Frankfurt (Oder) und Słubice

Deutschland und Polen durch Wärme verbunden

08:23 Minuten
Brücke über die Oder im brandenburgischen Frankfurt (Oder) nach Slubice in Polen auf dem östlichen Oderufer.
Gelebte Partnerschaft: Bislang verbindet nur eine Fußgängerbrücke die polnische Stadt Slubice mit dem brandenburgischen Frankfurt an der Oder. © Imago / Jürgen Ritter
Von Vanja Budde · 23.05.2019
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Nahverkehr und Fernwärme müssen nicht an Grenzen enden. Beides teilen sich Frankfurt an der Oder und die polnische Stadt Słubice. Doch dabei bleibt es nicht. Die Partnergemeinden haben weitere Pläne, für die sie allein nicht die Mittel hätten.
"Und hier in dem gelben Brückenkörper, da liegen die Rohre. Man hat hier unten den Einstieg, können wir noch mal gucken. Da stand dann so ein olles, klappriges Gerüst in der Bauphase und dann sind hier unsere Projektleute immer über so einer Hühnerleiter in die Brücke gestiegen. Ach, war eine schöne Zeit, dass man da dabei war."
2014 haben die Stadtwerke von Frankfurt (Oder), deren Sprecherin Antje Bodsch ist, den polnischen Kollegen am anderen Ufer die Hand gereicht: Ein Teilabschnitt der 700 Meter langen Fernwärmetrasse wurde im Körper der Stadtbrücke verlegt, die Frankfurt an der Oder und Słubice verbindet.
"Wenn Sie jetzt hier gucken: Auf polnischer Seite der Ausgang, da sieht man die beiden Leitungen, wie sie rauskommen und dann rübergehen und ins Erdreich von Słubice, Polen, verschwinden.
Harald Wolf ist heute noch stolz darauf: "Das war ein schönes Projekt."
Seit 2015 wärmt man sich nun gegenseitig, erklärt Harald Wolf, Ingenieur für Elektro- und Automatisierungstechnik bei den Stadtwerken: Europaweit einmalig versorge im Winter das große Heizkraftwerk auf der deutschen Seite hunderte Haushalte in Słubice mit. Im Gegenzug kommt vom Frühsommer bis zum Herbst das Warmwasser für Frankfurt von den polnischen Kollegen. Das deutsche Kraftwerk wird derweil abgeschaltet.

"In den Gesprächen fallen schon private Sätze"

Eine Win-win-Situation, sagt Antje Bodsch:
"Ja, ist genauso wie mit der Buslinie, die der Stadtverkehr nach Słubice betreibt. Das ist auch eine wirkliche Erfolgsgeschichte, dieser grenzüberschreitende Bus, ist auch die meistgenutzte Buslinie in Frankfurt."
Auch Wärme verbindet, meint Harald Wolf und öffnet die Tür zur Übertragungsstation an der Stadtbrücke. Drinnen dröhnen sechs Pumpen, drei davon versorgen im Moment noch Słubice mit.
"Also, zu Anfang sind wir alle natürlich ein bisschen vorsichtig miteinander umgegangen, aber mittlerweile ist es Alltag geworden, und sogar in den Gesprächen fallen schon private Sätze."
Antje Bodsch und Harald Wolf von den Stadtwerken Frankfurt (Oder) blicken, in der Wärmeübertragungsstation stehend, in die Kamera und lachen.
Antje Bodsch und Harald Wolf von den Stadtwerken Frankfurt (Oder) freuen sich in der Wärmeübertragungsstation über das europaweit einmalige Projekt.© Deutschlandradio / Vanja Budde
"Słubice war die ehemalige Dammvorstadt von Frankfurt. Da fuhr auch noch bis zum Krieg eine Straßenbahn über die Brücke. Also, ich kenne es auch noch, als zu DDR-Zeiten die Grenze zu war und man gar nicht rüber kam. Das ist schon toll, wie sich das jetzt entwickelt, wie sich das auch öffnet, also wie auch die jungen Leute entspannter miteinander umgehen als noch vor 20, 25 Jahren."
Im Rathaus von Frankfurt, nur einen Steinwurf vom Grenzfluss entfernt, sitzt der junge Oberbürgermeister René Wilke (Linke) und freut sich, dass zusammenwächst, was auch seiner Meinung nach zusammengehört. René Wilke war noch ein Kind, als die Mauer fiel: Er wurde 1984 in Frankfurt (Oder) geboren. Wilke findet an der gemeinsamen Fernwärmeversorgung besonders toll, "dass sich eine polnische Stadt in die Abhängigkeit einer deutschen begibt und andersherum. Das war noch vor einigen Jahrzehnten, also vor dem Beitritt Polens zur EU, und am Anfang dieser Phase völlig undenkbar, dass so etwas passiert."

