Spinnenphobie

Wie virtuelle Welten bei der Therapie helfen können

06:42 Minuten
Eine Hauswinkelspinne sitzt in einem Wohnzimmer unter einem Glas (gestellte Szene).
Die Vorstellung von einer Spinne in der Wohnung macht manchen Menschen regelrecht Angst. © picture alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand
Von Claudia Doyle · 02.06.2022
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Spinnen in Deutschland sind harmlos und sogar nützlich. Dennoch gruselt sich hierzulande jeder Dritte vor ihnen. Nicht wenige haben eine Phobie, die sie einschränkt. Diesen Menschen wollen Forscher in München nun mit innovativen Mitteln helfen.
Immer acht Beine. Häufig acht Augen. Im schlimmsten Fall auch noch Tausende von Haaren. Wen es jetzt schon bei dieser Beschreibung gegruselt hat, der hat Angst vor Spinnen. Oder sogar eine Phobie? Wo fängt die eigentlich an?
Florian Binder, Doktorand am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München, erklärt es so: „Wenn ich jetzt irgendwie irgendwo eine Spinne sehe, und dann geht mein Puls vielleicht ein bisschen hoch, ich fange an, ein bisschen zu schwitzen, dann geht das Ganze noch. Aber wenn ich mich jetzt nicht mehr in den Keller traue, weil da eine Spinne sein könnte, dann schränkt es einen richtig ein und darunter leidet man.“

Angst vor einem Tiger ist in Ordnung

Ein bisschen Spinnenekel ist also okay. Schwierig wird es dann, wenn es wirklich in überproportionale Angst ausartet. Das ist bei etwa fünf Prozent der Menschen in Deutschland so.

Das heißt, wenn ich irgendwo einem Tiger begegne, dann ist es durchaus in Ordnung, dass man Angst hat. Es wird niemand sagen, dass es eine Phobie ist, nur weil man immer diese Angst hat. Aber bei einer kleinen Spinne vor allem in Deutschland sagt man eben, dass es nicht wirklich eine objektive Gefahr ist. Deswegen ist es da überproportional.

Florian Binder

Weil Spinnen so verlässlich Angst und Furcht auslösen, macht es sie zum perfekten Objekt für Binders Experimente. Denn er will herausfinden, wie menschliches Furchtverhalten funktioniert. Dafür holt er sich keine echten Spinnen ins Büro, sondern setzt komplett auf virtuelle Realität.

Ein Experiment mit VR-Brille und Kopfhörer

„Wir haben hier einen Raum von ungefähr vier auf fünf Meter. In dem Raum können Sie sich dann nachher komplett bewegen, ganz normal laufen“, erklärt er. Ich setzte also die VR-Brille und Kopfhörer auf. Sofort stehe ich nicht mehr in Binders Büro, sondern in einem leeren Raum.
Zuerst wird mir eine Spinne gezeigt und ich soll angeben, wie unangenehm mir dieses Tier ist und als wie kontrollierbar ich es empfinde. Meine Antwort steht schnell fest: sehr unangenehm und überhaupt nicht kontrollierbar.
Als Nächstes erscheint eine Schildkröte. Die finde ich angenehm und kontrollierbar, schließlich kann ich sie einfach am Panzer anfassen und wegtragen. Nachdem das geklärt ist, verschwindet der Raum und die Aufgaben beginnen.
Der Raum ist weg, ich stehe mit einem riesigen Fischernetz mitten in brusthohem Wasser. Rechts von mir ist die Spinne, links von mir ist die Schildkröte. Mit dem Kescher soll ich Fische fangen, die ich nicht sehe.

