Joseph LeDoux: "Angst"

Gehirnforschung: Woher kommen unsere Ängste?

Freizeitpark "Gondwana – Das Praehistorium"
Ein Neandertaler jagt in einer Winterlandschaft ein Mammut. Die Nachbildung ist im Freizeitpark "Gondwana – Das Praehistorium" im Saarland zu sehen. © picture alliance/dpa/Foto: Oliver Dietze
Von Michael Lange · 15.07.2016
Wir sind die Nachkommen derer, die nicht mutig waren, sondern oft ängstlich in einer Höhle kauerten, erklärt Joseph LeDoux in seinem Sachbuch "Angst". Erst wenn wir verstünden, wo unsere Ängste herkommen, könnten wir Phobien auch therapieren, so der Autor.
Wenn es um Angst oder Furcht geht, herrscht in der Sprache großes Durcheinander. Nicht nur im Alltag, auch in der Wissenschaft werden Furcht vor konkreten Gefahren, bewusstes oder unbewusstes Abwehrverhalten und das unbestimmte Gefühl der Angst oft verwechselt. Der Neurowissenschaftler Joseph LeDoux will Klarheit schaffen und zeichnet das komplexe Bild eines Gefühls, das krank machen kann, aber auch schützt.
Wären unsere Vorfahren stets mutig ihren zahlreichen Feinden gegenübergetreten, hätten sie wahrscheinlich nicht überlebt. Wir sind die Nachkommen derer, die sich oft versteckten und ängstlich in einer Ecke der Höhle kauerten, während die Mutigen vom Säbelzahntiger verspeist wurden. Das heißt natürlich nicht, dass ängstliches Erstarren in jedem Fall die beste Lösung ist. Jede Situation erfordert eine andere Reaktion: Manchmal Kampf, manchmal Flucht und manchmal Verstecken. Das ist in der Tierwelt nicht anders.
Um diese Verhaltensweisen zu erklären, bringen Neurowissenschaftler ihren Versuchstieren bei, defensiv auf bestimmte Reize zu reagieren. Ein Ton oder ein Lichtsignal reicht aus, und die Tiere zucken zusammen, erstarren oder meiden bestimmte Bereiche ihres Käfigs. Was dabei im Gehirn abläuft, können die Wissenschaftler mittlerweile im Detail analysieren. Das heißt aber nicht, dass sie das Gefühl der Angst auf bestimmte Nervenschaltkreise zurückführen können.

Tief sitzende Angst gibt Neurowissenschaftlern Rätsel auf

Joseph LeDoux hinterfragt viele wissenschaftliche Schnellschüsse der letzten Jahre und Jahrzehnte und stellt dabei auch eigene Theorien in Frage. Sein Fazit: Oft wird ein biologisch sinnvolles Abwehrverhalten mit Furcht vor bestimmten Reizen oder mit allgemeiner Angst gleichgesetzt. Dabei handele es sich um unterschiedliche Vorgänge. Während sich tierisches Abwehrverhalten mit einfachen Modellen darstellen lässt, gibt die tief sitzende Angst der Menschen den Neurowissenschaftlern viele Rätsel auf. Die Frage, ob Tiere ähnliche bewusste Gefühle haben wie Menschen, lässt Joseph LeDoux unbeantwortet. Er stellt aber klar, dass Tierexperimente keine Auskunft über die menschliche Gefühlswelt geben können.
Das heißt: Phobien gegen einzelne Gefahren wie Spinnenangst oder Höhenangst lassen sich durch gezielte Verhaltenstherapie (Konfrontation) bekämpfen und manchmal sogar auslöschen. Das gilt für das bewusste, tiefsitzende Gefühl einer unbestimmten Angst aber nicht. Zur Therapie einer Angststörung gehört, so der Autor, immer auch eine kognitive Komponente. Das Reden über Erinnerungen, Erlebnisse und persönliche Einschätzungen.
Joseph LeDoux macht es sich und seinen Lesern nicht leicht. Er beschreibt komplizierte Abläufe und molekulare Vorgänge im Gehirn, widersteht aber der Versuchung, daraus einfache Lösungen für Medizin und Alltag abzuleiten. Wer in die aktuelle Expertendiskussion einsteigen möchte, findet hier viele Anregungen. Harter Stoff, seriös und informativ; aber leider nicht ganz unterhaltsam, wie auf dem Buchdeckel versprochen.

Joseph LeDoux: "Angst – Wie wir Furcht und Angst begreifen und therapieren können, wenn wir das Gehirn verstehen"
Ecowin, Salzburg 2016
623 Seiten, 26 Euro

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