Beide Seiten lernen die Sprache der Nachbarn

Wilke nennt sich einen glühenden und überzeugten Europäer. Eine Überzeugung, die er täglich lebt, und mit ihm die ganze Stadtverordnungsversammlung: Regelmäßig tagt das Stadtparlament gemeinsam mit dem von Słubice. Von Sprachbarrieren lasse man sich nicht aufhalten.
"Simultan wird gedolmetscht. Erst in der vergangenen Woche am Donnerstag zum Europatag gab es wieder eine gemeinsame Stadtverordnetenversammlung, wo wir den Handlungsplan 2020 bis 2030 beschlossen haben. Und wir haben die nächsten Projekte, kleine und größere, definiert, die wir anstreben wollen."
Zum Beispiel das Nachbarsprachenprojekt: In der Frankfurter Verwaltung machen derzeit 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen Polnischsprachkurs.
"Und andersherum wird ebenfalls ein Deutschsprachkurs angeboten, damit die Kommunikation auch einfacher wird. Und wir arbeiten daran, als bilingualer oder Bildungsstandort voranzukommen. Es gibt deutsch-polnische Kitas, es gibt auch Polnischunterricht an einem Gymnasium. Und wir wollen gerne, dass man durchweg von der Kita über die Grundschule, weiterführende Schule bis hin zum Studium oder Ausbildung deutsch-polnisch bilingual hier ausgebildet werden kann."
Firm in beiden Sprachen sind heute schon die jungen Polen, die in Frankfurt an der Europa-Universität Viadrina studieren. Die Hochschule bietet Studiengänge in Kulturwissenschaften, Jura und Wirtschaftswissenschaften an. Ein Viertel der Studierenden kommt aus dem Ausland, davon etwa die Hälfte aus Polen. Janine Nyuken ist die Vizepräsidentin der Viadrina:
"Die deutsch-polnische Zusammenarbeit ist wie das europäische Profil die Gründungs-DNA der Viadrina. Wie so eine Art Prisma, in dem man Europa sehen, lesen und erfahren kann."

"Wie Europa im Alltag praktisch funktioniert"

"Für uns als Stadt ist die Europa-Universität ein enorm wichtiges Aushängeschild und auch für den europäischen Gedanken enorm wichtig. Hier wohnen und studieren Menschen aus aller Welt. Das ist für unsere europäische Doppelstadt mit diesem grenzüberschreitenden Charakter ein enormer Gewinn und sorgt dafür, dass wir uns tatsächlich als Herzstück Europas auch betrachten. Wir sagen immer: Hier schlägt das Herz Europas, hier lohnt es sich, hinzukommen, wenn man sehen will, wie Europa im Alltag praktisch funktioniert."
Ähnlich wie Oberbürgermeister Wilke von der Linken sieht es Karl-Heinz Lambertz: Der Belgier ist Präsident des Ausschusses der Regionen der EU in Brüssel.
"Die gemeinsame Zugehörigkeit zur EU ist eine ganz wesentliche Voraussetzung, um das Weiterentwickeln dieser Beziehungen zu ermöglichen, gerade im Verhältnis zwischen Deutschland und Polen, aber die EU ist auch wichtig, weil sie ganz gezielt durch ihre Kohäsionspolitik dazu beiträgt, dass an den Grenzen besondere Impulse möglich sind."
Mit der Kohäsionspolitik will die EU Unterschiede zwischen den verschiedenen Regionen und den Rückstand der am stärksten benachteiligten Gebiete verringern, um den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt der Mitgliedsstaaten zu stärken. Sie steht hinter den hunderttausenden Projekten in ganz Europa, die Mittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, kurz (EFRE), dem Europäischen Sozialfonds und dem Kohäsionsfonds bekommen. Davon haben neben Süd- und Osteuropa auch die neuen deutschen Bundesländer sehr profitiert. Hunderte Millionen Euro seien allein in die Region um Frankfurt an der Oder geflossen, bestätigt Oberbürgermeister René Wilke.
"Aber wenn man nicht konsequent auch vordenkt und langfristig, nachhaltig plant, dann sind es auch schnell mal Einmalfliegen. Das ist auch nicht gut."

Deutsch-polnisches Schwimmbad für die Doppelstadt

Zwei große Projekte wollen Frankfurt und Słubice künftig auch wieder gemeinsam anpacken: eine zweite Oderbrücke für Fußgänger und Radfahrer.
"Das ist ein Diskussionsprozess, den wir zur zweiten Oderbrücke angestoßen haben. Der hat mehrere Ebenen. Die eine Ebene ist, dass diese Diskussion auch in einer Zeit einen symbolischen Wert hat, wo viele Länder, Staaten und Politiker darüber öffentlich reden, wie man europäische Brücken abreißen kann, starten wir hier in unserer Region eine Diskussion dazu, wie wir weitere Brücken bauen."
Das größte Kooperationsvorhaben ist aber ein gemeinsames Schwimmbad. Ein Projekt, für das Frankfurt und Słubice jeweils allein das Geld fehlt.
"Wichtig ist, dass wir eine solche Einrichtung der öffentlichen Daseinsvorsorge, in einer Doppelstadt gemeinsam betreiben, dass wir die Finanzierung gemeinsam stemmen und dann die Betreibung gemeinsam stemmen. Das gibt es so bisher noch nicht."
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