Sportgeschichte in Slubice

Des Kaisers vergessenes Stadion

06:31 Minuten
Schwarzweißaufnahme eines von Wald umringten Freiluft-Stadions mit massiver Tribüne.
Stadion mit Geschichte: Das einstige Ostmarkstadion ist dem unter Kaiser Wilhelm II. in Berlin gebauten "Deutschen Stadion" nachempfunden. © picture-alliance/arkivi
Von Wolfgang Weber · 23.08.2020
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Wegen des Ersten Weltkriegs fielen 1916 die in Berlin geplanten Olympischen Spiele aus. Das eigens dafür errichtete Stadion in Charlottenburg ist in Vergessenheit geraten. Im polnischen Slubice hat ein historischer Nachbau die Zeit überstanden.
Es gibt Rekordmarken, die braucht kein Mensch, weil sie das alltägliche Leben nur erschweren. Andreas von Bandemer etwa, der Präsident des Golfclubs an der Oder, hätte zu Beginn der Coronakrise auf den sehr besonderen, quasi europapolitisch delikaten Superlativ, der "seinem" Golfplatz anhaftet, gerne verzichtet:
"Unsere sportliche Heimat ist zwar der östlichst gelegene Golfplatz aller deutschen Golfclubs. Aber er liegt nicht am linken, westlichen Ufer des Grenzflusses, sondern auf der rechten Flussseite, am südlichen Stadtrand der polnischen Kleinstadt Slubice."
Debowa Polana – zu deutsch: Eichenlichtung – heißt der flache, aber mit vielen Wasserhindernissen gespickte 9-Loch-Golfplatz, den sich die gut 100 Frankfurter Golfer mit knapp 50 polnischen Anhängern des grünen Sports teilen. Aber auch viele andere Frankfurter Freizeitsportler sind es gewohnt, mehrmals wöchentlich, wenn nicht gar täglich, die Oder zu überqueren.
Denn Slubice, bis 1945 ein Teil von Frankfurt/Oder, hat für sie eine Menge zu bieten: Auf dem weitläufigen Gelände gleich hinter dem von überwiegend deutschen Schnäppchenjägern tagtäglich gut besuchten, wuseligen "Basar Slubice", landläufig auch "Polenmarkt" genannt, gibt es unter anderem ein Beachvolleyball-Feld, einen Schießplatz, eine Minigolfanlage, Schwimmbad, Tennis- und Turnhalle sowie eine im Winter auch von Frankfurter Grenzgängern gern genutzte Eissporthalle.

Ein monumentales Stadion aus der Kaiserzeit

Über alledem aber erhebt sich ein unübersehbares, wenn auch – trotz seiner monumentalen Größe – westlich der Oder weitestgehend vergessenes Erbe aus deutscher Vergangenheit: der "Olimpik Park Slubice", im "Deutschen Reich" einst bekannt als Ostmarkstadion.
Laufbahn mit Tribünen vor Fußballfeld
Ein Stück Sportgeschichte: Das einstige Ostmarkstadion ist noch heute in Betrieb. © Deutschlandradio/Wolfgang Weber
Dass die 2003 aufwendig renovierte, jetzt 7000 Sitzplätze umfassende Tribüne mit den markanten, beinahe trutzigen Rundbogen-Kolonnaden und Arkadengängen fast schon monströs erscheint für eine Kleinstadt wie Slubice, ist nicht verwunderlich.
Immerhin kann das Stadion, in dem heute der polnische Regionalligaklub Polonia Slubice und der örtliche Leichtathletikverein LKS Lubusz zuhause sind, auf eine mehr als 100-jährige Geschichte bis zurück in die deutsche Kaiserzeit zurückblicken, wie auch Andreas von Bandemer weiß:
"Daran gebaut wurde schon ab 1914, dann, nach einer mehrjährigen Unterbrechung während des Ersten Weltkriegs, wieder in den 20er-Jahren, nach den Plänen eines Frankfurter Baustadtrats namens Otto Morgenschweis."

Eine ausgefallene Premiere für Berlin

Der städtische Spitzenbeamte hielt sich bei seinem Projekt preußisch korrekt an eine Blaupause aus der nur 80 Kilometer entfernten Reichshauptstadt: Sportliches Vorbild war das 1913 von Kaiser Wilhelm II. eröffnete "Deutsche Stadion" in Charlottenburg, was heute in Berlin kaum noch jemand weiß. Mit seinen knapp 40.000 Zuschauerplätzen war diese Arena im Westen Berlins vorgesehen als zentrale Wettkampfstätte für die Olympischen Sommerspiele 1916. Die wurden zwar nie abgesagt, fielen aber notgedrungen aus wegen des Ersten Weltkriegs.
Berlin verpasste damals, 20 Jahre nach den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit 1896 in Athen, eine ganz besondere Premiere: "Spree-Athen" wäre Gastgeber der ersten Spiele im Zeichen der fünf miteinander verbundenen Ringe gewesen. Denn dieses offizielle Symbol der Olympischen Spiele hatte deren Erfinder, der Franzose Pierre de Coubertin, 1913 entworfen. Die weiße Flagge mit den die fünf Kontinente symbolisierenden Ringen wehte erstmals 1920 in Antwerpen.

Ein Überbleibsel aus der Kaiserzeit

Als Berlin 1936 endlich Olympiastadt wurde, war das kaum zu internationalen sportlichen Ehren gekommene Deutsche Stadion nur noch eine verblasste Fußnote der Geschichte. Für die gigantische Propagandashow, als die die Nationalsozialisten die Olympischen Spiele nutzen wollten, war das Stadion aus der Kaiserzeit im Stadtteil Charlottenburg ein bis zwei Nummern zu klein geraten. Es wurde durch das riesige neue Olympiastadion gleich nebenan ersetzt und geriet in der Berliner Stadthistorie weitestgehend in Vergessenheit.
Die kleine Kopie des "Deutschen Stadions" am Ostufer der Oder hingegen wurde in den 20er-Jahren vollendet und überstand in der Folgezeit weitgehend unbeschadet alle Irrungen und Wirrungen des 20. Jahrhunderts.
"Dieses alte Überbleibsel aus Kaisers Zeiten hat schon ganz andere Krisen überstanden. Das macht mir Hoffnung!"
Derzeit betrachtet des Kaisers vergessenes Stadion altersweise und aus höherer Warte, wie der ganz alltägliche Grenzverkehr zwischen Frankfurt und Slubice wieder Fahrt aufnimmt, der unmittelbar benachbarte Polenmarkt wieder Kunden aus Brandenburg und Berlin in Massen anzieht und die deutschen und polnischen Amateurgolfer gleich nebenan auf der Eichenlichtung wieder gemeinsam auf die Runde gehen können.
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