 britische Soldaten stationiert. Lee Smith war hier Zivilangestellter. Nachdem er zunächst in Ibbenbüren Rugby gespielt hatte, ist er seit der Gründung des Osnabrück Rugby Club dessen Vorsitzender.
„Rugby wird definitiv erhalten bleiben. Andere britische Sportarten? Netball wird es schwer haben. Ich habe von Hockeyvereinen gehört, der Sport wird auch wachsen. Rugby aber gehört zu den großen Sportarten. Allein während wir hier in Osnabrück uns organisiert haben, hatten sich wenigstens zwei, drei andere Vereine gegründet im Umkreis von einer Autostunde.“
Das erwähnte Netball ist eine Hallensportart, in der Regel von Frauen und Mädchen gespielt und eine Mischung aus Basketball, Handball und Korbball. In Berlin, Frankfurt und Düsseldorf finden sich kleine und weitestgehend englischsprachige Gruppen, die diesen Sport ausüben.
Im deutsch-britischen Miteinander hat eben nicht jede Sportart die jeweils andere Seite zu begeistern verstanden, sagt Radiomann Simon Guettier, der sieben Jahre lang in Deutschland gelebt hat.
Handball ist in Deutschland wohl ziemlich beliebt. Im britischen Sport-Repertoire existiert es schlichtweg nicht. Wir spielen das in Großbritannien überhaupt nicht. Einen Austausch gab es da also nicht. Ganz anders als beim Rugby, wo britische und deutsche Mannschaften gegeneinander gespielt haben.
500.000 britische Soldaten in Deutschland
In den 1980er-Jahren waren etwa 500.000 britische Soldaten in Deutschland stationiert. Für die Verbindung in die Heimat sorgte der Armeesender BFBS. Er sendete aus Köln, später dann aus Bielefeld und Herford.
BFBS hatte eine technische Erreichbarkeit von 15 Millionen Menschen und tatsächlich bis zu drei Millionen Hörerinnen und Hörer täglich. 150.000 davon waren Militär und deren Angehörige. Wer sich für den britischen Fußball interessierte, bevor es Pay-TV und Internet gab, der war samstags um 18 Uhr deutscher Zeit am Radio.
Die Übernahme des BBC Sports Report durch BFBS rundete den Fußball-Samstag ab. Insbesondere für die britischen Fans deutscher Vereine nach ihrem Stadionbesuch.
Großes Interesse der Soldaten an der Bundesliga
Sie waren weit verstreut, erinnert sich Simon Guettier, der nach mehr als 40 Jahren in aller Welt bei BFBS im Ruhestand das Internetradio Waddesdon Village Radio mitgegründet hat.
„Wo sie besonders gern hingingen, auch deshalb, weil viele Soldaten dort in der Gegend stationiert gewesen sind, das war Borussia Dortmund. Ich kenne aus jenen Tagen auch viele Leute, die sich regelmäßig Arminia Bielefeld angesehen haben - und auch Hannover 96. Es gab bei den Soldaten wirklich ein großes Interesse an der Bundesliga. Viele wurden ziemlich leidenschaftliche Anhänger dieser Vereine und noch ein paar anderer und hatten samstags ihren Spaß beim Fußball.“
Der lässt sich nach dem Abzug der britischen Soldaten wahrscheinlich am leichtesten aufrecht erhalten und pflegen. Denn manche von ihnen sind nach dem Ende ihrer Armeelaufbahn in Deutschland geblieben. Auch sind britische Fanklubs deutscher Vereine keine Seltenheit.
Was bleibt als sportlicher Nachlass?
Was aber bleibt noch als sportlicher Nachlass nach mehr als 70 Jahren? Es ist wenig Greifbares. Der British Army Golfclub Sennelager in erster Linie. Derjenige im Elmpt an der niederländischen Grenze auf dem ehemaligen Gelände der Royal Air Force wird als „Europäischer Golfclub“ unter deutscher Leitung weiter geführt.
Der Fußball- und Rugbyverein Paderborn United löste sich auf, aus dem Yachtclub Dümmersee ist ein Eventlokal geworden, der Flugplatz in der Nähe von Soest wird zivil genutzt. Das sind nur einige Beispiele.
Desto mehr und in erster Linie bleiben wohl auf beiden Seiten die Erinnerungen: an erste Annäherungsversuche. An für Einheimische teils exotisch anmutende Sportarten. Für Briten eher an die Brat- und Currywurst der Deutschen, die hier und da das Sandwich ablöste.
Die Gewohnheiten des jeweils anderen beobachten, ausprobieren und oftmals annehmen. Das und manch eine gemeinsame dritte Halbzeit nach einem Freundschaftsspiel sorgten dafür, dass in den Jahren nach 2002 gefühlt in erster Linie Nachbarn und Sportfreunde verabschiedet wurden statt Soldaten. Und heute vermisst werden.
"Wir haben das versucht, wir waren stets bemüht"
Mission erfüllt, sagt Mike Whitehurst. Jedenfalls im Großen und Ganzen:
„Auf sportlicher Ebene haben wir Deutschland Rugby beigebracht. Ich weiß, dass es in verschiedenen Städten einen aktiven Rugbyclub gibt. Netball ist Nischensport, sehr beliebt aber in Großbritannien, das haben wir, glaube ich, nicht an die Deutschen bringen wollen. Und wir haben versucht, Cricket beizubringen. Es ist eigentlich einfach, aber die Regeln sind kompliziert - und es kann über fünf Tage gehen. Das wollten wir Deutschland nicht zumuten, es war 'eine Sportart zu weit - a sport too far'. Aber wir haben das versucht, wir waren stets bemüht.“