Die Spinne löst unangenehme Gefühle aus

Ich ziehe den Kescher immer wieder durchs Wasser. Dabei achte ich darauf, dass ich die Spinne nicht zu lange aus dem Blick lasse. Wer weiß, was sie anstellt. Eine Frage beschäftigt mich: Können Spinnen eigentlich schwimmen?
Gefühlt ewig fange ich nichts, bis endlich ein Fisch in meinem Netz zappelt. Ich werfe den virtuellen Fisch in einen virtuellen Eimer, dann verschwindet das Wasser um mich herum und ich stehe in einem fensterlosen Büroraum.
Meine nächste Aufgabe ist es, Bücher einzusammeln und in ein Bücherregal zu sortieren. Mit mir im Raum sind natürlich: Schildkröte und Spinne. Als ich alle Bücher eingeräumt habe, kommt der ultimative Härtetest. Ich soll die virtuelle Spinne berühren.
„Ich versuche einfach, mir oft genug einzureden, dass sie gar nicht da ist, obwohl das vielleicht kontraproduktiv ist. Mein Bedenken ist, dass, wenn ich sie berühre, Sie mir nicht verraten haben, dass sie mich sofort anspringt“, erzähle ich Florian Binder.

Verhalten verrät mehr als andere Methoden

Als ich das geschafft habe, ist das Experiment vorbei. Erleichtert und stolz nehme ich die VR-Brille ab und setze mich wieder mit Florian Binder zusammen. Wie habe ich mich geschlagen?
„Sehr gut so. Ich finde es sehr beeindruckend, dass sie die Spinne berührt haben. Ich weiß, es kostet sehr viel Überwindung. Es ist nicht einfach. Man hat diesen Konflikt, es macht richtig Angst“, erklärt Florian Binder. „Man weiß natürlich, es ist nicht echt. Dann stellt sich jeder selber die Frage: ‚Warum mache ich das jetzt nicht einfach?‘ Das ist sehr spannend zu beobachten, wenn dann die Leute damit ein bisschen unterschiedlich umgehen.“
Interessanterweise erfährt Florian Binder aus dem Verhalten der Probandinnen und Probanden viel mehr über ihre Furcht als durch Messwerte wie Pupillengröße und Pulsrate.
Wer an einer Spinnenphobie leidet, hält wesentlich mehr Abstand zu dem Tier und lässt es gleichzeitig nicht aus den Augen, nimmt Umwege in Kauf und zögert länger, ehe er die Spinne berührt.
Florian Binder selbst hat übrigens inzwischen keine Angst mehr vor Spinnen. Er hat sich als Jugendlicher im Rahmen eines Schulprojekts quasi selbst therapiert. Damals hat er sich bei „Projekttage Spinnen“ angemeldet.
„Da haben wir uns dann sehr ausführlich damit beschäftigt, wie die so leben, was die machen. Am Ende mussten wir dann auch auf so ein altes Panzergelände und alle möglichen Steine umdrehen und Spinnen sammeln. Seitdem ist es bei mir in Ordnung und ich kann mit den Tieren umgehen“, erzählt er.

Konfrontationstherapie mit virtuellen Mitteln

Auch heute noch setzen Therapeuten auf solch eine Konfrontationstherapie: Spinnenphobiker müssen sich mit dem Objekt ihrer Angst beschäftigen, es anschauen, vielleicht sogar anfassen. Das ist zeitaufwendig und teuer. Vielleicht ginge das Ganze viel günstiger mithilfe von virtueller Realität.
Immer hin wurde bereits gezeigt, dass eine Therapie in der virtuellen Welt genauso effektiv ist wie in der realen. 

Die Akzeptanz in der virtuellen Welt ist in der Regel etwas höher, weil als Phobiker denkt man: Es ist ja nur eine virtuelle Spinne und deswegen macht man das lieber als mit realen. Deswegen ist sehr erfreulich, dass die Erfolgsquote trotzdem genauso gut ist.

Florian Binder

Ziel sei es, eine Art automatisierte Therapie zu entwickeln, bei der die Phobiker sich online eine Therapie-Box bestellen können, die sie dann zugeschickt bekommen.
„Sie können sich dann zu Hause aufs Sofa setzen, die Brille aufsetzen und werden dann dort automatisch durch die Therapie geleitet, dass man keine Therapeuten mehr braucht“, beschreibt Florian Binder seine Zukunftsvision.

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